Die öffentlichen Finanzen sind robust genug, um die sozialen und wirtschaftlichen Kosten der zweiten Welle abzufedern!
Die Coronakrise hat massive Staatsausgaben zur Folge. Doch dank einem sehr tiefen Verschuldungsgrad wird die Finanzlage der öffentlichen Verwaltungen dadurch nicht gefährdet. Die effektiven Ausgaben zur Unterstützung der Wirtschaft seit Beginn der Coronakrise waren geringer als erwartet. Man kann sich daher grosszügiger zeigen als bisher vorgesehen, um die sozialen und wirtschaftlichen Folgekosten der sehr starken zweiten Infektionswelle abzufedern. Es ist eine lohnende Rechnung, da dies der Wirtschaft helfen wird, sich im Jahr 2021 schneller und nachhaltiger zu erholen. In der Folge dürften auch die Steuereinnahmen stärker ansteigen; es wird weniger Konkurse geben, und der Arbeitsmarkt wird in einer robusteren Verfassung sein. Und dies wird sich auch auf die Staatsfinanzen positiv auswirken!
Dank einem sehr tiefen Verschuldungsgrad bringt die Coronakrise, auch unter Berücksichtigung der zweiten Welle, die öffentlichen Finanzen in der Schweiz nicht in Schieflage. Die Verschuldung der Schweiz lag Ende 2019 bei 188 Milliarden Franken. Bezogen auf das Bruttoinlandprodukt (BIP) beträgt der Verschuldungsgrad 27% (Bund: 12,7%; Kantone: 7,7%; Gemeinden: 6,6%). Dies ist sowohl im internationalen Vergleich (EU-Durchschnitt: 86%) als auch gemessen am Verschuldungsgrad der Schweiz in der Vergangenheit (rund 48% im Jahr 2003) sehr wenig, wie die nachstehende Graphik zeigt.
Die Verschuldung des Bundes ist stark gesunken; sie reduzierte sich von 26,1% des Bruttoinlandprodukts (BIP) im Jahr 2003 auf weniger als 13% des BIP im Jahr 2019. Um die Folgen der Coronapandemie abzufedern, haben Bundesrat und Parlament ausserordentliche Ausgaben in Höhe von 30,9 Milliarden Franken bewilligt. Damit steigt die Verschuldung des Bundes lediglich um 1–2 Prozentpunkte. Das Steuersubstrat bleibt somit weitgehend erhalten – bei einem nach wie vor tiefen Verschuldungsgrad.
Grosser finanzieller Spielraum zur Unterstützung der Wirtschaft und des Arbeitsmarktes
Hinzu kommt, dass sich die effektiven ausserordentlichen Ausgaben mehr als sieben Monate nach Ausbruch der Coronakrise und gemäss den neuesten Zahlen (1) auf lediglich 18,1 Milliarden belaufen dürften. Die bereitgestellten Mittel wurden nicht vollständig ausgeschöpft, insbesondere im Bereich der Kurzarbeitsentschädigung (11,5 statt 20,2 Milliarden) und der Corona-Erwerbsausfallentschädigungen (3,2 statt 5,3 Milliarden). Die Schweiz verfügt über einen grossen finanziellen Spielraum, um die zweite Coronawelle zu bewältigen, und muss ihre Unterstützung zugunsten der verschiedenen Unternehmens- und Personengruppen, die nach der Reaktivierung der Einschränkungen auf Hilfe angewiesen sind, fortführen und ausweiten.
Angesichts der erneuten Verschlechterung der Lage muss der Bund die Hilfsmassnahmen verstärken.
Die in Form von Krediten oder nicht rückzahlbaren Härtefallentschädigungen vorgesehenen 200 Millionen Franken sind klar unzureichend, um bestimmten notleidenden Branchen wie etwa dem Veranstaltungssektor oder der Tourismusindustrie unter die Arme zu greifen. Was die Kantone betrifft, so erlaubt es ihre Finanzlage im Allgemeinen ebenfalls, in Schwierigkeiten geratene Unternehmen massiv zu unterstützen. Bezüglich der gewährten Hilfen bestehen zwischen den Kantonen jedoch sehr grosse Unterschiede. Es wäre zudem überaus sinnvoll, die Kurzarbeit im Niedriglohnsektor zu 100 Prozent zu entschädigen, was sich auch auf die Nachfrage positiv auswirken würde. Aus Sicht der Bundesfinanzen ist dies problemlos möglich.
Bundeshaushalt besser als erwartet
Der Bundeshaushalt 2020 wird durch die Coronakrise weniger stark belastet, als dies noch im Juni erwartet wurde. Der im Juni auf 6,7% geschätzte BIP-Rückgang dürfte tatsächlich «nur» 4,3% betragen. Dies führt im Staatshaushalt 2020 zu einem geschätzten Defizit von 1,9 Milliarden anstatt der zuvor erwarteten 3,1 Milliarden Franken, da die Einnahmen gegenüber der Hochrechnung vom Juni um 1,3 Milliarden höher ausfallen dürften. Diese Prognosen sind mit Blick auf die zweite Welle allerdings mit gewissen Unsicherheiten behaftet.
Ein wichtiger Faktor für die Entwicklung der öffentlichen Finanzen in den kommenden Jahren ist der Verlauf der wirtschaftlichen Erholung. Die robuste Verfassung der Staatsfinanzen in der Schweiz ermöglicht es, die Wirtschaft mit einer gezielten Erhöhung der Investitionen auch weiterhin zu unterstützen. Dies muss mit dem Ziel der Dekarbonisierung der Wirtschaft und einer besseren Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben geschehen. Auf diese Weise können bestehende Arbeitsplätze gesichert, neue Arbeitsplätze geschaffen und die nachhaltige Entwicklung gefördert werden.
Die Mechanismen der Schuldenbremse mit Umsicht einsetzen, um die Erholung nicht abzuwürgen
Die Schuldenbremse ist kein Hindernis für die staatliche Unterstützung der Wirtschaft, wenn sie mit Augenmass angewendet wird. Im Fall von Ausnahmesituationen wie der aktuellen Coronakrise sieht das Finanzhaushaltgesetz die Möglichkeit vor, die im Rahmen der Schuldenbremse vorgegebene Obergrenze für die Ausgaben des Bundes anzuheben. Die zur Bewältigung der Krise beschlossenen zusätzlichen Ausgaben gelten als ausserordentlich, wenn sie 0,5% der Gesamtausgaben übersteigen, wobei der Betrag nach oben unbegrenzt ist. Allerdings müssen diese Ausgaben im Laufe der Zeit amortisiert (d.h. durch Überschüsse im ordentlichen Staatshaushalt oder durch ausserordentliche Einnahmen kompensiert) werden. Das Gesetz sieht dafür eine Frist von sechs Jahren vor, welche jedoch vom Parlament verlängert werden kann. Es ist enorm wichtig, dass das Parlament seinen Spielraum zu gegebener Zeit nutzt, um die Amortisationsfrist zu verlängern. Die Finanzlage des Bundes dürfte jederzeit robust genug sein, um dies zu ermöglichen. Mit diesem Vorgehen lassen sich die Risiken einer erneuten Verschlechterung der Wirtschaftslage und des Arbeitsmarktes minimieren.