Abstimmung zum Abkommen mit Indonesien: ein Warnsignal für künftige Freihandelsabkommen
Dass das Freihandelsabkommen mit Indonesien mit einer sehr knappen Mehrheit (51,65 % Ja-Stimmen) angenommen wurde, ist ein Schuss vor den Bug. Wenn die Schweiz weiterhin auf Freihandelsabkommen (FHA) setzen will, müsste der ökologischen und sozialen Nachhaltigkeit besser Rechnung getragen werden. Eine solche Entwicklung käme auch der Wirtschaft und der Beschäftigung zugute.
Die scheinbare Übermacht der wirtschaftlichen und politischen Kreise, die das Abkommen befürworteten, gegenüber den Gegnern hätte ein deutlicheres Ja vermuten lassen, auch weil viele zivilgesellschaftliche Organisationen die Stimmfreigabe beschlossen hatten. Die Argwohn gegenüber den Behörden in dieser COVID-19-Pandemie und der Fokus der Kampagne auf das Palmöl (wodurch die wirtschaftliche Bedeutung des Abkommens in den Hintergrund geriet) vermögen das gute Ergebnis der Gegner nicht zu erklären.
Tatsächlich reagiert die Bevölkerung immer sensibler auf die Notwendigkeit, die Umwelt zu schützen, aber auch auf die zwingende Einhaltung von Sozial- und Arbeitsrecht, wie das Volksmehr zur Konzernverantwortungsinitiative gezeigt hat, die aber wegen des fehlenden Ständemehrs trotzdem scheiterte. Es ist daher nicht erstaunlich, dass die Bürgerinnen und Bürger gegenüber Freihandelsabkommen kritischer eingestellt sind, wenn diese keine schlagkräftigen Bestimmungen zur ökologischen und sozialen Nachhaltigkeit umfassen.
Schon seit vielen Jahren setzt sich Travail.Suisse als unabhängiger Dachverband der Arbeitnehmenden für nachhaltigere FHA ein. Vor über zehn Jahren betrafen die FHA der Schweiz ausschliesslich den Handel. Unsere politischen und medialen Interventionen haben zusammen mit denjenigen anderer Organisationen dazu geführt, dass in den FHA der Schweiz, die im Allgemeinen im Rahmen der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) verabschiedet werden, seit 2010 ein neues Kapitel zur nachhaltigen Entwicklung enthalten ist. 2012 trat dieses Kapitel mit der Ratifizierung der FHA mit Montenegro und Hongkong erstmals in Kraft.
Mit diesem neuen Kapitel zur nachhaltigen Entwicklung verpflichten sich die Parteien, die Umwelt zu schonen und die Grundrechte im Arbeitsrecht zu wahren bzw. keine Investitionen durch die Herabsetzung von gesellschaftlichen und ökologischen Normen anzuziehen. Im Zuge der internationalen Entwicklungen wurde dieses Kapitel nach und nach ausgeführt, so wurden etwa die Ziele der nachhaltigen Entwicklung der Vereinten Nationen aufgenommen, insbesondere das Ziel zur Förderung der menschenwürdigen Arbeit.
Allerdings gab es nach der positiven Entwicklung beim Inhalt des Kapitels keine Fortschritte bei dessen Umsetzung. Schon 2014 hatte Travail.Suisse in einem Positionspapier diesbezüglich konkrete Vorschläge gemacht. So schliesst das Wirtschaftspartnerschaftsabkommen mit Indonesien, wie bereits die vorherigen Abkommen, beim Kapitel zur nachhaltigen Entwicklung jegliche Möglichkeit einer Streitbeilegung sowie insbesondere der Anwendung des Schiedsverfahrens aus, wie sie für die anderen Kapitel des Abkommens gilt. Mit anderen Worten: Schwerwiegende Schädigungen der Umwelt oder schwere arbeitsrechtliche Verstösse können im Gegensatz zum sonstigen Inhalt des Abkommens nur im Kontext der Zusammenarbeit diskutiert werden, ohne mögliche Sanktionen. Der einzige kleine Fortschritt bei der Umsetzung des Kapitels zur nachhaltigen Entwicklung seit seinem Inkrafttreten im Jahr 2012 ist die Möglichkeit, die Streitigkeiten internationalen Experten zur Stellungnahme zu unterbreiten. Ohne die Bedeutung der Diskussion und der technischen Zusammenarbeit schmälern zu wollen: Fragen der Nachhaltigkeit müssen gleich behandelt werden wie Handelsfragen und auch das Kapitel zur nachhaltigen Entwicklung ist den Schiedsverfahren zu unterstellen, um – als letztes Mittel – auch Sanktionen verhängen zu können.
