Diese Fragen beschäftigen Arbeitnehmende nach der Umsetzung des Vaterschaftsurlaubs
Am 27. September 2020 hat das Schweizer Stimmvolk mit über 60% Ja-Anteil den Vaterschaftsurlaub an der Urne angenommen. Auf Druck von Travail.Suisse, dem unabhängigen Dachverband der Arbeitnehmenden, hat sich der Bundesrat für eine schnelle Umsetzung entschieden, so dass seit dem 1. Januar 2021 endlich alle Väter in den Genuss eines Vaterschaftsurlaubs kommen. Zahlreiche Anfragen von jungen Vätern und Müttern zeigen, wo die Unklarheiten und Schwachstellen der neuen Regelung liegen. Travail.Suisse behält die Entwicklungen im Auge und unternimmt auch künftig alles, damit der neue Vaterschaftsurlaub so arbeitnehmer- und familienfreundlich wie möglich umgesetzt wird und Lücken geschlossen werden können.
Seit Beginn dieses Jahres haben junge Väter das Recht, nach der Geburt ihres Kindes zwei Wochen Vaterschaftsurlaub zu beziehen. Der Vaterschaftsurlaub ist ein Meilenstein für die Schweizer Familienpolitik und einer der wenigen sozialpolitischen Fortschritte der letzten Jahre. Zahlreiche Anfragen von Vätern und Müttern, die bei Travail.Suisse eingegangen sind, zeigen, dass noch viele Fragen und Unklarheiten bestehen, insbesondere in Bezug auf die Anspruchsberechtigung, das Verhältnis zu bestehenden Regelungen sowie zum Zeitpunkt des Bezugs. Zudem besteht insbesondere in den Bereichen der öffentlich-rechtlichen Anstellungsverhältnisse und der Geburtsumstände Korrekturbedarf.
Anspruchsberechtigt sind auch temporäre Angestellte
Besonders viele Unklarheiten gibt es rund um die Frage der Anspruchsberechtigung. Grundlage für einen Anspruch ist die rechtliche Vaterschaft des Arbeitnehmers. Das heisst, er muss mit der Mutter des Kindes verheiratet sein oder das Kind innerhalb von sechs Monaten anerkennen, um vom Vaterschaftsurlaub profitieren zu können. Für den Anspruch auf einen Erwerbsersatz sind zudem neun Monate AHV-Versicherung und fünf Monate vorhergehende Erwerbstätigkeit Voraussetzung.
Travail.Suisse erhält immer wieder Anfragen von Vätern, die wissen wollen, ob es rechtens ist, dass ihnen der Arbeitgeber ihr Recht auf Vaterschaftsurlaub entweder ganz verweigert oder ihnen nicht zugesteht, dass sie den Zeitpunkt des Bezugs selbst wählen können. Die Verweigerung des Vaterschaftsurlaubs und selbst das Ausüben von emotionalem Druck, damit der Vater von sich aus verzichtet, ist klar rechtswidrig. Da der Vaterschaftsurlaub nicht obligatorisch bezogen werden muss, erhalten Arbeitgebende hier unzulässige Spielräume. Diesbezügliche Anfragen kommen auffällig häufig von Arbeitnehmern aus Temporärarbeitsverhältnissen. Der Anspruch ist hier allerdings klar geregelt. Analog zur Mutterschaftsversicherung sieht das Gesetz zum Vaterschaftsurlaub auch für Väter, die in einem Temporärverhältnis arbeiten, vor dass sie einen Lohnersatz von der Erwerbsordnung erhalten, wenn Sie lange genug, d.h. mindestens neun Monate vor der Geburt, AHV-Beiträge bezahlt haben und in dieser Zeit mindestens fünf Monate erwerbstätig waren. Die Problematik bei den temporären Angestellten liegt somit nicht in einer unklaren gesetzlichen Regelung, sondern in erster Linie in der Unwissenheit oder Ausnutzung der Machtposition der Arbeitgebenden.
Der Zeitpunkt des Vaterschaftsurlaubs ist frei wählbar
Mehrere Anfragen betrafen die freie Wahl des Bezugszeitpunkts. Es gibt Arbeitgebende, welche den Arbeitnehmern in ihrem Betrieb verbieten, den Vaterschaftsurlaub direkt nach der Geburt zu beziehen, meist unter dem Vorwand betrieblicher Argumente. Einschränkungen zur Gestaltung des Bezugs sind nach Ansicht von Travail.Suisse missbräuchlich. Arbeitnehmer können selbst bestimmen, wann sie ihr Recht auf den Vaterschaftsurlaub geltend machen, selbstverständlich in Absprache mit dem/r Arbeitgeber*in. Im Gegensatz zu den Ferien darf dem Arbeitnehmer der Zeitpunkt des Bezugs aber nicht vorgeschrieben werden.
Bedauerlicherweise hat es das Parlament verpasst, im Rechtstext selbst klarzustellen, dass der Vater volle Souveränität bei der Ausgestaltung des Vaterschaftsurlaubs hat, d.h. selbst entscheiden kann, wann er diesen beziehen will. Während der Parlamentsdebatten wurde die freie Wahl des Zeitpunkts allerdings nicht bestritten. Mehr noch: Von verschiedenen Parlamentarier*innen wurde darauf hingewiesen, dass der Vaterschaftsurlaub eine Belastung für die Unternehmen sei, da Arbeitnehmende zu ungelegenen Zeiten ausfallen könnten. Das deutet darauf hin, dass man während der Debatte davon ausging, dass Väter ihren Vaterschaftsurlaub gemäss ihren Bedürfnissen beziehen können – ohne Rücksicht auf die Situation im Betrieb nehmen zu müssen. Entsprechend wurde als Gegenentwurf auch eine freie Wahl des Ferienzeitpunkts thematisiert. Die Parlamentsdebatte deutet also darauf hin, dass den Parlamentarier*innen immer klar war, dass der Bezugszeitpunkt durch den Arbeitnehmer frei gewählt werden kann.
