Bei einer Annahme der Volksinitiative «Für Ehe und Familie – gegen die Heiratsstrafe» würde die Ungleichbehandlung von wohlhabenden Zweiverdienerhaushalten aufgehoben. Das würde über die direkte Bundessteuer alle anderen Haushalte und Familien belasten. Die Steuerverluste infolge der Initiative würden sich auf rund 2 Milliarden Franken für den Bund und 390 Millionen Franken für Kantone und Gemeinden belaufen. Damit müssten Bund und Kantone den Gürtel noch enger schnallen. Die meisten verheirateten Paare und Familien wären folglich indirekt von einem Leistungsabbau (z. B. Prämienzuschüsse der Krankenversicherung, höhere Schulgelder) oder von unvermeidbaren Steuererhöhungen betroffen.
Die CVP-Initiative ist im Aufwind, wie die Umfragen zeigen. Das ist verständlich: Denn was wäre logischer, als Ungleichheiten zwischen verheirateten und nicht verheirateten Paaren bei der direkten Bundessteuer auszumerzen? Ein Bundesgerichtsentscheid bezeichnet eine höhere Steuerbelastung von verheirateten Paaren im Vergleich zu nicht verheirateten Paaren als verfassungswidrig. Doch diese Ungleichbehandlung betrifft nur rund 80‘000 Paare mit zwei Einkommen sowie verheiratete Rentner mit mittleren bis hohen Einkommen. Zudem wurde die Situation nach diesem Bundesgerichtsentscheid von 1984 grossenteils korrigiert, weshalb verheiratete Paare im Allgemeinen nicht mehr benachteiligt sind. Die Kantone haben diese Ungleichbehandlung unterschiedlich behoben: durch Vollsplitting (z. B. FR, BL, SG), Teilsplitting (SO, GR, NE), ein Doppeltarifsystem (BE, ZG), Konsumeinheiten (VD) oder einen Steuerrabatt (VS). Verheiratete Paare geniessen gegenüber nicht verheirateten Paaren sogar eine eher bessere Stellung, je nach Beschäftigungsgrad der Ehepartner und Einkommensniveau.
Mit anderen Worten: Die Bezeichnung der Initiative «Für Ehe und Familie – gegen die Heiratsstrafe» ist irreführend. Es gilt, zwei Elemente gegeneinander abzuwägen: einerseits die Aufhebung einer verfassungswidrigen Ungleichbehandlung, die sich hauptsächlich auf die direkte Bundessteuer beschränkt und die bei Bund und Kantonen zu Steuerausfällen von rund 2 Milliarden Franken führen würden und andererseits die Auswirkungen dieser Steuerverluste für die anderen Paare und Familien.
Verheiratete Paare stehen insgesamt besser da
Für die allermeisten verheirateten Paare wurde sowohl bei der direkten Bundessteuer (Verringerung der Ungleichbehandlung für zwei Drittel der Paare) als auch bei den kantonalen Steuern die Diskriminierung beseitigt. Gemäss einer Studie sind verheiratete Paare häufig privilegiert, da – je nach Betrag und Aufteilung des Einkommens – ihre Steuerlast mehr als 10 Prozent tiefer sein kann als bei nicht verheirateten Paaren mit demselben Einkommen. Es gibt noch einzelne Kantone, in denen die Steuerlast für verheiratete Paare noch über 10 Prozent höher ist als für unverheiratete Paare, und zwar für tiefe Einkommen in den Kantonen Aargau und Waadt und für hohe Einkommen im Kanton Zürich und auf Bundesebene. 1 Ein Artikel/Blog des Tages-Anzeigers 2 , der sich auf Daten der Eidgenössischen Finanzverwaltung von 2011 stützt, zeigt, dass die Heirat aus steuerlicher Sicht günstiger ist, wenn die Einkommen des Paares tiefer sind und sie sich ziemlich voneinander unterscheiden. Dieser Artikel kommt weiter zum Schluss, dass in den meisten Fällen die nicht verheirateten gegenüber den verheirateten Paaren steuerlich benachteiligt sind.
Die Ungleichbehandlung von wohlhabenden Paaren ohne Steuerausfälle verringern
Der Bundesrat hat neulich angekündigt, sich der Thematik anzunehmen, um diese Ungleichbehandlung zu beseitigen. Das spricht klar für ein Nein zur Initiative. Der Vorteil ist, dass so ein Übergang zur Individualbesteuerung nicht zum Vornherein ausgeschlossen wird (wie dies die Initiative macht), die von den Linken und einem Teil des rechten Lagers unterstützt wird. Travail.Suisse kann sich aus Prinzip schlecht für eine Ungleichheit aussprechen. Daher schlägt der Verband vor, anstelle eines Neins eine Reform vorzuschlagen, die für die Finanzen von Bund und Kantonen neutral sein wird. Die verfassungswidrige Ungleichbehandlung soll beendet werden – allerdings nicht durch eine Verringerung der Steuerlast für reiche verheiratete Paare, sondern durch eine diskriminierungsfreie Neugestaltung der Steuertarife. Wir werden keine Gegenfinanzierung beispielsweise durch eine Anhebung der Mehrwertsteuer akzeptieren, bei der die Menschen mit tiefen und mittleren Einkommen die Aufhebung der steuerlichen Ungleichbehandlung für wohlhabende verheiratete Paare berappen müssen.
