Krankheit und Arbeit: Wie sind Arbeitnehmende heute abgesichert?
Wenn ein Arbeitnehmer oder eine Arbeitnehmerin nicht arbeiten kann, stellt sich die Frage, ob und wie lange er oder sie weiterhin einen Lohn erhält. Bei Unfall, Militärdienst oder Mutterschaft sorgen obligatorische Sozialversicherungen dafür, dass Arbeitnehmende weiterhin Lohn erhalten. Dauer und Höhe des Lohnersatzes sind ebenso festgelegt wie die Finanzierung. So ermöglichen zum Beispiel 0.5 Lohnprozente die Finanzierung der Leistungen aus der Erwerbsersatzordnung, die im Falle von Militärdienst, Mutterschaft oder Vaterschaft zum Tragen kommt.
Anders sieht es aus, wenn ein:e Arbeitnehmende:r wegen Krankheit länger ausfällt. In der Schweiz gibt es heute keine obligatorische Krankentaggeldversicherung in der Schweiz. Das heisst, die Arbeitgebenden sind bis dato nicht verpflichtet, eine Krankentaggeldversicherung abzuschliessen, die im Krankheitsfall die Lohnfortzahlung sichert. Was bedeutet dies für die Lohnfortzahlungen im Einzelfall?
Lohnfortzahlungen bei Arbeitgebenden ohne Krankentaggeldversicherung
Wenn ein Arbeitgeber keine Krankentaggeldversicherung abgeschlossen hat, hängt die Dauer der Lohnfortzahlung für eine:n erkrankte:n Arbeitnehmer:in von den Dienstjahren ab. Je nach Kanton gilt dafür eine der drei folgenden Skalen.

Die Skalen machen deutlich, dass die Lohnfortzahlung nur während einer kurzen Krankheitsdauer gesichert ist. Bei einer längeren Krankheit, wie beispielsweise einer Krebserkrankung, reicht die Lohnfortzahlung nicht aus und die Betroffenen stehen nach kurzer Zeit unverschuldet ohne Einkommen da. Dasselbe gilt für Personen, die aufgrund ihrer Krankheit eine IV-Rente beantragen müssen. Da IV-Verfahren mehrere Jahre dauern können, ist es sehr wahrscheinlich, dass die Betroffenen in der Zwischenzeit keinen Lohn erhalten und auf Sozialhilfe angewiesen sind.
Absicherung in Gesamtarbeitsverträgen
Die Arbeitnehmerverbände sind sich dieser Lücke in der sozialen Absicherung bewusst. Deshalb ist die Absicherung im Krankheitsfall in den meisten Gesamtarbeitsverträgen geregelt. Sie sehen in der Regel im Krankheitsfall eine Lohnfortzahlung von 720 oder 730 Tagen innerhalb von 900 Tagen vor. Während dieser Zeit wird in der Regel 80% des Lohnes als Taggeld gezahlt.
Arbeitgebende, die einem Gesamtarbeitsvertrag unterstellt sind, schliessen deshalb in aller Regel eine Krankentaggeldversicherung ab, um sich finanziell abzusichern. 95% der Verträge werden als privatrechtliche Versicherungsverträge abgeschlossen. Gesetzlich besteht auch die Möglichkeit, eine Krankentaggeldversicherung über das Krankenversicherungsgesetz abzuschliessen. Da dort die Leistungen jedoch sehr gering sind, wird davon kaum Gebrauch gemacht.
Verbreitung der Krankentaggeldversicherung in der Schweiz
Der Bund verfügt aktuell über keine Zahlen zur Anzahl der Arbeitnehmenden, die durch eine Krankentaggeldversicherung abgesichert sind. Aufgrund der Verbreitung von Gesamtarbeitsverträgen können gewisse Annahmen getroffen werden. Gegen 40% der Arbeitnehmenden in der Schweiz sind einem Gesamtarbeitsvertrag unterstellt und verfügen somit in der Regel über eine Krankentaggeldversicherung.
Im Rahmen der jährlich durchgeführten Umfrage «Barometer Gute Arbeit» zu den Arbeitsbedingungen in der Schweiz hat Travail.Suisse die Arbeitnehmenden zur Krankentaggeldversicherung befragt, um ein Bild über die Verbreitung von Krankentaggeldversicherungen zu erhalten. Das Ergebnis sieht wie folgt aus:

Während 53.7% der Befragten angeben, dass ihr Arbeitgeber eine Krankentaggeldversicherung abgeschlossen hat, verneinen dies 10.6%. 32.1% der Befragten wissen nicht, ob ihr Arbeitgeber eine Krankentaggeldversicherung abgeschlossen hat.
Es gibt also eine grosse Zahl von Arbeitsverhältnissen, bei denen wir nicht wissen, ob sie gegen Krankheit abgesichert sind. Travail.Suisse erachtet es als zwingend, dass alle Arbeitnehmenden im Krankheitsfall auf eine ausreichende Lohnfortzahlung durch eine Krankentaggeldversicherung zählen können.