«Adeus Brasil»: Weshalb Brücke Le Pont ein erfolgreiches Programm aufgeben muss
Brücke Le Pont beendet ihr Programm in Brasilien auf Ende Jahr. Vieles, was in den Jahrzehnten geschaffen wurde, wird bleiben. Doch der Ausstieg zeigt, wie sehr die Entwicklungszusammenarbeit in der Politik unter Druck steht.
Es ist kein einfacher Ausstieg. Er erfolgt auch nicht freiwillig. Und doch ist er bald Tatsache: Brücke Le Pont, das Hilfswerk von Travail.Suisse, zieht sich Ende Jahr aus Brasilien zurück. Eingeleitet wurde dieser aufgrund von Kürzungen des Programmbeitrags der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) ab 2021 und dem Entscheid, dass die Deza per Ende 2024 aus Lateinamerika aussteigt. Auch den wichtigen Wiederaufbau der Ukraine und die Aufrüstung der Armee will Bundesbern – Stand jetzt – fast ausschliesslich aus dem Budget der Entwicklungszusammenarbeit finanzieren.
Das schmerzt, sagt Franziska Theiler. Die Geschäftsleiterin von Brücke Le Pont betont: «Unser Programm in Brasilien ist sehr gut, unsere Projekte wirken.» Dies zeigt unter anderem eine aktuelle Kapitalisierungsstudie, welche Brücke Le Pont zusammen mit neun lokalen Partnerorganisationen durchgeführt hat. Eine externe Expert:innengruppe hat die Studie geleitet. So wird die Wirkung aus 14 Jahren Arbeit auf 20 Seiten zusammengefasst.
Schwieriger Arbeitsmarkt, grösseres Wissen
Diese «Kapitalisierung von Wissen» sei ein wichtiger Lernprozess, sagt Bruno Essig, Programmverantwortlicher Brasilien von Brücke Le Pont. So werde das Wissensmanagement gestärkt, was schliesslich in die restlichen Programme einfliesst.
Die Befunde beginnen mit dem Aufzeigen der Relevanz. Jugendliche in Brasilien sind überdurchschnittlich stark von der schwierigen Situation auf dem Arbeitsmarkt betroffen. Fast die Hälfte von ihnen sind entweder arbeitslos, unterbeschäftigt oder haben ihre Arbeitssuche bereits aufgegeben, erklärt Bruno Essig. «Deshalb ist es wichtig, den Jugendlichen im Anschluss an eine Berufsbildung auch Unterstützung bei der Stellensuche zu bieten.»
So kommt die Studie zum Schluss, dass Brücke Le Pont Tausenden benachteiligten Jugendlichen eine hochwertige Berufsausbildung ermöglicht hat. Den meisten hat sich dadurch die Möglichkeit eröffnet, in den Arbeitsmarkt einzutreten und so ihr Einkommen, ihre Lebensqualität, ihr Selbstwertgefühl und ihre soziale Würde zu verbessern. Egal ob Schutz vor Ausbeutung und moderner Sklaverei, Stärkung fachlicher und sozialer Kompetenzen oder Vernetzung von Unternehmen: Zusammen mit ihren Partnerorganisationen hat es Brücke Le Pont geschafft, dass sich ihr Programm «Arbeit in Würde» tief in Teilen der brasilianischen Gesellschaft verankert hat.
«Teufelskreis der Armut durchbrochen»
Ohnehin hat die Arbeit mit Partnerorganisationen einen hohen Stellenwert für Brücke Le Pont. Diese verfügen nämlich über die nötigen Fachkräfte zur Projektumsetzung, kennen die lokalen Verhältnisse bestens und haben direkten Zugang zu den Personen und Gemeinschaften, die an den Projekten beteiligt sind. Die institutionelle Stärkung ist dabei zentral, so sollen die Organisationen vor Ort ihre Arbeit auch verrichten können, wenn Brücke Le Pont – wie bald in Brasilien der Fall – nicht mehr im Land selbst tätig sein kann.
