Trauerbewältigung am Arbeitsplatz – eine Broschüre hilft dabei
Der Tod eines Mitarbeiters oder einer Mitarbeiterin oder eines Familienmitglieds ist in vielen Unternehmen an der Tagesordnung. Doch nur wenige haben sich darüber Gedanken gemacht, wie sie mit der Trauer umgehen sollen, die ihre Mitarbeitenden direkt oder indirekt trifft. Ein viersprachiger Leitfaden zu Trauer in der Arbeitswelt füllt diese Lücke. Sie will Geschäftsleitungen und Vorgesetzte für das Thema sensibilisieren und sie dazu auffordern, flexibel und kreativ zu bleiben, um sich an jede Situation anpassen zu können.
Jedes Jahr sterben in der Schweiz rund 65'000 Menschen. Die meisten Todesfälle ereignen sich in der sehr alten Bevölkerung, d.h. bei Personen über 80 Jahren (72,3%), oder nach dem Rentenalter, d.h. zwischen 65 und 79 Jahren (19,4%). Nur sieben Prozent der Bevölkerung sterben zwischen 40 und 64 Jahren und 1,3 Prozent vor dem vierzigsten Lebensjahr. In absoluten Zahlen hält das Bundesamt für Statistik fest, dass im Jahr 2020 440 Kinder zwischen 0 und 15 Jahren verstorben sind. Die Zahl der Verstorbenen zwischen 16 und 64 Jahren, lag bei 8’351. Soweit die Statistik zur Sterblichkeit.
Was die Trauer betrifft, fehlen hingegen die Statistiken. Wie viele direkte Verwandte – Eltern, Kinder, Partnerinnen und Partner, Grosseltern, Geschwister – sind von Trauer betroffen? Wie viele Angehörige werden durch den Verlust eines geliebten Menschen dauerhaft geprägt? In der Schweiz ist es unmöglich, dies zu sagen, da es keine Statistiken zu diesem Thema gibt.
Laut Professor Marc-Antoine Berthod von der Hochschule für Soziale Arbeit und Gesundheit HETSL in Lausanne, der eine Studie aus dem Jahr 1998 zitiert, macht die Zahl der bezahlten Urlaube für Todesfälle etwa 40 % der gesamten von den Unternehmen gewährten Sonderurlaube aus (1). Schätzungen zufolge sind heute zwischen 10 und 15 % der Erwerbsbevölkerung vom Verlust eines oder einer Angehörigen betroffen. Dies geht aus Berthods Studie hervor, die er zwischen 2007 und 2009 im Unterwallis bei etwa 20 Unternehmen durchgeführt hat.
Trauer wird in der Arbeitswelt vernachlässigt
Diese Zahlen lassen vermuten, dass die Trauerbewältigung und die Begleitung betroffener Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gängige Praxis und Teil des Instrumentariums der HR-Abteilungen sein müssten. Dies ist jedoch nicht der Fall. In vielen Unternehmen wird oft in letzter Minute «gebastelt». Die Arbeitskolleginnen und Vorgesetzten wissen nicht, was sie sagen und wie sie reagieren sollen oder wie lange es angebracht ist, der Trauer eines Kollegen Aufmerksamkeit zu schenken. Die von Berthod durchgeführte Studie zeigt, dass es an kollektiven Überlegungen und Initiativen seitens der Arbeitgebenden mangelt. Die sakrosankte Abgrenzung zwischen Privat- und Berufsleben scheint vielfach der Grund für den Mangel an standardisierten Regelungen und Verfahren zu sein. Das durch Erfahrung gesammelte Know-how wird nicht oder nur unzureichend dokumentiert, so dass das Rad jedes Mal neu erfunden werden muss. Die Unternehmen und ihre Personalfachleute ziehen es vielfach vor, die Dinge «von Fall zu Fall» zu regeln.
Dieses Vorgehen wirft Fragen auf, insbesondere im Hinblick auf das Risiko einer Ungleichbehandlung der betroffenen Arbeitnehmenden. Einer beliebten Mitarbeiterin wird unter Umständen mehr Flexibilität bei der Zeiteinteilung eingeräumt werden als einem anderen Mitarbeiter.
Ganz zu schweigen von den Ungleichbehandlungen, die Trauernde aufgrund bestimmter soziodemografischer Merkmale (ausländische Herkunft, religiöse oder kulturelle Zugehörigkeit, Alter, berufliche Stellen usw.) oftmals erleben. So wird ein Vorgesetzter allenfalls eher zwei zusätzliche Urlaubstage beim Tod der Mutter eines Mitarbeiters gewähren, die in einem anderen Kanton wohnt als beim Tod des Vaters eines Mitarbeiters, der in dessen Herkunftsland wohnt.
Ein weiteres Risiko besteht darin, eine Art Hierarchie der Trauer entstehen zu lassen, etwa die Trauer um ein Kind höher zu gewichten als den Verlust eines engen Freundes. Die Bedeutung, die der Trauernde dem Verlust beimisst, ist hier jedoch viel bedeutender als die Verwandtschaftsbeziehung.
