Die internationale Arbeitskonferenz, die im Juni 2014 in Genf stattfand, stand im Zeichen der menschenwürdigen Arbeit und der Notwendigkeit, die Arbeitsverhältnisse zu verbessern. Konkrete Schritte wurden mit der Verabschiedung eines Protokolls zum Abkommen Nr. 29 über die Zwangsarbeit und den Einstieg in die Diskussion über eine Empfehlung zur informellen Wirtschaft gemacht, die für nächstes Jahr vorgesehen ist.
Mehr als 4700 Delegierte der Regierungen – Arbeitgeber/innen und Arbeitnehmer/innen – haben an der internationalen Arbeitskonferenz teilgenommen. Dieses Jahr wurden konkrete Massnahmen zur Bekämpfung der Zwangsarbeit, die als moderne Sklavenarbeit bezeichnet werden kann, erarbeitet.
Mehr als 20 Millionen weibliche und männliche Arbeitssklaven
Es ist kaum vorstellbar: Gemäss Internationaler Arbeitsorganisation (IAO) gibt es noch immer mehr als 20 Millionen Zwangsarbeiter/innen weltweit. Mehr als die Hälfte davon sind Frauen und Mädchen, die vorwiegend als Hausangestellte und im Sexgewerbe tätig sind. Männer und Jungen hingegen werden vor allem in der Landwirtschaft, im Bauwesen und in den Bergwerken wirtschaftlich ausgenützt.
Zwar besteht bereits das Abkommen Nr. 29 über die Zwangsarbeit aus dem Jahr 1930. Es bedarf jedoch dringend einer Anpassung. Das neue Protokoll aktualisiert das Abkommen Nr. 29 und bekämpft auch Praktiken wie etwa den Menschenhandel. Die dazu gehörende Empfehlung über ergänzende Massnahmen zur effektiven Ausmerzung der Zwangsarbeit liefert technische Hinweise für die Umsetzung im Bereich der Prävention und des Arbeitnehmerschutzes, des Zugangs zur Justiz, der Überwachung der Anwendung des Abkommens und der internationalen Zusammenarbeit. Das Protokoll verstärkt ausserdem den internationalen juristischen Rahmen und führt neue Verpflichtungen ein zur Verhinderung von Zwangsarbeit und zum Opferschutz und eröffnet Möglichkeiten für Schadenersatz bei materiellen und physischen Schäden. Gemäss Art. 3 des Protokolls muss jedes Mitglied der IAO wirksame Massnahmen zur Identifizierung, Befreiung und Beschützung aller Opfer von Zwangsarbeit ergreifen, damit sie sich wieder erholen und eingliedern können, aber auch um ihnen zur Seite zu stehen und ihnen Hilfe in anderer Form zukommen zu lassen.
Informelle Wirtschaft: Ausarbeitung einer Empfehlung
Wenn auch weniger dramatisch als bei der Zwangsarbeit, sind die Lebens- und Arbeitsbedingungen in der informellen Wirtschaft doch sehr schwierig; auch sie müssen dringend verbessert und nach und nach mit modernen und nachhaltigen Arbeitsbedingungen ausgestaltet werden.
Als informeller Sektor wird jener Teil einer Volkswirtschaft bezeichnet, dessen wirtschaftliche Tätigkeiten nicht in der offiziellen Statistik erfasst sind. Zur informellen Wirtschaft gehören alle wirtschaftlichen Tätigkeiten der Arbeitnehmer, die nicht durch formelle Bestimmungen – seitens des Gesetzgebers oder in der Praxis – gedeckt sind. Dazu gehören Arbeitsrecht, Gesundheit, Arbeitssicherheit und Sozialschutz. Man schätzt, dass weltweit 40% der Beschäftigten in der informellen Wirtschaft arbeiten, was ein erhebliches Hindernis auf dem Weg zu menschenwürdiger Arbeit darstellt. Die verabschiedeten Schlussfolgerungen der Arbeitskonferenz erwähnen, welchen Einfluss die informelle Wirtschaft auf die Rechte der Arbeitnehmer, insbesondere beim Zugang zu den Grundsätzen und Grundrechten bei der Arbeit, beim Sozialschutz, für menschenwürdigen Arbeitsbedingungen usw. ausübt. Die informelle Wirtschaft wirkt sich negativ auf die Entwicklung nachhaltiger Unternehmen aus.
