Lohngleichheit: Europas Fortschritte als Ansporn für die Schweiz
Der Bundesrat hat Änderungen im Obligationenrecht in die Vernehmlassung geschickt, um grössere Unternehmen zu einer umfassenden Nachhaltigkeitsberichterstattung zu verpflichten. Diese Reform betrifft auch die Lohngleichheit zwischen Männern und Frauen. Travail.Suisse begrüsst die Anpassungen und fordert weiter, dass sich die Schweiz auch an den strengeren EU-Richtlinien in Bezug auf die Lohngleichheit in Unternehmen ab 100 Mitarbeitenden orientiert.
Der vom Bundesrat vorgelegte Vorentwurf befasst sich mit der «Transparenz über nichtfinanzielle Belange» und der nachhaltigen Unternehmensführung. Er betrifft in erster Linie das Obligationenrecht, das Vorschriften zu Transparenz integrieren muss, um einer neuen EU-Richtlinie zu entsprechen. Grosse Unternehmen sind künftig dazu verpflichtet, Informationen zur Nachhaltigkeit ihrer Geschäftstätigkeit in den Bereichen Umwelt, Menschenrechte und Bekämpfung von Korruption zu veröffentlichen. Betroffen sind Unternehmen ab 250 Mitarbeitenden, ab einem bestimmten Umsatzerlös und einer bestimmten Bilanzsumme.
Die Transparenz über nichtfinanzielle Belange betrifft auch die Lohngleichheit. So müssen die betroffenen Unternehmen einen jährlichen Nachhaltigkeitsbericht erstellen, der neben anderen sozialen Themen auch ein Kapitel zur Gleichstellung der Geschlechter enthält. Gemäss einer Stellungnahme des Eidgenössischen Amtes für das Handelsregister ist dafür eine Lohngleichheitsanalyse zwingend erforderlich. Das Schweizer Gleichstellungsgesetz GlG sieht eine solche Lohngleichheitsanalyse bereits heute für Unternehmen ab 100 Mitarbeitenden vor. Das Gesetz weist aber diverse Mängel auf: Unternehmen, die eine unerklärte Lohndifferenz feststellen, sind nicht verpflichtet, Korrekturmassnahmen zu ergreifen, zudem sind weder Kontrollen noch Sanktionen vorgesehen, und schliesslich erlischt die Pflicht zur Lohnanalyse automatisch im Jahr 2032. Die EU-Gesetzgebung geht hier deutlich weiter.
Die EU-Richtlinie 2023/970 zur «Stärkung der Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit durch Entgelttransparenz und Durchsetzungsmechanismen» wird im Juni 2027 für Unternehmen ab 150 Beschäftigten und im Juni 2031 für Unternehmen mit 100 bis 149 Beschäftigten in Kraft treten. Die Richtlinie verlangt u.a. absolute Lohntransparenz, ein leicht zugängliches Informationsrecht für die Belegschaft, eine gemeinsame Beurteilung der Entlöhnung mit den Arbeitnehmervertretungen und staatliche Massnahmen zum Schutz der Arbeitnehmenden und ihrer Vertreter:innen vor Rachekündigungen. Die Verpflichtung der Unternehmen, Massnahmen zu ergreifen, und die Verpflichtung der Staaten, abschreckende Sanktionen gegen die Unternehmen vorzusehen, sind ebenfalls Teil dieser EU-Richtlinie, die in weniger als zwei Jahren in Kraft treten wird und alle privaten und öffentlichen Unternehmen betrifft. All diese Elemente fehlen im Schweizer Gleichstellungsgesetz.
Lohngleichheit: Gleich lange Spiesse für alle grösseren Unternehmen
In seinem erläuternden Bericht zur laufenden Vernehmlassung hält der Bundesrat fest, er wolle «bei der nachhaltigen Unternehmensführung international abgestimmt bleiben» und die strenger gewordene EU-Gesetzgebung berücksichtigen. Für Travail.Suisse ist diese Vernehmlassung eine Gelegenheit, die gleiche Kohärenz und das gleiche koordinierte Vorgehen bei der Lohngleichheit in den Unternehmen zu fordern.
Langfristig erwartet Travail.Suisse vom Bundesrat, dass er den gleichen Willen zeigt, um die Lohngleichheit voranzutreiben. Die Schweiz muss auch die erwähnte EU-Richtlinie 2023/970 berücksichtigen, die in der Frage der Lohngleichheit viel strenger ist als die lückenhafte Schweizer Gesetzgebung. Die EU-Mitgliedstaaten haben bis zum 7. Juni 2026 Zeit, ihre nationale Gesetzgebung anzupassen. Auch die Schweiz sollte daher unverzüglich mit der Revision ihres Gleichstellungsgesetzes beginnen.
Ein revidiertes Gleichstellungsgesetz muss eine jährliche Verpflichtung zur Analyse der Lohngleichheit enthalten, wie dies auch im Konsultationsentwurf zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (für Unternehmen ab 250 Mitarbeitenden) vorgesehen ist. Derzeit beträgt der im GlG verankerte Rhythmus vier Jahre, ausserdem ist unklar, welche Kriterien eine erneute Überprüfung erforderlich machen. Mit einer Anpassung des GlG würden somit nicht zuletzt für alle Unternehmen ab 100 Mitarbeitenden die gleichen Bedingungen gelten.