Wiedereinstieg von Frauen: Beratung muss wieder finanziert werden
In Zeiten des akuten Fachkräftemangels richten Wirtschaft und Politik ihr Augenmerk auf Frauen: sie sollen zurück in den Arbeitsmarkt geholt werden bzw. ihr Erwerbspensum erhöhen. Doch wie können solche Bemühungen erfolgreich sein? Travail.Suisse konnte sich im Rahmen eines vom SECO organisierten Runden Tisches Ende November dazu einbringen. Das Fazit von Travail.Suisse: Die Qualität der Wiedereingliederung muss Vorrang haben, und zwar dank einer mehrmonatigen professionellen Begleitung, die für alle Wiedereinsteigerinnen zugänglich ist.
Das verfügbare Fachkräftepotenzial bei Frauen ist gross. Einerseits arbeitet nur die Mehrheit der Frauen Teilzeit, andererseits gibt eine von fünf teilzeitbeschäftigten Frauen an, unterbeschäftigt zu sein, ihr Erwerbspensum also gerne erhöhen möchte. Bei Frauen ohne nachobligatorische Ausbildung sind es sogar fast 40 %, die unter dieser Situation leiden (1). Wenn man zu diesen Zahlen noch die Arbeitslosenquote hinzurechnet, ergibt sich eine doppelt so hohe Arbeitsmangelquote bei Frauen wie bei Männern.
Bei Frauen, die sich aus familiären Gründen aus dem Arbeitsmarkt zurückgezogen haben, zeigt eine aktuelle Analyse der Beschäftigungsstatistik (2), dass mehr als die Hälfte (55%) bereit sind, «bei einem interessanten Angebot» wieder eine Arbeit aufzunehmen. Die noch laufende Studie des Staatssekretariats für Wirtschaft SECO in Beantwortung des Postulats Arslan 20.4327 weist sogar eine Quote von 82% aus. Zur Erinnerung: Das Postulat fordert den Bundesrat auf, eine Gesamtstrategie und einen Massnahmenplan zur Ermöglichung des Wiedereinstiegs von Frauen in die Arbeitswelt zu erarbeiten. Die besagte Studie befragte ein Panel von 1’000 Frauen mit Kindern im Alter von bis zu 12 Jahren. Die ersten Ergebnisse wurden anlässlich eines vom SECO organisierten Runden Tisches am 30. November vorgestellt, an dem Wirtschaftskreise, Verbände sowie kantonale und eidgenössische Ämter und Behörden teilnahmen, auch Travail.Suisse gehörte zu den Teilnehmenden.
Seit mehreren Jahren bilden die Frauen ein «Reservoir» an Arbeitskräften, das für die Unternehmen von grossem Interesse ist. Mit seinem bereits vor neun Jahren im Auftrag des damaligen Bundesamtes für Berufsbildung, dem heutigen Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation SBFI, durchgeführten Projekt «Expérience ReProf» hat Travail.Suisse Fachwissen im Bereich der beruflichen Wiedereingliederung von Frauen erworben. Für die Durchführung dieser Studie wurden Dutzende von qualitativen Interviews mit Sozialdiensten, Regionalen Arbeitsvermittlungszentren RAV, kantonalen Behörden und vor allem mit Frauenberatungsstellen geführt. Travail.Suisse hat dabei eine andere Sichtweise auf die Thematik als die Wirtschaft und das SECO: Im Mittelpunkt stehen die Bedürfnisse der Frauen, insbesondere derjenigen, die nicht über einen grossen Ausbildungs- und Erfahrungsschatz zurückgreifen können und geringe finanzielle Mittel zur Verfügung haben.
Fehlende Finanzierung von Beratungsstellen hinterlässt Lücke
Zum Zeitpunkt der von Travail.Suisse durchgeführten Studie wurden die Beratungsstellen zur Beratung von Frauen im Erwerbsleben und zur Förderung des Wiedereinstiegs noch vom Eidgenössischen Büro für Gleichstellung im Rahmen der im Gleichstellungsgesetz (Artikel 15) vorgesehenen Finanzhilfen unterstützt. Seither hat das EDI seine Strategie überdacht und diese Finanzhilfen abgeschafft. Das Argument war, dass neue Gesetze in Kraft getreten waren und dies zu «Doppelspurigkeiten» geführt habe. 2018 wurden die Finanzhilfen für die Beratungsstellen abgeschafft und die Kantone kümmern sich seither alleine um die Beratung und berufliche Integration. Das Angebot, das diese Beratungsstellen für Frauen bereitstellten, wurde jedoch nicht vollständig von den kantonalen Berufs-, Studien- und Laufbahnberatungen (BSLB) übernommen, wie eine vom Eidgenössischen Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann in Auftrag gegebene Studie aufzeigen konnte. Diese Studie geht auf das Postulat Moret 19.3621 zurück, das vom Bundesrat einen Bericht verlangte, der einen Überblick über den Bedarf und das Angebot an Beratungsleistungen zur Erleichterung des beruflichen Wiedereinstiegs von Frauen, die aus familiären Gründen aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sind, liefert.
