BVG-Reform: die Dringlichkeit ist gegeben – der Kompromiss liegt bereit
Der Bundesrat hat den Vorschlag zur BVG-Reform unverändert in die Vernehmlassung geschickt. Die Vernehmlassungsantworten sind nun weitgehend bekannt. Der Vorschlag erhält von breiter Seite Unterstützung. Insbesondere der tiefere Umwandlungssatz bei gleichzeitigem Leistungserhalt wird begrüsst. Noch zu wenig Kompromissbereit zeigen sich allerdings einige politische Parteien. Es wird dringend Zeit, dass sie sich zusammen rauffen. Wer stets die Dringlichkeit einer Reform betont und trotzdem mit der bereits einmal gescheiterten Arbeit von vorne beginnen möchte, macht sich unglaubwürdig.
Der Bundesratsvorschlag für die BVG-Reform sieht eine Anpassung bei den wichtigsten Parametern vor: tieferer Umwandlungssatz, Angleichung der Altersgutschriften, Halbierung des Koordinationsabzugs. Das Rentenniveau wird zudem über einen Rentenzuschlag gesichert. Der Vorschlag passt damit das BVG den neuen Realitäten an den Finanzmärkten und der höheren Lebenserwartung an. Zudem werden erste Modernisierungsschritte vorgenommen. Ältere Arbeitnehmende werden entlastet, Teilzeitangestellte besser versichert und die Renten tiefer Einkommen erhöht.
Die Vernehmlassungsantworten zeigen, dass die Arbeit der Sozialpartner gewürdigt wird. Praktisch alle Vernehmlassungsantworten betonen zudem die Dringlichkeit einer Reform. Viele unterstützen die Reformvorlage, wenn auch mit einer mittleren Unzufriedenheit. So ist es auch den Sozialpartnern ergangen. Das nennt sich Kompromiss. Dies zeigt sich beispielsweise bei den Kantonen darunter Bern, Waadt, Freiburg oder Solothurn. Auch der Gemeindeverband und der Städteverbrand unterstützen die Reform in der vorliegenden Form. Zudem stehen SPS und Grüne – trotz vereinzelter Kritik - grundsätzlich hinter dem Vorschlag.
Es wird aber auch nicht mit Kritik gespart, insbesondere von Seiten der politischen Parteien: die Senkung des Koordinationsabzugs geht einigen zu wenig (FDP), anderen hingegen zu weit (SVP). Gleiches gilt für die Altersgutschriften. Auch hier wünschen sich einige Parteien eine weniger starke Senkung (SVP), andere hingegen eine Vereinheitlichung für alle Versicherten (FDP). Weiter gibt es Forderungen nach einer besseren Versicherung bei Mehrfachbeschäftigung (CVP). Zudem wird ein früherer Beginn des Sparprozesses vorgeschlagen (FDP, CVP, SVP).
Für das Gelingen der Reform ist die Frage nach einer Lösung für die Übergangsgeneration entscheidend. Die Sozialpartner schlagen dafür eine zentrale Lösung über den Sicherheitsfonds vor. Dieser Vorschlag findet eine breite Zustimmung. Einzig die SVP spricht sich dagegen aus. Ihr Vorschlag, welcher eine dezentrale Kompensation für lediglich 10 Jahrgänge vorsieht, sichert allerdings weder das Rentenniveau, noch vermag er das System der beruflichen Vorsorge zu stabilisieren. Eine dezentrale Kompensation ist für viele, vor allem gewerbliche Kassen, schlicht nicht zu leisten. Er macht deshalb in einer BVG-Reform, mit dem grundsätzlichen Ziel einer Stabilisierung und Modernisierung der beruflichen Vorsorge keinen Sinn.
Umstritten ist auch die Finanzierung der Rentensicherung. Der Vorschlag der Sozialpartner sieht vor, dass wie bereits bei der Einführung der obligatorischen beruflichen Vorsorge, ein Lohnbeitrag auf alle versicherten Löhne erhoben und ein Rentenzuschlag an alle Versicherten ausgerichtet wird. Dieser bekannte Mechanismus wird von einzelnen Parteien kritisiert (FDP, CVP). Es wird eine andere Finanzierung – beispielsweise über Geld der Nationalbank (CVP) – bevorzugt. Das Argument der Generationengerechtigkeit, welches dafür ins Feld geführt wird, scheint dafür allerdings wenig plausibel. Erträge der Nationalbank kommen dadurch ebenfalls der Übergangsgeneration zugute und nicht jüngeren Versicherten. Mehr Generationengerechtigkeit wird mit einer Finanzierung über die Nationalbank deshalb nicht erreicht.
Der Rentenzuschlag finanziert über einen Lohnbeitrag ist deshalb ein praktikables, effizientes und erprobtes Instrument zur Leistungssicherung. Es rundet die einfache BVG-Reform ab und ist für Travail.Suisse ein unverzichtbares Element im Kompromiss. Dies auch, weil dadurch die Renten für tiefe versicherte Einkommen steigen und höhere Einkommen einen grösseren Anteil an die Kompensation des tieferen Umwandlungssatzes leisten müssen. Dies ist berechtigt, denn Versicherte mit hohen Einkommen weisen auch eine höhere Lebenserwartung auf und werden dadurch länger eine Rente beziehen. Diese ungewollte Solidarität im heutigen System von Versicherten mit tiefen Einkommen zugunsten von Versicherten mit hohen Einkommen wird mit dem Rentenzuschlag reduziert. Es handelt sich somit keineswegs um ein solidarisches Element. Vielmehr wird der Effekt einer ungewollten Solidarität gegenüber heute etwas reduziert.
Die Vernehmlassungsfrist endet am 29. Mai. Anschliessend muss der Bundesrat entscheiden, welche Vorlage er dem Parlament vorlegen wird. Mit praktisch jeder Veränderung an der aktuellen Vorlage wird er neue Veto-Positionen eröffnen. Auch deshalb wurde von den Sozialpartnern bewusst eine schlanke Reform vorgeschlagen. Allen ist bewusst, dass diese nicht alle Probleme auf einmal löst. Wer es aber ernst meint mit der Dringlichkeit einer BVG-Reform – und dies scheint bei allen Parteien der Fall zu sein – ist gut beraten, über seinen Schatten zu springen. Die Sozialpartner haben es vorgemacht. Ein erneutes Scheitern der Reform ist keine Option und dürfte letztlich auch den Wählerinnen und Wählern kaum erklärbar sein.