Die aktuellen strategischen Ziele des Bundesrats für die Swisscom und der Entwurf für eine Revision des Fernmeldegesetzes (FMG) verschlechtern die Rahmenbedingungen für den Arbeitnehmerschutz in der Personalpolitik und bei Verhandlungen für Gesamtarbeitsverträge (GAV). Diesen Trend gilt es zu stoppen, denn er kann Lohndumping in Branchen fördern, in denen staatliche Unternehmen in einem Wettbewerbsumfeld Leistungen für den Service public erbringen.
Im Telekommunikationsbereich ist eine Schwächung des gesetzlichen Arbeitnehmerschutzes zu beobachten. Bei der Swisscom gehört die GAV-Pflicht nicht mehr zu den personalpolitischen Zielen, die Teil der strategischen Ziele 2014 bis 2017 sind – anders als im Zeitraum 2010-2013. Für den laufenden Zeitraum wird lediglich erwähnt, dass die Mitspracherechte bei der Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern zu berücksichtigen sind. Im revidierten Fernmeldegesetz, für das die Vernehmlassung im März 2016 abgeschlossen wurde, soll ausserdem Artikel 6 aufgehoben werden. Buchstabe c dieses Artikels hält Folgendes fest: «Wer einen Fernmeldedienst erbringt, muss die arbeitsrechtlichen Vorschriften einhalten und die Arbeitsbedingungen der Branche gewährleisten.» Buchstabe d verlangt, dass eine angemessene Anzahl von Lehrstellen angeboten wird.
Im Entwurf zur Revision des Fernmeldegesetzes wird die Aufhebung von Artikel 6 Buchstabe c damit begründet, dass diese Bestimmungen nur zum Zeitpunkt der Liberalisierung des Telekom-Marktes notwendig gewesen und in anderen Wirtschaftszweigen nicht üblich seien. Das stimmt jedoch nur teilweise. Erstens existiert im Telekomsektor noch immer kein Branchenvertrag, und nur ein Teil der Unternehmen der Branche haben Gesamtarbeitsverträge (GAV). Dies spricht dafür, dass die Unternehmen weiterhin zur Einhaltung der branchenüblichen Arbeitsbedingungen verpflichtet werden sollten. Andernfalls werden in diesem sehr wettbewerbsorientierten Sektor gewisse Unternehmen versuchen, ihre Marktanteile und Margen mit Lohn- und Sozialdumping zu steigern. Im Übrigen kommt die Streichung dieses Artikels einer Einladung gleich, das Arbeitsrecht nicht einzuhalten. Ausserdem wurden für andere Unternehmen, die im Service public tätig sind, im Gesetz oder in den strategischen Zielen Bestimmungen zum Schutz der Lohn- und Arbeitsbedingungen des Personals festgelegt.
So verlangen beispielsweise die strategischen Ziele, die der Schweizerischen Post vom Bundesrat für 2013 bis 2016 vorgegeben wurden, in Punkt 4.3., dass die Post Verhandlungen über den Abschluss eines Gesamtarbeitsvertrages führt und in Punkt 4.5, dass sie für die Einhaltung branchenüblicher Arbeitsbedingungen durch ihre Subunternehmer sorgt. Für die SBB ist sowohl im Bundespersonalgesetz als auch in den strategischen Zielen 2015 bis 2018 eine Pflicht zum GAV zu finden. Artikel 38 Absatz 1 BPG hält fest, dass die Schweizerischen Bundesbahnen sowie die weiteren vom Bundesrat dazu ermächtigten Arbeitgeber für ihren Bereich mit den Personalverbänden Gesamtarbeitsverträge (GAV) abschliessen. In den strategischen Zielen steht in Punkt 3.4.: «Die SBB vereinbart für die SBB AG und die SBB Cargo AG die Anstellungsbedingungen und die Mitwirkungsrechte des Personals und seiner Vertretung in Gesamtarbeitsverträgen und entwickelt diese mit den Personalverbänden weiter.»