Das ist im Interesse unseres Landes, unserer Wirtschaft und unserer Beschäftigung. Die Schweiz hat nämlich schon weitere FHA mit wichtigen Partnern ausgehandelt, wie das Abkommen mit den Mercosur-Ländern (Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay) oder handelt solche im Moment gerade aus (z. B. mit Malaysia oder Vietnam). Wenn die Nachhaltigkeitskriterien nicht aufgewertet werden, ist mit weiteren Referenden gegen FHA zu rechnen – deren Ausgang äusserst ungewiss ist. Es wäre daher sinnvoll, über eine Strategie zu verfügen, um die Nachhaltigkeit dieser Abkommen zu verbessern. Denn dies käme gleichzeitig der Wirtschaft, der Beschäftigung, den Arbeitsbedingungen und der Umwelt zugute.
Vier Massnahmen für eine bessere Nachhaltigkeit der FHA
Um die Aspekte von Handel und Nachhaltigkeit in den FHA der Schweiz ausgewogen zu gestalten, schlagen wir die folgenden Massnahmen vor:
- Vor Beginn der Verhandlungen für ein FHA ist eine sozio-ökologische Wirkungsstudie durchzuführen, um zu sehen, ob die Rahmenbedingungen des Partners oder der Partner akzeptabel sind. Beim aktuellen Beispiel des Mercosur-Abkommens hegen wir Zweifel daran, ob diese Bedingungen erfüllt sind (insbesondere im Hinblick auf die grossangelegte Zerstörung des Amazonas-Regenwalds).
- Das Kapitel zur nachhaltigen Entwicklung, das in allen FHA vorhanden ist, muss verbindlicher werden. Es muss Schiedsverfahren bei Streitigkeiten gewährleisten, die – ultima ratio – auch zu Sanktionen führen können, wenn die vorgesehenen Massnahmen nicht umgesetzt werden. Auch die Einhaltung der Abkommen muss mit der Einbindung der Sozialpartner der betreffenden Länder in die gemischten Ausschüsse, die diese Abkommen verwalten, verstärkt kontrolliert werden.
- Die allgemeine politische Lage des Partnerlandes oder der Partnerländer des Abkommens muss besser berücksichtigt werden als bisher, bevor ein Abkommen ausgehandelt oder überarbeitet wird. So müsste beispielsweise von der geplanten Revision des FHA mit China abgesehen werden oder es müsste mit China etwa ein Abkommen über die Investitionen vor dem momentanen Hintergrund der dortigen schweren Menschenrechtsverletzungen vorgesehen werden (Zwangsarbeit der uigurischen Minderheit im grossen Stil, Unterdrückung der Demokratie in Hongkong).
- Eine Bedingung für die Aushandlung eines künftigen FHA müsste die Ratifizierung der acht Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) durch das Partnerland oder die Partnerländer sein oder zumindest die Zusicherung, diese Übereinkommen zu ratifizieren. Denn alle Länder, die Mitglied der IAO sind, müssen die grundlegenden Arbeitsrechte wegen ihres IAO-Beitritts einhalten, auch wenn sie nicht alle Übereinkommen ratifiziert haben.
Durch die Umsetzung solcher Massnahmen lassen sich neue Referenden gegen die FHA künftig verhindern oder zumindest lässt sich so ein Nein der Bevölkerung vermeiden. Es geht um das allgemeine und untrennbare Interesse von wirtschaftlichem Wohlstand, Beschäftigung und Nachhaltigkeit.