Mit einem umfassenden Konzept zur Stärkung der Laufbahnberatungskompetenzen leisten die Universitäten Bern und Lausanne einen wichtigen Beitrag, um die Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung weg von einer punktuellen Beratung hin zu einer kontinuierlichen Begleitung zu entwickeln. Aus Sicht von Travail.Suisse ist die Unterstützung der Arbeitnehmenden bei der Gestaltung der eigenen Berufslaufbahn und dem Erhalt der Arbeitsmarktfähigkeit eine immer wichtiger werdende Aufgabe in einer sich verändernden Arbeitswelt.
Die Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung (BSLB) erbringt eine wichtige Leistung für die Arbeitnehmenden in der Schweiz. Während die Berufs- und Studienberatung gut bekannt und fest verankert ist und jedes Jahr Jugendlichen und jungen Erwachsenen bei der Erkundung der rund 250 beruflichen Grundbildungen und einer Vielzahl von Studienrichtungen hilft, ist die Laufbahnberatung möglicherweise etwas weniger bekannt. Dass der Beratungsbedarf nicht mit der Wahl eines Berufes oder einer Studienrichtung abgeschlossen ist, hat viel mit der kontinuierlichen Veränderung der Arbeitswelt zu tun, die sich mit den Auswirkungen der Digitalisierung noch beschleunigt. Stichworte wie Standortbestimmungen, Weiterbildung und lebenslanges Lernen kommen hier ins Spiel und mit «viamia» hat die BSLB ein Instrument erhalten, um die Laufbahnberatung der Arbeitnehmenden ab 40 Jahren zu stärken. Die Unterstützung der Arbeitnehmenden über die gesamte Berufslaufbahn hinweg wird nach Ansicht von Travail.Suisse in den nächsten Jahren noch weiter an Bedeutung gewinnen – nicht zuletzt deshalb hat Travail.Suisse der Stärkung der BSLB im Kongressdokument 2023-2027 ein eigenes Teilkapitel gewidmet.
Von der punktuellen Beratung zur ständigen Begleitung
In einem kürzlich erschienen Bericht der Universitäten Bern und Lausanne im Auftrag der Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektor:innen (EDK) werden die Laufbahngestaltungskompetenzen (LGK) umfassend definiert und Herausforderungen und Mängel über diverse Bildungsstufen und Laufbahnphasen hinweg aufgezeigt. Die Autoren entwerfen dabei ein integratives Modell, welches sowohl für Schülerinnen und Schüler, für Lernende, für Studierende als auch für Erwachsenen in unterschiedlichen Laufbahnphasen die Laufbahngestaltungskompetenzen klar definiert und deren Förderung über die gesamte Erwerbsbiografie propagiert und damit die Wirkung der BSLB steigert. Kerngedanke ist, dass nicht nur mit punktuellen Beratungen – z.B. Berufskunde bei Schülerinnen und Schülern oder Bewerbungskursen bei arbeitslosen Personen – ein lösungsorientierter Ansatz gewählt wird, um bestimmte Probleme in der Laufbahn zu adressieren, sondern kompetenzorientiert kontinuierlich begleitend in den Aufbau der LGK investiert wird. Besonders lesenswert ist dieser Bericht aus zwei Gründen. Erstens werden in beindruckender Systematik Laufbahngestaltungskompetenzen ausgeführt und fein ziseliert deren Unterschiede in unterschiedlichen Bildungsgefässen (Volksschule, Gymnasien, Berufsschule, Studium) und Laufbahnphasen (frühe, mittlere und späte) dargestellt und die verschiedenen Akteure vorgestellt. Und Zweitens werden die Lehrpläne der obligatorischen Schule auf das Vorhandensein dieser LGK’s untersucht und Empfehlungen zur Weiterentwicklung und Verbesserung der Förderung in allen Bereichen gemacht.
