Die Schweiz handelt derzeit Freihandelsabkommen (FHA) mit wichtigen Ländern wie Indien oder der russischen Zollunion aus. Es ist nun an der Zeit, die Arbeits- und Umweltschutzbestimmungen verbindlich umzusetzen. Das liegt im Interesse der Arbeitnehmenden in der Schweiz und in den Partnerländern – aber auch im Interesse der Schweizer Wirtschaft.
Die Annahme des Freihandelsabkommens (FHA) mit Costa Rica und Panama durch den Nationalrat warf nicht gleich hohe Wellen wie das Abkommen, das mit China unterzeichnet wurde. Aber die Problematik bleibt dieselbe. Wie bei China beantragte eine Minderheit des Nationalrates die Rückweisung an den Bundesrat, damit die Bestimmungen zur nachhaltigen Entwicklung verbindlicher werden.
Somit ist eine Lobbying-Arbeit nötig, um eine Mehrheit des Parlaments davon zu überzeugen, dass die Umsetzung der Arbeits- und Umweltschutzbestimmungen in den FHA verstärkt werden muss. Um dieses Anliegen zu begründen, müssen wir einen kurzen Blick in die Vergangenheit zurückwerfen: Bis Mitte 2000-er Jahre lehnte es die Schweiz ab, Bestimmungen zu Menschenrechten, Arbeitsnormen und Umweltschutz in die FHA einzubinden. Die Wirtschaftskreise wollten nichts von einer Verknüpfung der FHA mit den Sozial- und Umweltschutznormen hören, was jedoch im Widerspruch zu den Kohärenzzielen der Schweizer Aussenpolitik steht.
Immer mehr Freihandelsabkommen enthalten Arbeitsbestimmungen
Inzwischen hat die Europäische Union (EU) in ihren FHA ein Kapitel zur nachhaltigen Entwicklung eingeführt, was Ausdruck der erhöhten Sensibilisierung für den Zusammenhang zwischen Handel und Arbeits- oder Umweltschutznormen sowie Menschenrechten ist. Seit Ende der 1990-er Jahre ist auch eine stetige Zunahme der bilateralen und regionalen Handelsabkommen, die Arbeitsbestimmungen enthalten, festzustellen. So stieg die Zahl der FHA mit Arbeitsbestimmungen zwischen 2000 und 2013 von 11 auf 58. 1
Erst seit 2010 schlagen die Schweiz und andere EFTA-Staaten ihren Freihandelspartnern ein Kapitel mit dem Titel Handel und nachhaltige Entwicklung vor, das Teil des ausgehandelten FHA sein soll. Das Kapitel übernimmt in groben Zügen das, was die EU ihren Handelspartnern vorschlägt, ist jedoch etwas weniger vollständig.
Der Schweiz ist es gelungen, die Bestimmungen zur nachhaltigen Entwicklung in sechs FHA einzubinden, die kürzlich in Kraft getreten sind oder unterzeichnet wurden (FHA mit Montenegro (2012 in Kraft getreten), Hongkong (2012 in Kraft getreten), Bosnien-Herzegowina (2013 unterzeichnet), China (2013 unterzeichnet) sowie Costa Rica und Panama (2013 unterzeichnet). Bei China und Hongkong ist jedoch zu beachten, dass die Arbeitsbestimmungen in separaten Abkommen geregelt sind, was die Reichweite des Kapitels Handel und nachhaltige Entwicklung verringert, da es sich in den jeweiligen FHA faktisch auf die Umwelt beschränkt.
Von den 28 in Kraft gesetzten oder zumindest unterzeichneten Schweizer Freihandelsabkommen mit 38 Ländern (ohne EU) enthalten derzeit nur sechs vollständige Bestimmungen zu Arbeitsnormen und Umweltschutz. Deshalb müsste die Schweiz bei den älteren Abkommen ihren Partnern die Einführung des Kapitels zur nachhaltigen Entwicklung vorschlagen.