Lehren aus der Forschung
Trauer hat viele Auswirkungen auf die direkt Betroffenen, aber auch auf ihr Umfeld. Davon ist natürlich auch die berufliche Sphäre betroffen. Laut einer amerikanischen Studie, die auf der Selbstbeurteilung von Trauernden basiert (25’000 Personen über 25 Jahre), überwiegt nach einem Todesfall das Gefühl, am Arbeitsplatz unproduktiv gewesen zu sein. Die Dauer dieses Gefühls ist jedoch sehr unterschiedlich, da jede Person anders ist. Die Hälfte der Befragten schätzt, dass sie dieses Gefühl mindestens einen Monat lang hatte. Nur ein Drittel der Personen erlebt diese subjektive Beeinträchtigung ihrer Produktivität über einen kürzeren Zeitraum, d. h. zwischen fünf und dreissig Tagen (2). Jeder Fünfte gibt an, dass dieses Gefühl bis zu einem Jahr anhält. Dies führt zu einem Produktivitätsrückgang, der sich in der Unfähigkeit äussern kann, Geschäftsbeziehungen angemessen zu pflegen, Verkaufsverträge abzuschließen, konzentriert und exakt zu arbeiten oder gute Entscheidungen zu treffen.
Laut einer aktuellen französischen Studie aus dem Jahr 2021 gaben 88% der Französinnen und Franzosen an, innerhalb eines Jahres einen Todesfall erlebt zu haben. Eine/r von zwei Berufstätigen wird im Laufe seines Berufslebens am Arbeitsplatz mit Trauer konfrontiert und einer von drei Managern muss sich mit einer trauernden Mitarbeiterin auseinandersetzen. 63% der Arbeitnehmenden erhalten keine Unterstützung durch ihren Betrieb und 80% der Arbeitnehmenden sind der Meinung, dass die Unterstützung durch die Personalabteilung unangemessen, unnötig oder nicht vorhanden ist. Im Gegensatz dazu werden 47% der trauernden Arbeitnehmenden von ihren Kolleginnen und Kollegen unterstützt. 53% der Trauernden finden es hilfreich, wenn ihnen bei der Rückkehr an ihren Arbeitsplatz ein Gespräch angeboten wird. Die durchschnittliche Dauer von Arbeitsunterbrechungen aufgrund von Trauerfällen beträgt 34 Tage pro Jahr. 67 % der Arbeitnehmenden fehlten am Arbeitsplatz und 11 % verliessen diesen ganz (3).
Eine Broschüre zur Sensibilisierung in der Schweiz
Es liegt also nicht nur im Interesse des Unternehmens, sondern auch in seiner Verantwortung, eine durchdachte, dokumentierte und strukturierte, aber auch flexible und sensible Praxis anzuwenden, um diese besondere Zeit bestmöglich zu bewältigen. Die trauernde Person kann grossem Druck ausgesetzt sein, wenn sie an den Arbeitsplatz zurückkehrt und nach ihrer Abwesenheit potenzieller Überlastung ausgesetzt sein. Diese berufliche Überlastung kann zu einer privaten administrativen Überlastung hinzukommen, die durch den Todesfall verursacht wurde (Organisation der Beerdigung, Behördengänge, Verkauf einer Immobilie, usw.).
Die HETSL hat deshalb einen neuen Leitfaden herausgegeben, der aus den Überlegungen einer Arbeitsgruppe hervorgegangen ist, in der Travail.Suisse mit anderen Partnern wie der Fédération des Entreprises Romandes FER, HR Swiss, Swiss Leaders und dem Staatssekretariat für Wirtschaft zusammengearbeitet hat. Auch die Interessengemeinschaft Angehörigenbetreuung IGAB hat das Projekt unterstützt. Die meisten pflegenden Angehörigen gehen zusätzlich einer Erwerbstätigkeit nach. Wenn Krankheit und später der Tod eintreten, sind sie mit zahlreichen Hindernissen konfrontiert, die es schwierig machen, die berufliche Tätigkeit mit der Betreuung, Pflege und dem übrigen Familienleben zu vereinbaren (1). Die im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms «Lebensende» durchgeführte Forschung zeigt, dass es in den Unternehmen keine «lokale Rechtsprechung» gibt, d.h. keine systematische Dokumentation der Lösungen, die den einzelnen Personen zugestanden werden.
Die Broschüre ist als Leitfaden für Unternehmen gedacht und richtet sich an alle in den Unternehmen: Kolleginnen und Kollegen, direkte Teamleiterinnen und Teamleiter, Personalabteilungen und die Geschäftsleitung. Für jedes Zielpublikum wurden spezifische Empfehlungen ausgearbeitet. Die rechtlichen Aspekte werden detailliert erläutert, ebenso sind Denkanstösse enthalten für eine weitere Auseinandersetzung mit dem Thema.
Links:
- Broschüre auf Deutsch, Französisch, Italienisch und Englisch.
- Spezifische Informationen für erwerbstätige pflegende Angehörige: www.info-workcare.ch
- Betriebliche Schulungen zum Thema Trauer der HETSL: https://www.hetsl.ch/deuil-dans-le-monde-du-travail/
Quellen:
(1) Berthod, Marc-Antoine. « Le quasi-accompagnement des employés en deuil au sein des entreprises », Pensée plurielle, vol. 22, no. 3, 2009, pp. 89-98.
(2) «The Grief Index. The Hidden Annual Costs of Grief in America’s Workplace» (2003)
(3) Livre blanc 2. 10 propositions pour accompagner le deuil dans la vie professionnelle. Association Empreintes.