Dies weiss auch Rosa Lidia Morais. Seit 2010 arbeitet sie als lokale Koordinatorin für das Landesprogramm Brasilien mit Brücke Le Pont zusammen. Pandemie, Regierungswechsel, politische Unruhen, die immer weitreichendere Aushöhlung des Arbeitsrechts; die Zeiten in Brasilien sind turbulent. «Es gab viele Umwälzungen, die sich negativ auf die soziale Gerechtigkeit ausgewirkt haben», sagt sie.
Umso wichtiger sei es, dass «vieles, was wir in den vergangenen Jahren erreicht haben, auch bleiben wird», sagt die Brasilien-Koordinatorin. So seien beispielsweise Hunderte Menschen aus der modernen Sklaverei befreit, über 90'000 zu diesem wichtigen Thema sensibilisiert worden. «Tausende Frauen sind finanziell unabhängig geworden, viele Jugendliche haben den Teufelskreis der Armut durchbrochen», sagt Lidia Morais. Und auch die Partnerorganisationen hätten sich Jahr für Jahr weiterentwickelt. «Sie werden sich weiterhin für die gemeinsamen Anliegen von ihnen und Brücke Le Pont einsetzen», ist sich Morais sicher.
Ringen um starke Entwicklungspolitik
Auch wenn die geschaffenen Strukturen nachhaltig sind: Eigentlich hätte Brücke Le Pont in Brasilien noch viel mehr bewirken wollen. Doch die Entwicklungen in der Schweizer Politik stimmen wenig optimistisch, die internationale Entwicklungszusammenarbeit (IZA) gerät mehr und mehr unter Druck. Und weil der Deza-Kernbeitrag rund ein Drittel der Einnahmen von Brücke Le Pont ausmacht, betrifft diese Politik den Kern ihrer Arbeit.
Aktuelle Beispiele? Nachdem sich der Bundesrat zum Schritt entschlossen hat, den wichtigen und richtigen Wiederaufbau der Ukraine mit Geldern zu finanzieren, die eigentlich für die IZA vorgesehen wären, will der Ständerat die Aufrüstung der Armee zur Hälfte auf Kosten des Globalen Südens stemmen. Die Rechnung passt auf einen Bierdeckel: 1.5 Milliarden Franken mehr für die Ukraine, 4 Milliarden mehr für die Armee – hingegen 3.5 Milliarden weniger für die IZA. So würde das IZA-Budget um einen Drittel gekürzt.
Es wäre beruhigend, diese Gangart als blosse Nonchalance abtun zu können. Doch dafür steht zu viel auf dem Spiel. Würden der IZA tatsächlich 3.5 Milliarden Franken gestrichen, könnte sie ihren verfassungsmässigen Auftrag schlicht nicht mehr erfüllen, schreibt das Kompetenzzentrum für internationale Zusammenarbeit und Entwicklungspolitik Alliance Sud in einer Mitteilung.
Man muss es an dieser Stelle in Erinnerung rufen: Entwicklungszusammenarbeit ist erstens eine staatspolitische Verpflichtung, die in der Schweizer Verfassung verankert ist. Zudem hat sich die Schweiz zweitens dazu bekannt, jährlich 0.7 Prozent des Bruttoinlandprodukts in die IZA fliessen zu lassen. Derzeit liegt man bei 0.43 Prozent, die zur Debatte stehenden Kürzungen noch nicht eingerechnet.
Drittens ist eine gute Entwicklungszusammenarbeit auch ein integraler Teil für sicherheitspolitische Überlegungen. Wer Landesverteidigung sagt und dabei nur an Panzer, Soldat:innen oder Cybersicherheit, nicht aber an Demokratieförderung, Menschenrechte oder lokale Ausbildungsangebote denkt, hat Sicherheitspolitik nicht verstanden.
Auch wenn hinsichtlich IZA-Mittel noch nicht das letzte Wort gesprochen ist: Es ist leider anzunehmen, dass ihr bald bedeutend weniger Mittel zur Verfügung stehen. Mittel, die genau jenen Projekten, wie sie Brücke Le Pont jahrzehntelang in Brasilien durchgeführt hat, fehlen werden.