Die Unternehmenssteuerreform III gewährt Grossunternehmen übermässige Steuergeschenke und überlässt die hohe Rechnung dafür dem Volk. Bei einem Nein an der Urne kann diese ungerechte Situation bereinigt werden, indem die Wirtschaft zu einer korrekten Gegenfinanzierung der Reform verpflichtet würde. Ein Nein birgt kein Risiko, denn das Parlament müsste zwangsläufig eine neue Vorlage erarbeiten. Die Schweiz hat nämlich keine andere Wahl, als diese kantonalen steuerlichen Sonderregelungen aufzuheben, um eine für den Finanz- und Wirtschaftsplatz Schweiz untragbare Situation zu verhindern.
Ursprüngliches Ziel der Unternehmenssteuerreform III war die Aufhebung der kantonalen steuerlichen Sonderregelungen für Holding- und Verwaltungsgesellschaften, die nicht im Einklang mit internationalen Steuernormen stehen. Schon vor der Reform hat sich Travail.Suisse für die Aufhebung dieser Steuerprivilegien ausgesprochen, denn diese widersprechen den steuerlichen Grundsätzen der Gleichheit und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit gemäss Bundesverfassung.
Bedauerlicherweise haben die Eliten aus Politik und Wirtschaft von Anfang an die Notwendigkeit, diese kantonalen Steuerregelungen aufzuheben, genutzt, um ein grosses Paket mit Steuererleichterungen für Unternehmen zu schnüren, das das angestrebte Ziel völlig verfehlt. Ausserdem gab es absolut keinen Druck von internationaler Seite, ein solches Arsenal an Steuersenkungsmassnahmen einzuführen. Das Ergebnis: mindestens 1,3 Milliarden Steuereinbussen beim Bund – je nach Entwicklung der Einnahmen aus der direkten Bundessteuer – und mehrere Milliarden weniger Steuern auf kantonaler Ebene, hauptsächlich weil die Kantone ihre Sätze für die Unternehmensgewinnsteuer senken. Bevor die Reform überhaupt in Kraft getreten ist, was für 2019 geplant wäre, hat sie bereits eine Negativspirale des interkantonalen ruinösen Steuerwettbewerbs ausgelöst. Während der durchschnittliche Unternehmenssteuersatz in der Schweiz von 2005 bis 2014 bereits um über 4 Prozentpunkte von 22 auf 18 % gesenkt wurde, wird die heutige Entwicklung in Anbetracht der in der Mehrheit der Kantone bereits beschlossenen oder angekündigten Massnahmen gar zu einer Senkung auf unter 16 % führen (z. B. Waadt von 22,8 auf 13,8 %, Genf von 24,2 auf 13,5 %, Basel-Stadt von 22,2 auf 13 %, Schaffhausen von 16 auf 12 %). 1
Über die Reform abstimmen, ohne das Steuerverlustniveau zu kennen
Zu diesen enormen Steuereinbussen werden weitere kommen, deren Ausmass noch unbekannt ist. Denn die Reform überlässt es den Kantonen, die Instrumente der Reform nach ihrem Gutdünken einzusetzen: freiwillige Anpassungen der kantonalen Kapitalsteuern, Möglichkeit, höhere Steuerabzüge für den Forschungs- und Entwicklungsaufwand einzuführen (Inputförderung), freiwillige Einführung einer überdurchschnittlichen zinsbereinigten Gewinnsteuer auf Eigenkapital. Das Parlament hat die verschiedenen Steuererleichterungen begrenzt, doch diese Grenze wurde extrem tief angesetzt, da die Erleichterungen aus der Patentbox 2 , der Inputförderung, der zinsbereinigten Gewinnsteuer und der vorgenommenen Abschreibungen infolge der vorzeitigen Abschaffung der kantonalen Steuerregelung 80 % des steuerbaren Reingewinns vor Abzug dieser Erleichterungen nicht übersteigen dürfen. Mit anderen Worten werden die Unternehmen, die alle Möglichkeiten ausschöpfen, kaum noch kantonale Gewinnsteuern zahlen, vielleicht sogar noch weniger als mit einigen der bestehenden kantonalen Steuerregelungen!
Um zu vermeiden, dass sich der Fehler, der damals bei der Unternehmenssteuerreform II im Jahr 2008 gemacht wurde, wiederholt, als die Steuerverluste in Milliardenhöhe «unterschätzt» worden waren, verzichtet die Bundesverwaltung diesmal auf Schätzungen potenzieller Steuerverluste der Instrumente, die den Kantonen bereitgestellt werden. Mit anderen Worten: Wir werden über eine Vorlage abstimmen, deren finanzielle Auswirkungen zum Teil noch unbekannt sind.
Die Bevölkerung finanziert die Unternehmenssteuerreform
Diese Steuerverluste in Milliardenhöhe wird die Bevölkerung tragen müssen, da das Parlament auf jegliche Gegenfinanzierung durch die Wirtschaft verzichtet. Das bedeutet für die Bevölkerung Leistungsabbau oder Steuererhöhungen. Je nach Kanton und dessen finanzieller Lage wird die Situation anders sein. Zahlreiche Kantone haben Finanzprobleme, und in einigen Kantonen wurden einschneidende Sparpakete geschnürt. In seiner Berichterstattung zur Finanzstatistik vom September 2016 plant die Eidgenössische Finanzverwaltung für die Kantone im Jahr 2016 ein defizitäres Finanzierungsergebnis von 1,278 Milliarden und für 2017 ein solches von 336 Millionen ein. Auch für die Gemeinden ist für 2016 und 2017 je ein negatives Finanzierungsergebnis von rund 400 Millionen Franken vorgesehen.
