Der Druck der EU zur Abschaffung diskriminierender kantonaler Steuersysteme, die gewisse Arten ausländischer Unternehmen besserstellen, zeigt Wirkung: Genf will für alle Unternehmen einen einheitlichen Gewinnsteuersatz von 13 Prozent einführen. Es drohen Steuerausfälle in Milliardenhöhe. Nun braucht es eine gesamtschweizerische Lösung, die verhindert, dass sich der Steuerwettbewerb zwischen den Kantonen weiter verschärft. Andernfalls werden der öffentlichen Hand Mittel für den Service public fehlen. Und dieser ist nicht nur für die Bevölkerung unentbehrlich, sondern auch für die Unternehmen.
Der Kanton Luzern konkurrenziert die anderen Innerschweizer Kantone mit einem Gewinnsteuersatz, der schweizweit zu den tiefsten gehört. Der Kanton Zug, in Sachen tiefer Steuersätze lange Zeit Champion, verlangt nun, dass interveniert wird, denn der Kanton Luzern könne sich nur dank des Zuger Beitrags zum Finanzausgleich einen so tiefen Satz leisten. Die Stadt Luzern hat nach mehrmaligen Steuersenkungen im Kanton jährlich 40 Millionen Franken weniger zur Verfügung.
In Genf, das die zu erwartende Abwanderung von Grosskonzernen vor allem im Rohstoffhandel abwenden will, hat der kantonale Finanzminister einen einheitlichen Gewinnsteuersatz von 13 Prozent angekündigt, der damit zum niedrigsten in der ganzen Schweiz würde. Ergebnis: Rund 500 Millionen Franken weniger Steuereinnahmen und Ausfälle in Milliardenhöhe, wenn auch die indirekten Folgen berücksichtigt werden (Wegzug natürlicher Personen, d.h. von Steuerzahlenden, Auswirkungen auf andere Unternehmen und die Geschäfte usw.)! Ähnlich präsentiert sich die Situation im Kanton Waadt, auch wenn dieser noch keine genauen Zahlen bekanntgegeben hat. Gleichzeitig haben mehrere Kantone Steuererhöhungen angekündigt, etwa Solothurn, Basel oder St. Gallen. Diese Steuererhöhungen, die häufig mit Sparprogrammen gekoppelt sind, reichen jedoch nicht aus, um ein ausgeglichenes Budget zu erzielen.
Es braucht einen Mindestsatz für die Gewinnsteuer in den Kantonen
Dieses Zusammenspiel aus Druck der EU und unbefriedigender Steuersituation gewisser Kantone – die angesichts grosszügiger Steuerreduktionen in den vergangenen Jahren nicht erstaunt – sollte Grund genug sein, den Steuerwettbewerb und die Steuerharmonisierung zu überdenken. Denn mit dem Beispiel Genf, dem andere Kantone folgen könnten, wird ein für die öffentlichen Finanzen ruinöser Steuerwettbewerb neu lanciert. Den Preis dafür wird die Bevölkerung bezahlen. Sie wird die Folgen der Sparprogramme in Bereichen wie Soziales, Kultur, Bildung oder Infrastruktur zu spüren bekommen. Aber auch für die Unternehmen wird dies Auswirkungen haben, da eine ungünstigere Steuersituation in den Kantonen die Standortkriterien für Unternehmen beeinträchtigen wird, beispielweise eine qualitativ erstklassige Infrastruktur oder genügend Mittel für die Bildung.
