Familienzeit – Feminismus verteidigen heisst Gleichstellung verteidigen
Kann man sich auf die feministische Sache berufen und die Gleichstellung von Frauen und Männern vernachlässigen? Kann man im Namen der Frauenrechte eine gleichberechtigte Familienzeit beider Elternteile ablehnen? Beide Fragen beantwortet Travail.Suisse ganz klar mit Nein. Die rechtliche und faktische Gleichstellung der Geschlechter ist ein übergeordnetes Ziel, für das die Frauenbewegung seit ihrer Gründung kämpft. Im Interesse der Frauen ist es notwendig, für die Gleichstellung zu kämpfen und die Ungleichheiten zu bekämpfen, die in den Familien mit der Geburt von Kindern entstehen.
Vom Kampf der Suffragetten für die Anerkennung der Bürgerrechte im 19. Jahrhundert bis zu den Hashtags (#metoo) der neuen digitalen Kommunikation im dritten Jahrtausend lässt sich die Geschichte der Frauenbewegung in «Wellen» nachzeichnen, die jeweils von einem bestimmten soziokulturellen Kontext geprägt sind. Es muss daher von Feminismen im Plural gesprochen werden und nicht von Feminismus als einer einzigen Bewegung. Eine Konstante zieht sich jedoch durch die Zeit: das übergeordnete Ziel, Gleichberechtigung im Gesetz, aber auch die tatsächliche Gleichstellung aller Menschen, unabhängig von Geschlecht und Gender, zu erreichen. Dies ist auch das Ziel von Artikel 8 Absatz 3 der Bundesverfassung und des Gesetzes über die Gleichstellung von Frauen und Männern
Trotz aller Fortschritte, die in den letzten Jahren erzielt wurden, ist die tatsächliche Gleichstellung nach wie vor in vielen Bereichen nicht erreicht. Auch im Bereich der Geburtsurlaube besteht immer noch eine Rechtsungleichheit. Diese hat mittel- und langfristig negative Folgen, die vor allem die Frauen betrifft. Die Beseitigung dieser Ungleichheit im Gesetz und damit auch in der Praxis, ist ein typischer Kampf des Feminismus damals wie heute.
Ungleichheit zwischen Eltern im historischen Kontext
Aus einer historischen Perspektive lässt sich die ungleiche Verteilung der Geburtsurlaube zwischen den Eltern erklären (14 Wochen Mutterschaftsurlaub und 2 Wochen Urlaub für den zweiten Elternteil). Dank des politischen Engagements von feministischen Frauen und Männern erhalten Mütter seit 2005 einen bezahlten Mutterschaftsurlaub. Die Arbeitnehmerinnen zahlten zwar – wie auch die Arbeitnehmer – in die Erwerbsersatzkasse ein, gingen aber leer aus, obwohl sie in den ersten acht Wochen nach der Entbindung ein Arbeitsverbot hatten. Die Einführung des bezahlten Mutterschaftsurlaubs im Jahr 2005 und die Einführung des Vaterschaftsurlaubs im Jahr 2021 sind wichtige, wenn auch späte Fortschritte zugunsten der Frauen, Eltern und ihrer Kinder. Für Travail.Suisse ist es deshalb essentiell, dass jegliche Anpassungen im Bereich der Geburtsurlaube keine Verschlechterung der bestehenden Rechte nach sich ziehen.