Für eine Wiederaufnahme der GAV-Pflicht in die strategischen Ziele der Swisscom
Somit ist zu befürchten, dass sich mit der Schwächung der personalpolitischen Ziele in den strategischen Zielen des Bundesrats für die Swisscom und mit der geplanten Revision des Fernmeldegesetzes auch die Lohn- und Arbeitsbedingungen anderer Bundesunternehmen verschlechtern, die Leistungen im Service public erbringen, ebenso wie die Bedingungen in Privatunternehmen, mit denen sie in Branchen wie Post oder Bahn in Wettbewerb stehen. Verschärft wird dieses Risiko durch die Verschiebung der Kräfteverhältnisse im Parlament nach rechts und die Tatsache, dass die Privatisierung staatlicher Unternehmen wieder ein Thema geworden ist, was das Beispiel Swisscom zeigt. Von den öffentlichen Unternehmen ist jedoch zu erwarten, dass sie eine Vorbildfunktion wahrnehmen, namentlich mit ihrer Personalpolitik. Deshalb muss die GAV-Pflicht wieder in alle strategischen Ziele aufgenommen werden, die der Bundesrat den vom Bund kontrollierten Unternehmen vorgibt.
Die potenzielle Schwächung der Gesamtarbeitsverträge in den öffentlichen Unternehmen ist auch ein sehr ungünstiges Signal, weil es die Privatwirtschaft veranlassen könnte, noch häufiger auf GAV zu verzichten. Angesichts der Notwendigkeit, die flankierenden Massnahmen zur Personenfreizügigkeit zu stärken, um die bilateralen Verträge in einer Volksabstimmung zu sichern, wäre dies besonders kontraproduktiv! Denn stärken lassen sich diese Massnahmen vor allem durch den vermehrten Abschluss von Gesamtarbeitsverträgen. Wenn die Gesamtarbeitsverträge jedoch in den öffentlichen Unternehmen und in der Folge auch in den Privatunternehmen geschwächt werden, wird es zweifellos noch schwieriger, GAV für allgemeinverbindlich zu erklären.
Falsches Signal im Ausbildungsbereich
Die Revision des FMG sieht auch vor, die Bestimmung von Artikel 6 zu streichen, die eine angemessene Anzahl Lehrstellen verlangt. Dies könnte andere Sektoren des Service public veranlassen, dem Trend zu folgen. So verlangt Artikel 4 Buchstabe j des Bundespersonalgesetzes vom Arbeitgeber, geeignete Massnahmen zur Schaffung von Lehrstellen und Ausbildungsplätzen zu treffen. Dies ist ein wichtiges Anliegen, wenn es darum geht, in einer Zeit des Fachkräftemangels für genügend gut ausgebildeten Nachwuchs zu sorgen. Zahlenmässig spielen die öffentlichen Grossunternehmen für Lehrstellen und Ausbildungsplätze eine tragende Rolle. Bei der Swisscom waren 2015 rund 900 Personen in Ausbildung. Die Massnahme könnte deshalb einerseits negative Folgen auf die Zahl der Ausbildungsplätze bei der Swisscom haben. Konkurrenzunternehmen, die es weniger gewohnt sind, Lehrlinge auszubilden, könnten diese Bemühungen ausserdem noch weiter einschränken oder sogar ganz darauf verzichten, vor allem wenn sie nicht so vertraut sind mit den Bedingungen der Sozialpartnerschaft in der Schweiz. Im Sinne eines Domino-Effekts wären auch negative Auswirkungen auf die Zahl der Ausbildungsplätze in anderen öffentlichen Unternehmen zu befürchten, etwa bei der Post, wo 2015 2000 Personen in Ausbildung waren, oder bei den SBB (1500), ganz zu schweigen von anderen Unternehmen, die im Post- und Bahnsektor tätig sind.