Die BSLB ist in erster Linie auf die Beratung von jungen Berufseinsteigerinnen und Berufseinsteigern spezialisiert, nicht aber auf die Beratung von Frauen, die oftmals schon älter sind. Die Beratung muss angesichts der vielen sehr spezifischen Fragen, die sich stellen, unter professioneller Begleitung über mehrere Monate erfolgen.
Wenn der Wille zur Wiederaufnahme einer beruflichen Tätigkeit vorhanden ist, müssen zahlreiche Fragen beantwortet werden. Sie betreffen die psychologischen und emotionalen Aspekte der Bewerberinnen, die Auswirkungen von Lebensereignissen auf ihren beruflichen Werdegang, die Erfordernisse aufgrund des Alters der Frauen, der Kinder oder der privaten Situation (Vereinbarkeit) und nicht zuletzt alle Fragen im Zusammenhang mit der Chancengleichheit. Die Beratungsstellen für Frauen, von denen weniger als die Hälfte die Streichung der Bundesmittel überlebte und sich anderen Tätigkeiten zuwandte, boten Unterstützung bei der beruflichen Wiedereingliederung und Beratung an und hatten Verbindungen zu den Unternehmen in ihrer Region aufgebaut.
Was zerstört wurde, wurde nicht ersetzt. Wie die Präsidentin der Schweizerischen Konferenz der Gleichstellungsbeauftragten SKG, Maribel Rodriguez, die zudem Vorsteherin des Büros für die Gleichstellung von Frau und Mann des Kantons Waadt ist, es ausdrückte: «Seit 2018 wurde ein Vakuum von den Verbänden und Beratungsstellen hinterlassen, die ein bewährtes Coaching anboten. Dieses Vakuum wurde seit der Streichung der Finanzhilfen des Bundes nicht mehr gefüllt.»
Zahlreiche Massnahmen auf drei Ebenen
Was gilt es jetzt zu tun? Welche Massnahmen werden am effektivsten sein? Das SECO identifiziert nur drei Handlungsfelder: eine Senkung der Kosten für die familienergänzende Kinderbetreuung, familienfreundlichere Arbeitsbedingungen in den Unternehmen sowie individuelle Präferenzen und Berufschancen. Das ist eindeutig zu wenig.
Die Teilnehmenden ergänzten die zu kurzen Schlussfolgerungen des SECO. Auf der ersten Ebene der zu erwartenden Massnahmen steht, was der Bund tun kann. Die erste Massnahme ist offensichtlich: Es geht darum, das vor 2018 bestehende Coaching-Angebot für Frauen neu zu schaffen, sei es auf der Ebene der Verbände oder sei es auf der Ebene der kantonalen BSLB. Ein mehrmonatiges, leicht zugängliches, professionelles Coaching muss wieder angeboten und finanziert werden, ebenso wie gezielte Ausbildungsmassnahmen. Für Travail.Suisse hat die Qualität des Wiedereinstiegs Vorrang vor der Anzahl der Frauen, die wieder eine Stelle finden. Die neue Stelle muss den Fähigkeiten und Kenntnissen der Wiedereinsteigerinnen entsprechen. Der Wunsch, mehr zu arbeiten, geht – bei erwerbstätigen Frauen mit Kindern unter 12 Jahren – systematisch mit dem Gefühl einher, überqualifiziert zu sein, wie die SECO-Studie gezeigt hat.
Auf der zweiten Ebene wurde die Verbesserung der strukturellen Rahmenbedingungen von den Teilnehmenden des Runden Tisches häufig erwähnt. Die Einführung eines mehrmonatigen bezahlten Elternurlaubs, der von beiden Elternteilen gleichermassen angestrebt wird, hat viele Stimmen auf sich vereint. Travail.Suisse plädierte für die Herabsetzung der maximalen Wochenarbeitszeit, damit eine Vollzeitstelle die Verbindung mit dem übrigen nicht beruflichen Leben zulässt, wie dies bei mehreren unserer europäischen Nachbarn der Fall ist. Die Anerkennung von im Ausland erworbenen Diplomen muss verbessert und beschleunigt werden, um die Integration von Migrantinnen zu erleichtern, die in der SECO-Studie weitgehend vergessen wurden. Der Zugang zu und die Finanzierung von beruflicher Aus- und Weiterbildung für Frauen, die nicht oder nur in reduziertem Umfang auf dem Arbeitsmarkt präsent sind, ist ebenfalls ein wichtiges Thema.
Was die Massnahmen der dritten Ebene betrifft, d. h. die Massnahmen, die die Unternehmen bereits ergreifen können (3), insbesondere im Bereich der Flexibilität, so darf diese nicht einseitig zulasten der Arbeitnehmenden gehen. Es muss sichergestellt werden, dass alle ihr Privat- und Berufsleben planen und organisieren können und sich ausserhalb der Arbeit ausreichend erholen können, um ihre Gesundheit zu erhalten.