Neue Familienzeit-Initiative: Gleichstellung steht im Mittelpunkt
Im Frühling 2025 wird eine eidgenössische Volksinitiative für eine Familienzeit lanciert – dies hat ein breites Bündnis Ende November angekündigt. Travail.Suisse, der unabhängige Dachverband der Arbeitnehmenden, steht gemeinsam mit alliance F, den Grünen, den Grünliberalen und den Mitte Frauen hinter der Initiative. Für Travail.Suisse ist diese Initiative die logische Fortsetzung des Erfolgs, der mit der Einführung des Vaterschaftsurlaub vor fünf Jahren erreicht wurde. Die Einzigartigkeit der geforderten Familienzeit liegt im Ziel der Gleichstellung beider Eltern: Jeder Elternteil soll Anspruch auf seinen Anteil an Familienzeit haben, den er oder sie nicht auf den anderen Elternteil übertragen kann. Dies ist nicht zuletzt aufgrund der Situation, mit der junge Mütter auf dem Arbeitsmarkt konfrontiert sind, sinnvoll.
Am 4. Juli 2017 reichte die von Travail.Suisse getragene Allianz die Initiative «Für einen vernünftigen Vaterschaftsurlaub – zum Nutzen der ganzen Familie» mit 107'000 Unterschriften ein. Diese sah einen Vaterschaftsurlaub von 20 Tagen vor. Aufgrund eines indirekten Gegenvorschlags des Parlaments, eines Referendums und einer anschliessenden erfolgreichen Volksabstimmung haben Väter und zweite Elternteile seit dem 1. Januar 2020 das Recht, nach der Geburt ihres Kindes ihrer Arbeit während zwei Wochen fern zu bleiben. Obwohl nur ein kleiner Schritt, stellte dies für die Schweizer Familienpolitik einen grossen Fortschritt dar: innerhalb von nur zweieinhalb Jahren seit der Einreichung der Initiative hatte die Schweiz auf einen Schlag von 0 auf 10 Tage umgestellt. Heute besteht die Möglichkeit, die Schweizer Familienpolitik erneut entscheidend voranzubringen, mit der Lancierung der Initiative für eine gleichberechtigten Familienzeit von je 18 Wochen pro Elternteil.
Während der Kampagne für den Vaterschaftsurlaub hat Travail.Suisse immer wieder betont, dass der zweiwöchige Vaterschaftsurlaub nur ein erster – aber unerlässlicher – Schritt auf dem Weg zu einer echten Elternzeit für beide Elternteile sei. Travail.Suisse unterstützte das Modell der Eidgenössischen Kommission für Familienfragen EKFF, die sich seit 2010 für einen Elternurlaub von 38 Wochen einsetzt. In der Überzeugung, dass ein weiterer Fortschritt zugunsten der Familie nur dank einer breiten Allianz verschiedener politischer Parteien und Organisationen der Zivilgesellschaft überzeugen kann, engagiert sich Travail.Suisse für die Familienzeit-Initiative, die ein Modell von insgesamt 36 Wochen, d.h. je 18 Wochen für jeden Elternteil, vorschlägt.
Bestehende Ungleichheit zwischen Eltern benachteiligt Frauen auf dem Arbeitsmarkt dauerhaft
Bereits 2018 prangerte Travail.Suisse an, dass die Abwesenheit des Vaters in den Wochen und Monaten nach der Geburt eines Kindes zu einer Ungleichheit führt, unter der die Mütter mittel- und langfristig leiden. Die Tatsache, dass nach der Geburt eines Kindes nur die Mutter dem Arbeitsmarkt mehrere Monate fernbleibt, kann ein Risiko bei der Anstellung und ein Risiko bei der Beförderung von Frauen bedeuten. Ein Risiko, das manche Arbeitgeber so weit wie möglich ausschliessen möchten. Eine im Auftrag des Bundesrats durchgeführte Studie zeigte 2018, dass «insgesamt elf Prozent der Frauen, die vor der Geburt erwerbstätig waren, nach dem Mutterschaftsurlaub nicht arbeiteten, obschon sie es wollten.» (1)
So sieht die Realität auf dem Arbeitsmarkt für Frauen aus, die Mütter geworden sind. Frauen, die ihre Schwanger bekannt geben, sehen sich allzu oft mit negativen Reaktionen konfrontiert: Laut der oben genannten Studie schlug der Arbeitgeber in 11% der Fälle vor, das Arbeitsverhältnis in «gegenseitigem Einverständnis» zu beenden. Bei 7% kündigte der Arbeitgeber an, das Arbeitsverhältnis nach dem Mutterschaftsurlaub (bzw. nach der Schutzfrist von 16 Wochen) beenden zu wollen. Für fast jede fünfte Frau bedeutete die Mitteilung der Schwangerschaft also, dass der Arbeitgeber sich von der Arbeitnehmerin trennen wollte. Für Männer gilt nichts dergleichen: Die Geburt eines Kindes führt häufig zu einer Beförderung oder einer Lohnerhöhung, während sie für Frauen einen Karriereknick bedeutet. Inzwischen wurde zwar ein Vaterschaftsurlaub von 10 Tagen eingeführt, doch angesichts der anhaltenden Ungleichheit zwischen den beiden Elternteilen wird dies allein keine Trendwende bewirken.
