Der Bundesrat will die vollständige Öffnung des Strommarktes vorantreiben. Leider vergisst er dabei, die Arbeitnehmenden der Strombranche entsprechend der Anforderungen des Strukturwandels zu fördern. Travail.Suisse, der unabhängige Dachverband der Arbeitnehmenden, setzt sich für diese für eine sozialverträgliche Strommarktliberalisierung ein.
Der heutige Strommarkt ist gut reguliert und weist eine hohe Versorgungssicherheit auf. Unter diesen Umständen fallen die Vorteile einer vollständige Marktöffnung, im Vergleich zu Risiken und Nachteilen kaum ins Gewicht. Zwei Beispiele:
- Eine Verstärkung des Wettbewerbs für die Elektrizitätsversorgungsunternehmen (EVU) wird sich stark auf ihre Margen auswirken. Die kleinsten Unternehmen könnten gar von der Bildfläche verschwinden, was äusserst negative Auswirkungen auf die Beschäftigung sowie die Arbeits- und Lohnbedingungen der Angestellten hätte.
- Es gibt kein Stromabkommen mit der EU, sodass einer der Hauptgründe für die vollständige Marktöffnung - der vollständige Zugang zum europäischen Strommarkt - aktuell nicht gegeben ist.
Travail.Suisse und seine direkt betroffenen Mitgliedsorganisationen, der Verband der Personalvertretungen der Schweizerischen Elektrizitätswirtschaft (VPE) und die Gewerkschaft Syna, vertreten gemeinsam die Mehrheit des betroffenen Personal im Strommarkt. Sie bedauern, dass die aktuelle Revision noch immer keine einzige Massnahme für das betroffene Personal vorsieht. Die Elektrizitätswirtschaft erlebt bereits heute grosse strukturelle Veränderungen. Die Unternehmen der Branche haben bereits angekündigt, die Kosten senken und gewisse Arbeitsstellen aufheben zu wollen. Als wichtigste Erfolgsfaktoren auf einem liberalisierten Markt erachten sie ausserdem den Kundendienst und die Ausbildung des Personals. Hinzu kommt die Tatsache, dass die Liberalisierung die EVU dazu treibt, sich vermehrt den Dienstleistungen zuzuwenden und das Verteilnetz zu modernisieren (Smart Meters usw.). Daher ist es grundlegend, den Fokus auf die Aus- und Weiterbildung des Personals zu legen. Der Fachkräftemangels, der sich in Anbetracht der demografischen Entwicklung in den kommenden Jahren noch zuspitzen wird, verstärkt die Notwendigkeit, in Aus- und Weiterbildung zu investieren.
Travail.Suisse fordert deshalb, dass in den Revisionsentwurf des StromVG dringend ein Artikel zur Förderung der Aus- und Weiterbildung des Personals der Strombranche integriert wird.
Es braucht jetzt einen Branchen-GAV
Aktuell sind die Arbeits- und Lohnbedingungen in der Elektrizitätswirtschaft ziemlich gut, vergleichbar wie diejenigen im öffentlichen Sektor. Das ist vor allem darauf zurückzuführen, dass die EVU zu rund 90 Prozent dem Gemeinwesen gehören. Eine vollständige Liberalisierung des Strommarktes wird sich negativ auf die Arbeits- und Lohnbedingungen der Branche auswirken. Um die Arbeitsbedingungen zu auf einem guten Niveau zu halten und dem Strukturwandel begegnen zu können, muss die Sozialpartnerschaft in der Elektrizitätswirtschaft massiv gestärkt werden. Dazu braucht es einen Branchen-Gesamtarbeitsvertrag. Nur so können die Arbeitsbedingungen bewahrt und gegebenenfalls angepasst werden. Da die öffentliche Hand insbesondere für die Gewährleistung der Versorgungssicherheit eine zentrale Rolle spielt, verlangt Travail.Suisse die Aufnahme eines Artikels in das StromVG, der den Grundsatz eines von den Sozialpartnern verhandelten Branchen-GAV festhält. Für Travail.Suisse ist klar, dass ein freier, überhaupt nicht vom Staat regulierter Markt, nicht im Sinne der Arbeitnehmenden und der Bevölkerung funktionieren kann. Das Beispiel eines im Gesetz verankerten GAV-Grundsatzes existiert bereits: Der Artikel 9 des Postorganisationsgesetzes verpflichtet die Post, mit den Personalverbänden Verhandlungen zum Abschluss eines Gesamtarbeitsvertrages zu führen. Artikel 4 Absatz 3 des Postgesetzes sieht vor, dass, wer der Meldepflicht unterliegt, mit den Personalverbänden Verhandlungen über einen Gesamtarbeitsvertrag führen muss.
Der Bundesrat will den Entwurf nun so überarbeiten, dass die Versorgungssicherheit und die Umsetzung der Ziele der Energiestrategie 2050 gewährleistet sind. Konkret ist das UVEK mit der Erarbeitung einer Vorlage zur Revision des Energiegesetzes (EnG) betraut, die grössere Anreize enthalten soll, in einheimische erneuerbare Energien zu investieren. Sieht der Bundesrat flankierende Massnahmen für die Entwicklung einheimischer erneuerbarer Energien vor – was positiv zu werten ist –, so muss er solche Massnahmen auch für das Personal der Elektrizitätswirtschaft vorsehen, damit dieses durch eine vollständige Marktöffnung nicht bestraft wird. Für Travail.Suisse ist klar, dass das neue StromVG sonst nicht unterstützt werden kann.