Die Internationale Arbeitskonferenz, die jedes Jahr Anfang Juni in Genf tagt, ist eben zu Ende gegangen. Als Erfolge zu verbuchen sind dieses Jahr die Annahme einer Empfehlung zur Überführung informeller zur formeller Wirtschaft, die Schaffung von menschenwürdigen und produktiven Arbeitsplätzen in kleineren und mittleren Unternehmen und die Arbeit der Kommission für die Anwendung der Normen, mit besonderer Berücksichtigung der Beschäftigten der Landwirtschaft.
Die informelle Wirtschaft umfasst sämtliche wirtschaftlichen Tätigkeiten der Arbeitnehmenden, die weder per Gesetz noch in der Praxis bestimmten Vorschriften unterliegen – so beispielsweise die Bereiche Gesundheit, Sicherheit am Arbeitsplatz oder sozialer Schutz. Schätzungen zufolge geht mehr als die Hälfte der Beschäftigten weltweit einer informellen Beschäftigung nach, was angesichts des Bestrebens nach menschenwürdiger Arbeit eine enorme Herausforderung darstellt: Die Arbeitnehmenden haben keinen Zugang zu den grundlegenden Prinzipien und Rechten im Bereich der Arbeit sowie zum sozialen Schutz. All dies wirkt sich negativ auf die Entwicklung von nachhaltigen Unternehmen aus. Gemäss Schätzungen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) sind 90% der Unternehmen, die zwischen 10 und 250 Personen beschäftigen, im informellen Sektor angesiedelt.
Verabschiedung einer Empfehlung zum Übergang der informellen zur formellen Wirtschaft
Die meisten Personen arbeiten nicht freiwillig in der informellen Wirtschaft. Vielmehr fehlt Ihnen der Zugang zu einer formellen Beschäftigung. Durch die Verabschiedung der Empfehlung, die als internationale Arbeitsnorm einzustufen ist, wird der Übergang von der informellen hin zur formellen Wirtschaft erleichtert. Die Empfehlung sieht Strategien für die Schaffung von qualitativ guten Arbeitsplätzen und das Wachstum des formellen Sektors vor. Sie bietet ein internationales Rahmenwerk, das auch die Anwendung der Grundrechte an der Arbeit, den sozialen Dialog, die Gleichstellung, das Unternehmertum, die Qualifikationen und das Management, den Zugang zu Krediten und zum Markt sowie die Ausdehnung des sozialen Schutzes umfasst.
Die Verabschiedung der Empfehlung zum Thema informelle Wirtschaft hat zum Zweck, Hunderten Millionen Beschäftigten den Weg aus der informellen Wirtschaft zu ebnen und ihnen den Zugang zu einer formellen Beschäftigung zu erleichtern. Das Wichtigste sei die Umsetzung der Empfehlung, betonte Guy Ryder, Generalsekretär der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO).
Verbesserung der Qualität der Arbeitsplätze und der Produktivität der KMU
Die Schweizer Regierung hat sich – in einem Land, in dem das Thema aufgrund seiner wirtschaftlichen Struktur besonders interessiert – in der Kommission zum Thema KMU für die Schaffung menschenwürdiger und produktiver Arbeitsplätze stark eingesetzt. Denn die Schweizer KMU (bis zu 250 Beschäftigte) stellen knapp 99 Prozent der Unternehmen und rund zwei Drittel der Stellen dar. In unserem Land wurde der Akzent auf die Debatten über den Zugang zu Krediten, Finanzierung, administrative Erleichterungen zugunsten der KMU und die wichtige Stellung der Sozialpartnerschaft gelegt. Dies ist sicher notwendig, aber man darf dabei andere wesentliche Aspekte nicht vergessen, so die Arbeits- und Lohnbedingungen sowie die gewerkschaftliche Vertretung der Kleinunternehmen. Der Bericht des IAA 1 , der als Grundlage für die Debatten diente, hebt hervor, dass in den Kleinunternehmen der soziale Dialog, die Produktivität, die Arbeits- und Lohnbedingungen, die Gesundheit sowie die Sicherheit am Arbeitsplatz einen kleineren Stellenwert haben als in den grösseren Unternehmen.
Weiter zu berücksichtigen ist der Umstand, dass oft weniger die Grösse des Unternehmens ausschlaggebend ist als vielmehr das Tätigkeitsfeld, das nach den Kriterien menschenwürdiger Arbeit Mängel aufweist. Aus diesem Grund war es uns ein Anliegen, dass die Schlussfolgerungen der Kommission auch KMU ansprechen, die in Wirtschaftszweigen mit eher prekären Arbeitsbedingungen tätig sind, beispielsweise die Landwirtschaft, das Gastgewerbe, Reinigungsdienste, Bauwesen und Industriezweige wie das Textilgewerbe.