Mit der Unternehmenssteuerreform III wird sich die Lage zwangsläufig verschärfen. In vielen Kantonen muss man sich auf neue Sparprogramme gefasst machen oder auf Steuererhöhungen für natürliche Personen, um die Steuererleichterungen für die Unternehmen zu finanzieren. Bei einigen Sparprogrammen wird die Unternehmenssteuerreform III eine Familie mit mittlerem Einkommen mehrere Tausend Franken jährlich kosten: wegen höherer Schulgelder, steigender Gebühren oder einer Senkung der Prämienverbilligungsbeiträge für die Krankenversicherungen. Die Abstimmung über die Unternehmenssteuerreform III, die im Februar 2017 stattfindet, bietet nun die einmalige Möglichkeit, diese Vorlage mit übermässigen und ungerechtfertigten Steuererleichterungen für die Unternehmen zu korrigieren. Stellen wir uns darauf ein, dass Wirtschaftskreise im Rahmen der Abstimmungskampagne bei einer Ablehnung eine Wirtschaftskatastrophe voraussagen. Denn nach ihren Angaben werden viele begünstigte Unternehmen die Schweiz angeblich verlassen, was zum Verlust von mehreren Tausend Arbeitsplätzen und von zu Mindereinnahmen bei den Steuern in Milliardenhöhe führen würde.
Sich nicht von der unbegründeten Panikmache der Wirtschaftskreise aufschrecken lassen
Lassen wir uns nicht von der Angst und der Erpressung in Sachen Beschäftigung und Steuern instrumentalisieren und lähmen, denn die Argumente der Befürworter der Reform entbehren jeglicher Grundlage. Erstens sind die Kantone ja dabei, ihre Steuersätze stark zu senken. Warum sollten also begünstigte Unternehmen ins Ausland abwandern? Denn abgesehen von der attraktiven Steuersituation gehört die Schweiz zu den weltweit besten Ländern punkto Standortfaktoren für ausländische Unternehmen. Unser Land hat insbesondere eine sehr gute Infrastruktur, ein ausgezeichnetes Bildungssystem und qualifizierte Fachkräfte, einen flexiblen Arbeitsmarkt, eine hohe Innovationskraft, effiziente Verwaltungsstrukturen usw. Und, was entscheidend ist: Ein Nein des Stimmvolks zur Reform ist eindeutig kein Nein zur Aufhebung der Steuerprivilegien für ausländische Unternehmen. Denn (fast) niemand bestreitet mehr, dass diese Sonderregelungen abgeschafft werden müssen. Das Nein gilt den massiven Steuerverlusten, die ungerechterweise von der Bevölkerung zu tragen sind. Da diese Steuerregelungen zwangsläufig aufgehoben werden müssen – die Schweiz hat keine Wahl mehr –, würde eine Ablehnung der Vorlage das Parlament zwingen, eine neue Vorlage zu erarbeiten, die diesmal von der Wirtschaft korrekt gegenfinanziert würde.
Sollte das Stimmvolk am 12. Februar 2017 ein Nein in die Urne legen, spricht sich Travail.Suisse für eine Gegenfinanzierung der Reform durch die Wirtschaft, für eine Erhöhung des Steuersatzes für Dividenden sowie für die Einführung einer Kapitalgewinnsteuer aus, wie dies in der ursprünglichen Vorlage des Bundesrates vorgesehen war. Eine weitere Möglichkeit wäre eine spürbare Anhebung des Steuersatzes für die Gewinnbesteuerung von Unternehmen auf Bundesebene, die der starken Senkung der kantonalen Steuersätze, die momentan in Gang ist, entgegenwirken würde. Schliesslich müsste ein Nein des Schweizer Stimmvolks auch zur sofortigen Aufgabe des separaten Projekts zur Aufhebung der Emissionsabgabe auf Eigenkapital führen, die weitere Steuereinbussen in dreistelliger Millionenhöhe bewirken würde.
Aktuelle und geplante kantonale Gewinnsteuersätze (inkl. Anteil Bund von 7,9 %)
Kantone Aktueller/Gewinnsteuersatz/Geplanter Gewinnsteuersatz
ZH 21,2 % 18,2 %
BE 21,6 % 16,4–17,7 %
LU 12,3% Keine Senkung geplant
UR 15,1 % Unbekannt
SZ 14,9 % Unbekannt
OW 12,7 % Unbekannt
NW 12,7 % Keine Senkung geplant
GL 15,7 % 14,2 %
ZG 14,6 % 12,0 %
FR 19,9 % 13,7 %
SO 21,9 % Unbekannt
BS 22,2 % 13 %
BL 20,3 % 14,0 %
SH 16,0 % 12–12,5 %
AR 13,0 % Unbekannt
AI 14,2 % Unbekannt
SG 17,4 % 14,0 %
GR 16,7 % Unbekannt
AG 18,9 % Unbekannt
TG 16,4 % 13,0 %
TI 20,7 % 17,5 %
VD 22,8 % 13,8 %
VS 21,6 % Unbekannt
NE 17,0 % 15,6 %
GE 24,2 % 13,5 %
JU 20,9 % Unbekannt
Quelle: KPMG (2016), Swiss Tax Report
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p(footnote). 1 Siehe Tabelle mit den kantonalen Unternehmensgewinnsteuersätzen am Ende des Artikels
2 Die Patentbox sieht eine Vorzugsbesteuerung gewisser Unternehmenserträge aus Immaterialgütern vor, insbesondere für Erträge aus Patenten, Lizenzen usw.
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