Die Dauer der Geburtsurlaube auf Bundesebene ist sehr kurz, zu kurz. Die Rückkehr an den Arbeitsplatz nach nur dreieinhalb Monaten, gestaltet sich so schwierig, dass die meisten frischgebackenen Mütter ihren Urlaub auf eigene Kosten verlängern. Sie tun dies umso mehr, je weniger Kitaplätze für Babys zur Verfügung stehen, je mehr sie von ihrer Ärztin oder ihrer Hebamme dazu angehalten werden, ihr Kind mindestens sechs Monate lang zu stillen, und je mehr sie sich dies finanziell und beruflich leisten können. Die Feststellung ist einfach: Die 14 Wochen Mutterschaftsurlaub sind das Ergebnis eines politischen Kompromisses gegen den Widerstand der bürgerlichen Parteien. Diese Dauer entspricht nicht den Bedürfnissen von Müttern, Kindern und Familien und schon gar nicht dem übergeordneten Bedürfnis nach Gleichstellung. Dasselbe gilt für den Vaterschaftsurlaub: 10 Tage sind angesichts dessen, was auf dem Spiel steht, nicht ausreichend. Auch diese Dauer ist das Ergebnis eines politischen Kompromisses, der die schnelle Einführung des Vaterschaftsurlaubs ermöglicht hat.
Paritätischer Familienzeit als kleine Revolution
Ende November 2024 kündigte eine breite Allianz von Organisationen und politischen Parteien – darunter Travail.Suisse – an, im Frühjahr 2025 eine Volksinitiative zu lancieren, um in der Schweiz eine paritätische Familienzeit von zweimal 18 Wochen, also insgesamt 36 Wochen, einzuführen. Mit anderen Worten: Die Initiative sieht vor, dass sich beide Elternteile eines Neugeborenen während insgesamt neun Monaten dank eines bezahlten Elternurlaubs ausschliesslich um ihr Kind kümmern können, und zwar nacheinander während eines gleich langen Zeitraums von je 18 Wochen. Gegenüber der heutigen Regelung profitieren damit beide Elternteile: Mütter erhalten vier Wochen mehr als bisher, der zweite Elternteil deutlich mehr.
Der Vorschlag stösst auch in einigen feministischen Kreisen auf Widerstand, was verständlich ist, wenn man bedenkt, wie lange (fast 60 Jahre!) für den Mutterschaftsurlaub gekämpft werden musste: Es handelt sich hier um eine kleine Revolution für die Schweiz. Die Initiative postuliert, dass Elternschaft eine Angelegenheit beider Elternteile ist und nicht ausschliesslich die der Mütter. Gleichzeitig garantiert sie aber ausdrücklich, dass die Dauer der künftigen Familienzeit, die jedem Elternteil vorbehalten ist, nicht kürzer sein darf als die Dauer der derzeitigen Geburtsurlaube.
Schliesslich sieht der Initiativtext vor, dass Arbeitnehmende mit tiefen Löhnen während der Familienzeit bis zu 100% des Lohnes erhalten. Heute werden Geburts- und Adoptionsurlaube nur zu 80% entschädigt. Dies, und die Garantie, dass der aktuelle Mutterschaftsurlaub nicht angetastet wird, hat Travail.Suisse und seine Verbände davon überzeugt, sich der Allianz für eine Familienzeit anzuschliessen und gemeinsam im Frühling die Initiative zu lancieren. Die derzeitige gesetzliche Regelung ist für die tiefen Einkommen wenig sozial, und sie zementiert die Ungleichheit zwischen Müttern und Vätern. Dies hat weitreichende Folgen für die Frauen, da sie für viele Arbeitgebende ein besonderes Risiko darstellen. Frischgebackene Mütter werden nach dem Mutterschaftsurlaub teilweise entlassen, da ihre Arbeitgeber das Risiko antizipieren, dass sie bei einer weiteren Schwangerschaft erneute ausfallen könnten, bei Beförderungen übergangen oder gar nicht erst eingestellt.