Travail.Suisse unterstützt umfassende Förderung der Laufbahngestaltungskompetenzen
Die im Bericht beschriebene Förderung von Laufbahngestaltungskompetenzen in diversen Kontexten stellt einen umfassenden Ansatz dar, der über punktuelle Problemlösungen hinausgeht. Damit ein solch präventiver und nachhaltiger Ansatz umgesetzt werden kann, braucht es diverse Anpassungen und entsprechend grosse Unterstützung durch Bildungsakteure und Entscheidungen der politischen Ebene. Travail.Suisse, der unabhängige Dachverband der Arbeitnehmenden, geht hier gerne voraus und deklariert seine grundsätzliche Unterstützung für eine grundlegende und flächendeckende Förderung der Laufbahngestaltungskompetenzen. Wir teilen die Einschätzung, dass LGK die Arbeitnehmenden befähigen, sich an schnell verändernde Arbeitsmarktbedingungen anzupassen und die nachhaltige Aufrechterhaltung und Entwicklung der Arbeitsmarktfähigkeit unterstützen und dabei die Bewältigung von beruflichen Übergängen erleichtern und das lebenslange Lernen fördern. Insbesondere in den folgenden Bereichen sind die Empfehlungen des Berichts gut an Forderungen von Travail.Suisse anknüpfbar:
- Zeitpunkt und Intensität der Vermittlung von LGK in Sekundarstufe I: Eine frühe und intensive Vermittlung von LGK in der Volksschule kann die Ausgangslage im Berufswahlprozess verbessern. Nach wie vor ist der Entscheid zum Übertritt ins Gymnasium stark von soziodemografischen Merkmalen geprägt, resp. die Wahl für einen Beruf stark durch genderstereotype Vorstellungen beeinflusst.
- Anpassung der Dienstleistungen auf Zielgruppen sicherstellen: Die Dienstleistungen der Berufs-, Studie- und Laufbahnberatung werden von heterogenen Personengruppen in Anspruch genommen. Eine noch stärkere Fokussierung auf die unterschiedlichen Zielgruppen und eine entsprechende Anpassung der Dienstleistungen hilft, die individuellen Erfahrungen und Ausgangslagen zu berücksichtigen und die Förderung der LGK auch bei benachteiligten Gruppierungen zu verbessern.
- Schulung des Personals: Die Qualität der Ausbildung zum/zur Berufs-, Studien- und Laufbahnberater:in ist bereits auf hohem Niveau aber dennoch kontinuierlich zu überprüfen. In der Ausbildung der Volksschul-Lehrpersonen sind die Kenntnisse über LGK’s stärker zu verankern und im Bereich der Berufsbildner und Berufsbilderinnen besteht erheblicher Verbesserungsbedarf. Auch bei den RAV und in der IV besteht bedeutender Schulungsbedarf des Personals.
- Sinnvollere Mitarbeitendengespräche: Die Qualität der Mitarbeitendengespräche (so sie denn überhaupt stattfinden – was gemäss «Barometer Gute Arbeit» von Travail.Suisse bei über 15 Prozent der Arbeitnehmenden nicht der Fall ist) ist mangelhaft. Auch die Laufbahnentwicklung und die erforderlichen LGK sollten systematisch thematisiert werden.
- Nachhaltige Finanzierung und Ausbau von «viamia»: Mit «viamia» ist für die BSLB ein Instrument geschaffen worden, welches die Laufbahnberatung stärkt und die allgemeine Arbeitsmarktfähigkeit thematisiert und weniger eng an Berufswahl und Stellensuche gebunden ist. Der im ersten Entwurf der BFI-Botschaft 2025-2028 vorgeschlagene Rückzug des Bundes aus der Finanzierung konnte in der Vernehmlassung gestrichen werden. Aus Sicht von Travail.Suisse braucht es nicht weniger, sondern mehr Finanzierung, um das erfolgreiche Instrument für weitere Personengruppen (z.B. Wiedereinsteigende) zugänglich zu machen und das Follow-up einer Standortbestimmung sicherzustellen.