Die meisten Personen arbeiten nicht freiwillig in der informellen Wirtschaft, sondern nur weil es an Arbeitsplätzen in der formellen Wirtschaft fehlt. Deshalb bezweckt die Empfehlung, die nächstes Jahr verabschiedet werden soll, den Übergang der informellen zur formellen Wirtschaft zu erleichtern. Damit dies gelingt, muss in den betreffenden Ländern eine Wachstumsstrategie eingeführt werden, die auf der Schaffung von Arbeitsplätzen guter Qualität und eines reglementarischen Rahmens aufbaut, der die Anwendung der Grundrechte bei der Arbeit, den sozialen Dialog, Gleichheit, Unternehmertum, Qualifikationen und Management, Zugang zu Krediten und zum Markt, Ausdehnung des sozialen Schutzes und lokale Entwicklungsstrategien für Stadt und Land beinhaltet.
Mehrere hundert Millionen gute Arbeitsplätze müssen geschaffen werden
Schlechte Arbeitsverhältnisse vor allem in der informellen Wirtschaft und Massenarbeitslosigkeit sind enorme Herausforderungen. Das Management Cockpit für Wirtschaft und Beschäftigung zeichnet weltweit ein düsteres Bild: Rückgang des Anteils der aktiven Bevölkerung, überdurchschnittliche Auswirkungen der Krise auf die Jugendlichen, Anstieg der Langzeitarbeitslosigkeit, Rückgang der Löhne in den entwickelten Ländern, Verschärfung der Ungleichheiten, mangelnde Qualifikationen usw. Es ist deshalb von ausschlaggebender Bedeutung, dass sich die Arbeitskonferenz dem Thema „qualitativ hochstehende Arbeitsverhältnisse“ annimmt. Sie hat einen globalen politischen Rahmen für die Beschäftigung und umfassender, proaktiver und auf die Beschäftigung fokussierte Wachstumspolitiken auf nationaler und internationaler Ebene verabschiedet. Dieser globale Rahmen besteht aus einer Kombination von kohärenten makro-ökonomischen, arbeitsmarktrechtlichen und sozialen Massnahmen und stellt einen Leitfaden für die Strategie der Länder für die Förderung der produktiven und frei gewählten Vollbeschäftigung und menschenwürdiger Arbeit dar. Die grosse Herausforderung besteht in der Umsetzung dieser Politik, damit sie nicht toter Buchstabe bleibt. Dringlichkeit ist geboten, denn es müssen in den kommenden zehn Jahren etwa 600 Millionen qualitativ gute Arbeitsplätze geschaffen werden, um die Arbeitslosen von heute und die 400 Millionen Neuzugänger auf dem Arbeitsmarkt zu integrieren.
Die Interpretation der Normen
Eine ständige Aufgabe der internationalen Arbeitskonferenz besteht in der Überprüfung der Umsetzung der ratifizierten Abkommen in verschiedenen Ländern. Dafür ist die Kommission für die Anwendung der Normen zuständig. Diese Kommission hat dieses Jahr grobe Verstösse gegen die arbeitsrechtlichen Abkommen in einer Reihe von Ländern geprüft. Sorge bereitet vor allem, dass es immer schwieriger wird, zu Schlussfolgerungen zu gelangen. Es ist wichtig, dass diese Kommission weiter die Rolle einer Plattform und einer moralischen Instanz spielen kann, die Druck auf die Regierungen ausübt, wenn diese die Abkommen nicht umsetzen, obwohl sie sie ratifiziert haben. Die grundlegenden Probleme bei der Auslegung der Abkommen (insbesondere die Freiheit der Gewerkschaften und das damit in Zusammenhang stehende Streikrecht) haben die Arbeiten dieser Kommission vor zwei Jahren gelähmt und sind immer noch nicht gelöst. Man kann nur hoffen, dass die Arbeitsnormen der IAO bei allen Gruppierungen – Regierungen, Arbeitgeber/innen und Arbeitnehmer/innen – in Zukunft wieder an Bedeutung gewinnen. Dies ist in erster Linie im Interesse aller Personen, deren Recht auf Arbeit in irgendeiner Weise verletzt wird.