Die verbleibenden steuerlichen Ungleichheiten relativieren
Man muss die verbleibenden steuerlichen Ungleichheiten zwischen verheirateten und nicht verheirateten Paaren im gesamten steuerlichen Kontext der Schweiz betrachten und relativieren. Welche Grössenordnung haben denn diese Ungleichheiten überhaupt, die im Steuerwettbewerb zwischen den Kantonen hervorgehoben werden? In Anbetracht der enormen Besteuerungsunterschiede zwischen den verschiedenen Kantonen fallen sie eigentlich kaum ins Gewicht.
Daher stellt sich die Frage, warum eine steuerliche Ungleichheit von maximal 10 Prozent zwischen verheirateten und nicht verheirateten Paaren in einigen wenigen Fällen inakzeptabel sein soll, während der Unterschied bei der Besteuerung – bei Unternehmen wie für Privatpersonen – zwischen den Kantonen mit dem tiefsten Steuerfuss und denjenigen mit dem höchsten gar 100 Prozent beträgt! So liegt der Steuersatz im Jahr 2016 für Unternehmen bei 12,32 Prozent in Luzern und 24,1 Prozent in Genf und für natürliche Personen bei 22 Prozent in Zug und 45 Prozent in Genf. 3 Diese Ungleichheiten sind nicht verfassungswidrig, doch sie wirken sich viel stärker aus als die verbleibende Ungleichbehandlung zwischen verheirateten und nicht verheirateten Paaren.
Dringende steuerliche Massnahmen wären weniger bei den verheirateten und den nicht verheirateten Paaren notwendig, sondern vielmehr in Bezug auf den Steuerwettbewerb. Die Notwendigkeit, einen exzessiven Steuerwettbewerb einzudämmen und eine Harmonisierung herbeizuführen, hat sich mit der 3. Unternehmenssteuerreform noch verschärft. Denn diese führt die Kantone in einen ruinösen Steuerwettbewerb, der verheiratete Paare und Familien durch einen Leistungsabbau noch mehr beeinträchtigt als die noch bestehenden Ungleichheiten in der Besteuerung von nicht verheirateten und verheirateten Paaren.
Neue Einsparungen zulasten von verheirateten und unverheirateten Paaren sowie Familien
Durch die Initiative würden dem Bund fast 2 Milliarden Franken und den Kantonen und den Gemeinden 390 Millionen Franken entgehen; sie würde letztlich die meisten verheirateten Paare und die Familien sowie die nicht verheirateten Paare durch zusätzliche Sparprogramme belasten. Ausserdem wird das Sparprogramm des Bundesrats, das ab 2017 in Kraft treten soll, beim Bund schon für einen Verlust von rund 1 Milliarde Franken sorgen. 2015 haben die meisten Kantone rote Zahlen budgetiert, und auch 2016 ist die Situation unverändert wegen sinkender Steuereinnahmen in einem wirtschaftlich schwierigen Umfeld infolge der plötzlichen Aufwertung des Schweizerfrankens Anfang 2015, deren Auswirkungen immer noch spürbar sind.
Schliesslich wird die 3. Unternehmenssteuerreform, die 2019 in Kraft treten soll, gemäss aktuellem Projektstand ein neues Loch von rund 1,3 Milliarden Franken in die Finanzen des Bundes schlagen. Bis 2019 könnte der Bund also 4 Milliarden Franken weniger einnehmen, was bei einem Budget von rund 67 Milliarden Franken einem Ausfall von ca. 6 Prozent entspricht.
Im heutigen finanziellen Umfeld sind die Kosten dieser Initiative folglich untragbar. Bei einer Annahme werden unweigerlich stärkere Kürzungen bei verschiedenen Leistungen des Bundes, insbesondere bei den Sozialversicherungen die Folge sein. Ein neues Sparpaket würde lanciert, das wahrscheinlich die Last auf die Kantone abwälzen oder einen Leistungsabbau zulasten der Kantone bringen wird. Am Ende der Kette steht die Mehrheit der Familien, deren materielle Lage sich mit neuen kantonalen Sparprogrammen oder mit Steuererhöhungen verschlechtert.
Bei der AHV sind verheiratete Paare im Allgemeinen nicht benachteiligt
Zwar gibt es bei der AHV eine Benachteiligung, indem die AHV-Renten bei verheirateten Paaren im Vergleich zur einfachen Rente auf 150 Prozent plafoniert sind, doch sie bietet diesen Paaren dafür andere Vorteile (Witwenrenten, Beitragsbefreiung von nicht erwerbstätigen Partnern, keine Erbschaftsbesteuerung usw.). Bei einer Aufhebung dieser Plafonierung würden jährliche Kosten von 2 Milliarden Franken entstehen. Allerdings werden die Vorteile der AHV für verheiratete Paare auf 2,8 Milliarden Franken geschätzt, woraus ein positiver Saldo von 800 Millionen Franken resultiert. Folglich bringt die Initiative auch im Hinblick auf die Sozialversicherungen für verheiratete Paare nichts Positives.
Letztlich besteht bei der AHV der einzige Nachteil darin, dass die vermehrte Berufstätigkeit von Frauen bei der Plafonierung auf 150 Prozent nicht genügend berücksichtigt wird. Aus diesem Grund muss die Anhebung dieser Plafonierung für verheiratete Paare, wie sie der Ständerat im Rahmen der Altersvorsorge 2020 knapp beschlossen hat, unterstützt werden.
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p(footnote). 1 Rudi Peters, Steuerliche Ungleichbehandlung von verheirateten und unverheirateten Paaren in den Kantonen und beim Bund. 13. Januar 2014. Eidgenössische Steuerverwaltung ESTV.
2 http://blog.tagesanzeiger.ch/datenblog/index.php/11175/11175
3 Siehe Hansueli Schöchli, «Rangliste der Kantone. In den Startblöcken für die Steuerreform.» NZZ, 26.01.2016.