Illusion der «neuen Väter»
In Bezug auf die Arbeitsteilung innerhalb der Familie ist es sicherlich richtig, dass in den letzten dreissig Jahren «moderne» Väter entstanden sind: Sie übernehmen weitaus mehr Familienarbeit als ihre eigenen Väter, sie wickeln ihre Kinder, füttern und trösten sie, bringen sie in die Kita oder den Kindergarten usw. Die meisten Väter sind in der Lage, ihre Kinder zu betreuen und zu versorgen. Die Teilzeitarbeit hat bei den Männern stark zugenommen, auch wenn sie im Vergleich zu erwerbstätigen Müttern immer noch eine sehr kleine Minderheit darstellt. Es wird sogar von «neuen Väter» gesprochen. Doch das ist eine Illusion, wie nicht zuletzt zwei aktuelle Bücher zeigen (1). Der Mental Load der Kindererziehung liegt weiterhin bei den Müttern. Dies zeigt sich exemplarisch daran, dass 83% der Arzttermine für Kinder von den Müttern wahrgenommen werden. Auch elterliches Burn-out betrifft nach wie vor mehrheitlich Mütter. Der Grund dafür liegen auch in der Arbeitswelt, die es nicht akzeptiert, dass ein Vater weniger als 100% erwerbstätigt ist, aber auch in der verbreiteten Kultur, die Männlichkeit nur als Synonym für Leistung sieht. Ein weiterer Grund ist die ungleiche Verteilung des Elternurlaubs.
Ungleiche Elternurlaube: ein Eigentor für die feministische Bewegung
Die Verteidigung der Besitzstände der Frauen ist ein berechtigtes und wichtiges Anliegen. Travail.Suisse lehnt deshalb jegliche Kürzung oder «Flexibilisierung» des aktuellen Mutterschaftsurlaubs ab. Die Beibehaltung ungleicher Elternurlaube, zum Beispiel durch eine Verlängerung des Mutterschaftsurlaubs ohne gleichzeitige Verlängerung des Urlaubs im gleichen Ausmass für den zweiten Elternteil, bedeutet hingegen eine Zementierung der geschlechtsspezifischen Rollenverteilung. Das ist ein Eigentor für die feministische Bewegung. Indem man nur den Müttern nach einer Geburt eines Kindes ermöglicht, nach der Geburt eines Kindes ein Jahr oder länger aus dem Erwerbsleben auszusteigen, billigt man implizit die Tatsache, dass Frauen beruflich auf der Strecke bleiben, während ihre Partner ihre Karrieren ohne Unterbrechung und ohne negative Folgen fortsetzen können. Die französische Philosophin und Feministin Elisabeth Badinter hat bereits 2010 in ihrem Buch «Der Konflikt: Die Frau und die Mutter» erkannt, wie die vermeintlichen Anliegen von Müttern globale feministische Fortschritte mitunter bremsen können: «Wenn die Mutterschaft zur heiligen Mission erhoben wird, läuft man Gefahr, die Frau auf ihre Rolle als Mutter zu reduzieren, auf Kosten ihrer Autonomie und ihrer Gleichstellung mit den Männern» (eigene Übersetzung).
Kann man in der Ablehnung des Projekts einer gleichberechtigten Familienzeit eine Tendenz zum «maternal gatekeeping» vermuten? Die Forderung nach einer einseitigen Verlängerung des Mutterschaftsurlaubs allein bedeutet auch, dass die Mütter ihr «Monopol» in der Familiensphäre behalten können. Dabei ist es eine Tatsache, dass sich die Muster der Eltern in Bezug auf die Pflege und Betreuung der Kinder von der Geburt an entwickeln. Eine gerechtere Arbeitsteilung zwischen beiden Elternteilen kann nicht im Namen eines Feminismus abgelehnt werden, der nur den vermeintlichen Bedürfnissen der Frauen Gehör schenkt. Väter und zweite Elternteile müssen ihre eigenen «Care-Kompetenzen» erwerben, und dafür brauchen sie exklusive Zeit, in der sie allein am Ruder sind. Kinder wiederum brauchen wann immer möglich beide Elternteile. Man kann nicht für die Rechte der Frauen eintreten und sich zum Feminismus bekennen, ohne sich für die Gleichstellung in allen Bereichen, sowohl im Beruf als auch in der Familie, einzusetzen. Genau dies soll mit der paritätischen Familienzeit erreicht werden.
Sources
(1) Kevin Hiridjee : « Qu'est-ce qu'un père ? Regards sur les paternités d’hier et d'aujourd'hui », Guillaume Daudin und Stéphane Jourdain : « L'Arnaque des nouveaux pères »