Ausserdem muss man noch einen weiteren Schritt machen, damit das neue Kapitel Handel und nachhaltige Entwicklung nicht nur ein leeres Versprechen ist, sondern auch tatsächlich umgesetzt wird: Die Bestimmungen zu Arbeitnehmerrechten und Umweltschutznormen müssen ebenfalls dem Kapitel über die Streitbeilegung unterstellt werden.
Betrachtet man das FHA mit Costa Rica und Panama, wird im Kapitel Handel und nachhaltige Entwicklung spezifisch festgehalten, dass keine der Parteien in diesem Bereich auf das Streitbeilegungsverfahren zurückgreifen kann. Damit wird die Umsetzung des Kapitels untergraben. Das vermittelt auch den Eindruck, dass Arbeit und Umwelt weniger wert sind als der Handel, denn dieser unterliegt dem Streitbeilegungsmechanismus, der die Möglichkeit eines Schiedsverfahrens und, bei Scheitern der Gespräche, finanzielle Entschädigungen beinhaltet.
Deshalb fordert Travail.Suisse, dass der Ständerat eine Verpflichtung zur verbindlichen Umsetzung des gesamten FHA mit Costa Rica und Panama vom Bundesrat erwirkt, sobald das Geschäft bei ihm ist. Es geht also darum, auch das Kapitel Handel und nachhaltige Entwicklung dem Streitbeilegungsmechanismus zu unterstellen. Der Informationsaustausch und die Zusammenarbeit zur Umsetzung dieses Kapitels sind natürlich willkommen, aber in Streitfällen müssen auch ein Schiedsverfahren und, als letztes Mittel, Sanktionen möglich sein, wenn schwere Verletzungen von Menschenrechten, Arbeitsbestimmungen oder Umweltschutznormen vorliegen und das betroffene Land nichts zu deren Behebung unternimmt.
Zum Vergleich: Das Freihandelsabkommen der USA mit Panama (2012) enthält einen solchen Mechanismus, und die USA haben bereits anlässlich der Aushandlung des Abkommens von Panama zahlreiche Verbesserungen im Bereich des Arbeitsrechts zugestanden erhalten. Neue Gesetze und Erlasse in Panama ermöglichten die Lösung mehrerer Probleme mit der Gewerkschaftsfreiheit und dem Vollzug der Gesetzgebung zur Kinderarbeit. Es wurde ein Gesetz verabschiedet, um Ausnahmen von den Arbeitnehmerrechten in einer neuen Sonderwirtschaftszone aufzuheben.
Win-Win-Situation
Die Schweiz handelt derzeit neue FHA mit wichtigen Schwellen- oder Entwicklungsländern wie Indien, Thailand, Indonesien, Vietnam und Zollunion Russland-Weissrussland-Kasachstan aus. Das Geschehen in Russland und der Ukraine erinnert uns daran, wie wichtig die Achtung der Menschenrechte ist. Deshalb sollte die Schweiz nur dann FHA mit solchen Ländern unterzeichnen, wenn diese bereit sind, ein Kapitel über die nachhaltige Entwicklung in das Abkommen aufzunehmen, und wenn dieses Kapitel ebenso verbindlich ist wie die Bestimmungen zu Waren, Dienstleistungen, Investitionen und geistigem Eigentum.
Schliesslich liegt die Stärkung der sozialen und ökologischen Aspekte in den FHA im Interesse der Schweiz wie auch der Partnerländer. Die Position der Schweizer Unternehmen und Arbeitnehmenden wird dadurch gestärkt. Gleichzeitig verbessert sich der Lebensstandard in den Partnerländern, und Wettbewerbsverzerrungen, die aus Sozial- und Umweltdumping entstehen können, werden abgeschwächt. In den Partnerländern, insbesondere Entwicklungsländern, verbessern sich Arbeitsbedingungen und Achtung der Menschenrechte, was Bildung und Konsum fördert und zu einer Aufwärtsspirale für die Entwicklung führt. Deshalb kann man die Einbindung von Sozial- und Umweltschutznormen in die FHA und deren verbindliche Umsetzung als Win-Win-Situation bezeichnen.
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p(footnote). 1 Siehe “Studies on growth with equity” der ILO und des International Institute for Labour Studies. Social dimensions of free trade agreements. 119 S. 2013.