Umgang mit bisherigen Lösungen im Obligationenrecht und den Gesamtarbeitsverträgen
Bei Travail.Suisse treffen auch regelmässig Anfragen von Vätern ein zur Frage, wie der Umgang mit bisherigen Lösungen – insbesondere in Bezug auf GAV-Lösungen und die «üblichen freien Stunden und Tage» gemäss Art. 329. Abs. 3 OR – zu werten sei. Hier konnte Travail.Suisse mittels eines Rechtsgutachtens (1) Klarheit schaffen. Darin wird bestätigt, dass der Anspruch auf Vaterschaftsurlaub mit dem Anspruch auf die «üblichen freien Stunden und Tage» kumuliert wird, d.h. dass der Vaterschaftsurlaub erst nach diesen bereits bisher gewährten «üblichen freien Stunden und Tage» beginnt. Ausserdem stützt das Gutachten die Forderung, dass bestehende gesamtarbeitsvertragliche Lösungen in vielen Fällen zum gesetzlichen Vaterschaftsurlaub dazu gezählt werden.
In den letzten Monaten hat sich zudem gezeigt, dass bürokratische Hürden bei der Anerkennung des Kindes in den Kantonen dazu führen können, dass der Anspruch auf den Vaterschaftsurlaub verfällt, weil die Kantonsbehörden zu lange brauchen, um die Vaterschaft anzuerkennen. Dies ist derzeit insbesondere im Kanton Waadt ein Problem. Für Travail.Suisse ist klar, dass bürokratische Schikanen nicht dazu führen dürfen, dass junge Väter ihren Anspruch auf Vaterschaftsurlaub verlieren, und fordert die Kantone auf, entsprechende Massnahen zu ergreifen.
Nicht alle Kantone haben Bedarf erkannt
Noch immer können in der Schweiz nicht alle Väter von einem zweiwöchigen Vaterschaftsurlaub profitieren. Betroffen sind insbesondere Kantonsangestellte, da sie üblicherweise nicht privatrechtlich, sondern nach dem öffentlichen Recht angestellt sind. Der Vaterschaftsurlaub ist hingegen privatrechtlich im Obligationenrecht geregelt.
Während die meisten Kantone ihr kantonales Arbeitsrecht auf Januar 2021 angepasst haben, so dass nun auch Kantonsangestellte und ihre Familien von zehn Tagen Vaterschaftsurlaub profitieren können, sieht der Kanton Appenzell AR bis heute keinen Handlungsbedarf und gewährt seinen Angestellten auch weiterhin nur fünf Tage. Abklärungen von Travail.Suisse haben zwar ergeben, dass die Arbeitnehmer die Möglichkeit haben, zusätzlich zu den vom Kanton gewährten fünf Tagen Vaterschaftsurlaub fünf weitere Tage unbezahlten Urlaub zu nehmen und die Entlöhnung direkt bei der Erwerbslosenkasse zu verlangen. Diese Lösung zeigt aber letztlich vor allem die Absurdität dieser Verweigerung. Travail.Suisse wertet die Weigerung, den Vaterschaftsurlaub auf zwei Wochen zu verlängern als Geringschätzung des Kantons gegenüber seinen Angestellten und ihren Familien und kritisiert den Entscheid, weil er die Gleichstellung von Mann und Frau bereits im Ansatz behindert.
Herzlose Lösung im Falle des Kindstodes
Auch das Bundesparlament zeigte sich in manchen Bereichen nicht gerade grosszügig. Im Gegenteil, der Entscheid, dass der Vaterschaftsurlaub mit dem Tod des Kindes entfällt (vgl. Art. 16j Abs. 3 Lit. d) wurde von Nationalrätin Martina Munz (SH) bereits in der Debatte zurecht als «herzlos» verurteilt. Während das Recht auf Mutterschaftsurlaub richtigerweise auch dann besteht, wenn das Kind nach der Geburt stirbt, beziehungsweise wenn die Schwangerschaft mindestens 23 Wochen gedauert hat, hat der Vater lediglich Anspruch auf freie Tage beim Tod von Familienangehörigen, in der Regel drei Tage. Dass die fehlende Zeit für Familien nach einem solch tragischen Ereignis für Betroffene ein Problem ist, zeigen verschiedene Anfragen, die bei Travail.Suisse eingegangen sind. Travail.Suisse bedauert sehr, dass hier nicht mehr Rücksicht auf die psychische Verfassung der Väter und Mütter genommen wurde und fordert dringend eine Anpassung.
In den knapp 150 Tagen seit dem Inkrafttreten des Vaterschaftsurlaubs haben sich einige Unklarheiten und sogar Lücken offenbart. Dennoch ist der Vaterschaftsurlaub ein willkommener Erfolg in der Familienpolitik, der jungen Familien wertvolle Zeit und Entlastung schenkt. Travail.Suisse gibt weiterhin vollen Einsatz, damit in Zukunft noch mehr junge Familien davon profitieren können.
--------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------
(1): Zur Medienmitteilung