Die Lösung, die sich für eine EU-kompatible Reform der Unternehmenssteuer abzeichnet, würde das Problem nur sehr bedingt lösen und die Frage der Kompensation von Steuerausfällen völlig offen lassen. Diese Diskussion muss nun transparent geführt werden – und es braucht Überlegungen zu einem Mindestsatz für die kantonale Gewinnsteuer sowie zu einer Finanztransaktionssteuer.
Nach Vorschlägen von rechten Parlamentsmitgliedern, die sich auf die Meinung von Steuerexperten aus Wirtschafts- und Finanzkreisen stützen, hat sich Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf mit der Idee des «Box-Systems» angefreundet. Dieses System, das mehrere europäische Länder anwenden, besteuert Lizenzeinkünfte sehr tief. Damit würde die Besteuerung der Lizenzrechte selektiv reduziert, und multinationale Unternehmen könnten weiterhin ihre steuerlichen Optimierungsmethoden anwenden.
Dieser Ansatz löst das Problem auf jeden Fall nur zu einem kleinen Teil und käme nur für bestimmte Unternehmen zur Anwendung. Vielleicht ist sie aber auch einfach als ein Vorverhandlungsmanöver zu betrachten, das dazu dient, im Gegenzug etwas von der EU und gewissen Mitgliedsländern zu erhalten.
Für Travail.Suisse gilt es vor allem zu vermeiden, dass der Druck, gewissen Kategorien ausländischer Unternehmen Steuerprivilegien zu gewähren, einen Steuerwettbewerb zwischen den Kantonen nach sich zieht, bei dem alle ihre Gewinnsteuern für Unternehmen senken. Die Folge wären Kürzungen im Servic public (Infrastruktur, Bildung usw.), die nicht nur ungerecht für die Betroffenen, sondern auch schädlich für die Unternehmen wären. Denn für Unternehmen ist der Steuersatz nur einer von vielen Faktoren, die in die Standortentscheidung einfliessen. Mindestens ebenso wichtig, wenn nicht wichtiger sind beispielsweise der Bildungsstand, die Qualität der Infrastruktur oder die Nähe zu Forschungszentren. Diese Faktoren sind in der Diskussion ebenfalls zu berücksichtigen.
Zwar steht für gewisse Kantone wie Genf, Waadt oder Zürich mit der Reform einiges auf dem Spiel, weil die Präsenz gewisser Firmen für ihre Wirtschaft eine wesentliche Rolle spielen. Doch es ist fundamental, dass die Situation einiger weniger Kantone nicht zu einer allgemeinen Senkung der Unternehmenssteuern im ganzen Land führt.
Travail.Suisse hofft, dass sich die Schweizer Regierung nicht zu einer Pseudo-Lösung verleiten lässt, die eher einem technischen Schachzug als einer umfassenden Überlegung gleicht. Im Zentrum müssen Steuergerechtigkeit und das öffentliche Interesse stehen. Deshalb muss die Schweiz die Steuerprivilegien gewisser Unternehmen aufheben, ohne die Unternehmenssteuern in der ganzen Schweiz zu senken.
Eine überzeugende Lösung muss auf drei Hauptpunkten beruhen:
- Transparenz: Es braucht verlässliche Daten zum Umfang des Problems und eine realistische Schätzung zur Höhe der Steuerausfälle infolge der Reform, ohne ein Katastrophenszenario heraufzubeschwören.
- Vermeidung eines neuen ungesunden Steuerwettbewerbs, der für die Arbeitnehmenden schädlich ist, aber auch für die Wirtschaft als Ganzes. Deshalb braucht es einen gesamtschweizerischen Mindestsatz für die kantonalen Gewinnsteuern.
- Kompensation der Steuerausfälle. Wie bereits erwähnt sind von der Aufhebung der Steuerprivilegien nicht alle Kantone gleich stark betroffen. Zur Vermeidung eines Schadens für die am stärksten betroffenen Kantone müssen deren Einbussen kompensiert werden, zum Beispiel durch eine leichte Erhöhung der Gewinnsteuer für Unternehmen auf Bundesebene.
Finanztransaktionssteuer zum Thema machen
Die Wirtschaftskreise, die den Steuerstreit mit der EU mit der Absicht instrumentalisieren, die Steuern für alle Unternehmen zu senken, verlangen auch eine Abschaffung der Emissionsabgabe. Dies hätte Ausfälle von mehreren hundert Millionen Franken zur Folge. Wenn ernsthaft über eine Aufhebung der Stempelabgabe diskutiert wird, ist es deshalb legitim, auch über eine Finanztransaktionssteuer zu diskutieren, wie dies das Postulat Levrat verlangt 1 . Leider wurde dieses Postulat sowohl vom Bundesrat als auch vom Ständerat abgelehnt. Die Stempelabgabe ist als eine Art Kompensation dafür zu sehen, dass der Bankensektor weitgehend um die MWST herumkommt. Falls die Stempelabgabe aufgehoben wird, könnte eine Finanztransaktionssteuer eine neuerliches Ungleichgewicht korrigieren.
Die Schweiz müsste mehr tun als nur zuschauen, was in der EU geschieht, doch genau damit will es der Bundesrat gemäss seiner Antwort auf das Postulat Levrat bewenden lassen. 11 EU-Staaten (unter anderem Deutschland und Frankreich) werden eine Finanztransaktionssteuer einführen, um die Spekulation einzudämmen und gerechtfertigte Einnahmen von den Akteuren zu erhalten, welche die schwere Finanz- und Wirtschaftskrise in Europa verursacht haben. Die Schweiz täte gut daran, die Auswirkungen einer solchen Steuer für unser Land frühzeitig abzuklären. Durch die Präsenz von Schweizer Banken und Versicherungen in EU-Mitgliedsländern werden wir diese Steuer nicht vollständig umgehen können.
Das Volk wird eine erneute Senkung der Unternehmenssteuer nicht akzeptieren
Travail.Suisse wird eine Reform bekämpfen, die zu Steuerausfällen führt. Nachdem das Volk 2008 die Unternehmenssteuerreform II nur ganz knapp und auf der Grundlage von Fehlinformationen annahm, dürfte eine weitere Reform zur Senkung der Unternehmenssteuern vor dem Volk chancenlos sein. Die Bevölkerung wird einer Unternehmenssteuerreform III unter dem Deckmantel der Eurokonformität kaum zustimmen, wenn dadurch Leistungen abgebaut oder natürliche Personen höher besteuert werden.
Wenn zudem Initiativen zurückgewiesen werden, welche die – verschwiegenen – Steuerausfälle infolge der Steuerreform II kompensieren würden, wie es der Nationalrat gerade mit der Ablehnung einer Motion getan hat (die vom Ständerat angenommen wurde), dürfte die Unternehmenssteuerreform III begraben sein, bevor die definitive Fassung vorliegt!