Anerkannte Flüchtlinge und vorläufig Aufgenommene gelten als inländische Fachkräfte, die in den Genuss von Massnahmen zur Förderung der Arbeitsmarktintegration kommen. Die Integrations¬agenda konkretisiert diese Massnahmen zum Teil, wirft aber auch Fragen auf, wie den Risiken des Lohndumpings und der Prekarisierung auf dem Arbeitsmarkt vorgebeugt werden kann. Auf nationaler Ebene wurden im Hinblick auf einen Referenzrahmen für Kantone, Gemeinden und verschiedene Partner tripartite Diskussionen geführt. Travail.Suisse vertritt weiterhin die Position, dass es Rahmenbedingungen für die Löhne sowie für die Dauer der Erstmassnahmen zur Arbeitsmarktintegration braucht.
Hélène Agbémégnah, Leiterin Migrationspolitik und Rechtsfragen Travail.Suisse
Eines der Ziele der Integrationsagenda, die im Mai 2019 in Kraft treten wird, ist, dass 70 Prozent der anerkannten Flüchtlinge und vorläufig Aufgenommenen sieben Jahre nach der Einreise in die Schweiz nachhaltig in den ersten Arbeitsmarkt integriert sind. Um die Ziele der Agenda zu erreichen, muss die Integrationsagenda in den Kantonen und in den Gemeinden umgesetzt werden, indem der Zielgruppe mithilfe der Erstmassnahmen zur Eingliederung in ein Unternehmen ein erster Zugang zum ersten Arbeitsmarkt ermöglicht wird. Mit diesen Massnahmen hoffen die Behörden, den Flüchtlingen und den vorläufig Aufgenommenen, die keine Qualifikationen und keine Erfahrung auf dem Schweizer Arbeitsmarkt haben, bessere Chancen bieten zu können. Es soll zudem eine Abhängigkeit von der Sozialhilfe verhindert und eine nachhaltige Integration nach den Grundsätzen «Arbeit vor Sozialhilfe» und «Bildung vor Arbeit» gefördert werden.
Travail.Suisse, der unabhängige Dachverband der Arbeitnehmenden, hat sich an den tripartiten Diskussionen beteiligt, die vom Staatssekretariat für Migration (SEM) auf nationaler Ebene mit Vertretern von Kantonen, Gewerkschaften und Unternehmen geführt wurden. Um einen Referenzrahmen für die Bedingungen der Eingliederung auf dem ersten Arbeitsmarkt festzulegen, haben sich die verschiedenen Partner auf das Zielpublikum, die Dauer und die Begleitung der Erstmassnahmen zur Eingliederung sowie auf die einzuhaltenden Mindestlöhne konzentriert. Die Diskussionen werden nun in den Kantonen und in den verschiedenen Branchen weitergeführt. Travail.Suisse erachtet es als notwendig, Rahmenbedingungen vorzusehen, welche Sozial- und Lohndumping verhindern.
Keine schlechteren Arbeitsbedingungen und tieferen Löhne
In einem Umfeld der Globalisierung, Digitalisierung und Verschärfung der allgemeinen Arbeitsbedingungen werden die nachhaltige Integration, die Eingliederung oder die Wiedereingliederung für die ganze inländische Bevölkerung zu einer grossen Herausforderung. Wenn also von der Integration von Flüchtlingen und vorläufig Aufgenommenen die Rede ist, soll keine neue Kategorie von Angestellten geschaffen werden, die weniger vorteilhafte Arbeitsbedingungen haben. Auch wenn es sich um einen ersten Schritt auf dem ersten Arbeitsmarkt handelt, braucht es einen festen Rahmen mit minimalen Bedingungen, um Missbräuche zu verhindern und die Aussichten für die anderen Arbeitnehmenden in der Schweiz nicht zu verschlechtern.
Die Möglichkeiten zur Integration auf dem Arbeitsmarkt stärken
Um die Arbeitsmarktchancen von Flüchtlingen und vorläufig Aufgenommen zu erhöhen, unterstützt Travail.Suisse insbesondere die vier folgenden Grundsätze und Massnahmen:
1. Wenn die Zielgruppe über keine Qualifikationen und keine Berufserfahrung in der Schweiz verfügt, die ihr eine direkte Arbeitsmarktintegration ermöglichen, sind bei der Festlegung der Lohnbasis ihre Fähigkeiten und die bisher geleistete Arbeit zu berücksichtigen.
2. Die Unternehmen – und auch die Gesellschaft – sind daran interessiert, Möglichkeiten für Erstmassnahmen zur Eingliederung zu bieten. Schlechte Arbeitsbedingungen und sinkende Löhne schädigen das gesellschaftliche und wirtschaftliche Gefüge. Es ist daher wichtig, dass die Unternehmen diese Herausforderungen verstehen und keine billigen Arbeitskräfte einsetzen, die in die Prekarität abzugleiten drohen.
3. Der Mindestlohn in den verschiedenen Branchen-GAV dient als Anhaltspunkt für eine schrittweise Lohnerhöhung je nach Dauer und Verlängerung der Erstmassnahmen zur Eingliederung, die zwischen 6 und 12 Monate betragen können;
4. Im Programm der Integrationsagenda ist vorgesehen, dass ein Jobcoach zur Begleitung der Zielgruppe eingesetzt wird. Dieser Jobcoach muss den tripartiten und paritätischen Kommissionen bezüglich der Einhaltung der Arbeitsbedingungen Bericht erstatten. Zudem müssen die Qualifikationsmassnahmen während der ganzen Eingliederungsphase weitergeführt werden: Sprachkurse und Ausbildungen bleiben wichtig und dürfen nicht aufgegeben werden – insbesondere nicht im Hinblick auf den Grundsatz «Bildung vor Arbeit».
Um die Integration zu fördern, ist es vor allem wichtig, die verletzlichen Personen nicht auszunutzen. Denn dies würde sonst zu einer Prekarisierung von anderen Gesellschaftsschichten führen, für die der Zugang zur Arbeit ebenfalls schwierig ist. Die Diskussionen über die Anstellungsbedingungen für Flüchtlinge und vorläufig Aufgenommene im ersten Arbeitsmarkt werden in den Kantonen und den paritätischen Organen weitergeführt. Letztere können über die Rahmenbedingungen entscheiden. Die Arbeitnehmendenorganisationen werden mitreden und müssen sicherstellen, dass sie ständig auf dem Laufenden sind, damit sie anschliessend Bilanz ziehen können. Es darf nicht sein, dass die Arbeitsmarktintegration, sei es im ersten oder im zweiten Arbeitsmarkt – ohne Kontrolle und Schutzmassnahmen erfolgt.