Für mehr Gleichstellung: keine Übertragung der Familienzeit zwischen den Eltern
Die Pflicht, die Erwerbstätigkeit nach einer Geburt zu unterbrechen, gilt derzeit aus offensichtlichen gesundheitlichen Gründen nur für Mütter. Das Arbeitsgesetz verbietet es Frauen, innerhalb der ersten acht Wochen nach der Entbindung erwerbstätig zu sein. Zwischen der 9. und der 16. Woche nach der Geburt dürfen Frauen nur arbeiten, wenn sie dem zustimmen. Die meisten Frauen verlängern den als zu kurz empfundenen gesetzlichen Mutterschaftsurlaub von 14 Wochen auf eigene Kosten (durch Resturlaub, Überzeit oder unbezahlten Urlaub). Väter hingegen sind nicht verpflichtet, ihren Vaterschaftsurlaub zu beziehen. In der Realität nehmen ihn jedoch zwei Drittel tatsächlich in Anspruch. Der neue Vorschlag zur Familienzeit berührt die Bestimmungen zum Schutz der Gesundheit von Frauen oder den 14-wöchigen Mutterschaftsurlaub nicht. Es besteht auch kein Recht auf Übertragung: Wenn ein Elternteil seinen Teil der Familienzeit nicht in Anspruch nimmt, kann er oder sie ihn nicht auf den anderen Elternteil übertragen, und dieser Teil verfällt.
Die Erfahrungen in anderen europäischen Ländern – die lange vor der Schweiz einen Elternzeit eingeführt haben – haben gezeigt, dass Väter ihren Anteil der Elternzeit sehr oft an die Mutter ihres Kindes weitergeben und so die Ungleichheit zwischen Müttern und Vätern auf dem Arbeitsmarkt noch verschärfen. Inzwischen haben die meisten unserer Nachbarländer dies korrigiert, indem sie für jeden Elternteil einen reservierten und nicht übertragbaren Anteil der Elternzeit (2). Dieser Charakter der Nichtübertragbarkeit wird im Initiativtext Familienzeit-Initiative übernommen. Die Initiantinnen und Initianten wollen niemandem ein Familienmodell aufzwingen, aber die künftigen Bestimmungen sollen auch nicht das Fortbestehen des sogenannten «modernen bürgerlichen» Modells fördern, bei dem die Mütter zwar arbeiten, aber nur in reduziertem Umfang, während die Väter eine 100-prozentige Karriere verfolgen, ohne jemals die Möglichkeit zu haben, ihre elterlichen Fähigkeiten im Alltag zu entwickeln.
Eine rote Linie: der bestehende Mutterschaftsurlaub
Die Verbände von Travail.Suisse waren begeistert von der Idee, sich an diesem neuen Abenteuer für eine Familienzeit zu beteiligen. An ihrer Vorstandssitzung haben sie einstimmig für die Unterstützung der Unterschriftensammlung gestimmt. Die drei Hauptargumente, die sie überzeugten, waren, dass erstens der derzeitige Mutterschaftsurlaub von 14 Wochen nicht in Frage gestellt wird, dass zweitens Frauen einen längeren Urlaub erhalten (4 Wochen mehr), und dass drittens Eltern mit tiefen Einkommen eine Entschädigung in der Höhe von 100% ihres bisherigen Einkommens erhalten (aktuell sind es 80%). Der endgültige Text der Initiative muss noch von der Bundeskanzlei genehmigt werden, aber man kann schon jetzt sagen, dass er diese beiden Grundsätze festschreibt.
Eine Volksinitiative zielt darauf ab, einen Grundsatz in der Bundesverfassung zu verankern. Deshalb werden nicht alle Details im Initiativtext beschrieben: Es wird Sache des Parlaments sein, die anschliessenden Gesetze und Verordnungen zu erlassen. Es wird jedoch Leitplanken geben: In keinem Fall darf der Gesetzgeber die bestehenden Geburtsurlaube kürzen (14 Wochen für die Mutter, 2 Wochen für den zweiten Elternteil). Die Familienzeit wird paritätisch und nicht übertragbar sein, sie muss nacheinander bezogen werden mit einer Überschneidung von maximal vier Wochen. Finanziert wird die Familienzeit über das Erwerbsersatzsystem EO, über eine neue Elternversicherung, welche die Mutterschaftsversicherung und die Vaterschaftsentschädigung ersetzt. Entscheidend für Travail.Suisse ist, dass die untersten Einkommen von einer Entschädigung von bis zu 100 Prozent des Lohnes profitieren sollen. Die Familienzeit darf nicht zu einer Einrichtung für Privilegierte werden. Schliesslich wird der Bundesrat durch Übergangsbestimmungen ermächtigt, die Familienzeit von 2 x 16 Wochen innerhalb von fünf Jahren nach der Annahme durch das Volk auf dem Verordnungsweg einzuführen, falls das Parlament die Beine in den Sand setzt.
Dies sind die Grundzüge der Initiative, die in Vorbereitung ist. Die Mitglieder von Travail.Suisse sind von diesem Projekt bereits begeistert und organisieren sich für die Unterschriftensammlung. In den kommenden Monaten werden wir noch oft Gelegenheit haben, über diesen neuen Vorschlag zugunsten der Familien zu sprechen, der auf das Wohl der Kinder und die effektive Förderung der Gleichstellung der Geschlechter abzielt.
(1) Melania Rudin, Mutterschaftsurlaub: Erwerbsunterbrüche vor und nach der Geburt
(2) EKFF. Policy Brief #3 «Elternzeit: Eine notwendige und lohnende Investition ». November 2020.
Mehr Infos zur Familienzeit-Initiative: www.travailsuisse.ch/familienzeit