Bund und Kantone prüfen bekanntlich derzeit die Unternehmenssteuerreform III, die das Problem diskriminierender Steuersysteme gewisser Kantone regeln soll. Um zu vermeiden, dass eine grössere Zahl von Firmen in Steuerparadiese oder in Kantone mit besonders niedrigen Steuern abwandert, werden die Unternehmenssteuersätze tendenziell sinken. Wenn aber verhindert werden soll, dass die betroffenen Kantone einen ruinösen Steuerwettbewerb lancieren, indem sie ihre Gewinnsteuersätze auf das Niveau gewisser osteuropäischer Staaten senken, drängt sich eine gesamtschweizerische Lösung auf. Auf der Suche nach einer Lösung, die im Interesse der Kantone und der Bevölkerung, aber auch der Unternehmen liegt, gilt es folgende Punkte zu bedenken:
Erstens braucht es eine fundierte, unideologische Analyse der neuen Steuersituation. Es besteht nämlich die Tendenz, den Teufel an die Wand zu malen. Argumentiert wird ohne stichhaltige Beweise damit, dass sich die Unternehmen nach anderen Standorten umsehen würden, wenn die Steuersätze nicht auf ein Niveau wie in einigen osteuropäischen Ländern sinken. Dabei geht vergessen, dass die Höhe der Steuern nur ein Faktor von vielen ist, die den Standortentscheid eines Unternehmens beeinflussen. Und im globalen Standortwettbewerb hat die Schweiz genügend Trümpfe in der Hand: Sie gehört bei diversen Standortfaktoren zur Weltspitze. Besonders zu erwähnen sind das Bildungsniveau der Arbeitskräfte, die Qualität der Infrastruktur, die Nähe zu Forschungszentren, die politische Stabilität, die Lebensqualität, der flexible Arbeitsmarkt und ihre Lage im Herzen Europas.
Zweitens besteht deshalb, solange nicht objektiv das Gegenteil bewiesen wird, kein Anlass, eine Tiefststeuerpolitik zu betreiben. Es ist nicht anzunehmen, dass bei einer Gewinnsteuer von knapp 20 Prozent ein Firmenexodus folgen würde.
Drittens darf dieser Druck von aussen nicht zu einem verhängnisvollen Steuerwettbewerb nach unten führen. Vermeiden lässt sich eine solche Entwicklung nur mit einer gesamtschweizerischen Lösung, die einen kantonalen Mindeststeuersatz von etwas unter 20 Prozent vorschreibt. Ein solcher Satz hätte begrenzte Steuerausfälle zur Folge, die mit einer leichten Anhebung der Bundessteuer auf die Unternehmensgewinne kompensiert werden könnten.
Spielraum für die Schweiz dank Steuererhöhungen in der EU
Schliesslich geht der Trend in Europa, das für die Schweiz am relevantesten ist, in Richtung Steuererhöhungen, da die europäischen Länder Schulden abbauen müssen und man sich endlich bewusst wird, dass die Defizite nicht allein mit Ausgabenkürzungen aus der Welt zu schaffen sind. Auch das Projekt für eine europäische Finanztransaktionssteuer kommt nun ernsthaft voran. Dies ist erfreulich und legitim, denn die öffentliche Hand musste zahlreiche Banken vor dem Konkurs retten, die aufgrund geldgieriger Manager in Schieflage geraten waren, und es gilt zu vermeiden, dass durch Spekulationen noch einmal ein Systemrisiko für die gesamte Wirtschaft entsteht.
Dass in den vergangenen Jahren auch in der Schweiz bei den Steuern das vertretbare Minimum erreicht wurde, beweist die Schwierigkeit gewisser Kantone, ein ausgeglichenes Budget zu erzielen. Die Schweiz steht aufgrund der Bevölkerungsentwicklung, der Energiesituation und der Notwendigkeit zum Ausbau des öffentlichen Verkehrs vor bedeutenden Investitionen. Deshalb muss sie die Steuern mindestens auf dem aktuellen Niveau halten. Allgemein sind die Steuern für die Unternehmen kein Problem, da die Schweiz diesbezüglich zu den attraktivsten Ländern gehört. Ausserdem bestätigen Umfragen und Studien, dass Unternehmensleitungen nicht die Steuern als Hauptproblem und Herausforderung sehen, sondern den starken Franken und den Mangel an qualifizierten Fachkräften in vielen Branchen.
Die Situation in Europa mit einem Trend zu Steuererhöhungen gibt unserem Land zusätzlichen Spielraum für Investitionen in künftige Schlüsselbereiche, ohne dass sie aus steuerlicher Sicht an Standortattraktivität verliert, wie dies von gewissen Kreisen gebetsmühlenartig wiederholt wird.