Die von der Konferenz betreffend der KMU angenommenen Schlussfolgerungen und die Schaffung von menschenwürdigen und produktiven Arbeitsplätzen beleuchten die Hindernisse (Defizite in Sachen menschenwürdige Arbeit, Gesundheit und niedriges Sicherheitsniveau) und empfehlen Massnahmen zur Abhilfe (Zugang zur Finanzierung, Schaffung von Unternehmensnetzwerken, aber auch die Notwendigkeit des sozialen Dialoges und die Unterstützung der öffentlichen Stellen). Die bereits bestehenden Programme der Internationalen Arbeitsorganisation zur Unterstützung der KMU müssten weiterentwickelt werden, aber es müssten auch soziale Partner einbezogen werden, insbesondere Gewerkschaften.
Grüne Arbeitsplätze ebenso im Mittelpunkt der Diskussionen
Dieses Treffen unter dem Titel «Der Klimawandel und die Welt der Arbeit» stand auch im Zeichen einer Debatte unter ranghohen Vertretern wie des französischen Präsidenten François Hollande über die Notwendigkeit, mittels Schaffung von grünen Arbeitsplätzen und Ökoberufen gegen den Klimawandel zu kämpfen. Die ILO ist aufgrund ihrer dreigliedrigen Struktur (Regierungen, Gewerkschaften, Arbeitgeber) besonders geeignet, bei der Förderung grüner Arbeitsplätze und einer nachhaltigen Entwicklung eine wichtige Rolle einzunehmen.
Die Kommission für die Einhaltung der Arbeitsnormen hat sich als Erstes des Schicksals der Landarbeiter angenommen. Unter dem Titel «Den Landarbeitern eine Stimme geben» hat der entsprechende Bericht aufgezeigt, wie wichtig es ist, die Vereinigungsfreiheit von Organisationen, die die Landarbeiter vertreten, zu fördern. Denn die Landwirtschaft ist weltweit nach wie vor ein bedeutender Sektor und umfasst eine bedeutende Anzahl an schutzbedürftigen Arbeitnehmenden, weil die Arbeitsbedingungen und die Löhne – auch in der Schweiz – oft miserabel sind. Der Vertreter der Schweizer Arbeitnehmenden wies darauf hin, es sei in der Schweiz bis heute nicht möglich gewesen, einen Gesamtarbeitsvertrag für die Landwirtschaft zu erarbeiten.
Kampf gegen die Zwangsarbeit in Katar und Eritrea
Die Kommission hat dieses Jahr 24 Länder geprüft, in denen schwerwiegende Probleme in der Anwendung der ratifizierten internationalen Arbeitsübereinkommen aufgetreten sind. Das Augenmerk wurde dabei aufgrund der Verletzung des Übereinkommens Nr. 29 zur Abschaffung der Zwangsarbeit auf Eritrea und Katar gelenkt. Diese beiden Fälle wirken sich direkt auf unser Land aus: im Falle Eritreas ist es so, dass die Zwangsrekrutierung in die Armee, die eine Verletzung des Übereinkommens Nr. 29 darstellt, zu vielen Asylbewerbungen von eritreischen Flüchtlingsgruppen führt. Was Katar angeht, so wird das Kafala-System kritisiert, in dem der ausländische Arbeiter vom Arbeitgeber abhängig gemacht wird. Der Druck, der mit Blick auf die Fussballweltmeisterschaft 2022 auf Katar als Organisator bzw. als Austragungsort ausgeübt wird, damit dort der Zwangsarbeit ein Ende gesetzt wird, ist willkommen und dürfte wirkungsvoll sein. Die Schweiz ist insofern betroffen, als die FIFA mit ihrem Sitz in der Schweiz auf Katar Druck ausüben muss, damit dort auf den riesigen Baustellen menschenwürdige Arbeitsbedingungen eingeführt werden.
Zu den 24 Ländern, die aufgrund schwerwiegender Mängel bei der Einhaltung der Arbeitsnormen im Visier stehen, gehören die Länder, in denen das Travail.Suisse-Hilfswerk Brücke – Le pont Zusammenarbeitsprojekte unterstützt. Die Rede ist von Bolivien in Zusammenhang mit dem Übereinkommen Nr. 138 über das Mindestalter [für die Zulassung zur Beschäftigung] (Kinderarbeit) und von Honduras mit dem Übereinkommen Nr. 81 über die Arbeitsaufsicht [in Gewerbe und Handel] sowie von El Salvador bzw. dem Übereinkommen Nr. 87 über die Vereinigungsfreiheit.
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p(footnote). 1 Kleinere und mittlere Unternehmen und die Schaffung menschenwürdiger und produktiver Arbeitsplätze. Bericht IV, 76 S. Internationales Arbeitsamt, Genf.