Familienfrauen, die nach einem langjährigen Erwerbsunterbruch wieder ins Berufsleben zurückkehren wollen, haben oft einen Bedarf an Weiterbildung. Da die Betroffenen in der Mehrzahl die Weiterbildung selbst finanzieren müssen, verzichten viele auf eine Weiterbildung und nehmen letztlich eine Stelle unter ihren erworbenen Qualifikationen an. Die Einführung von Weiterbildungsgutscheinen für nicht oder geringfügig erwerbstätige Familienfrauen könnte Abhilfe schaffen.
Im Rahmen des Projekts „Expérience ReProf“ haben wir untersucht, wie Familienfrauen nach einem langjährigen Erwerbsunterbruch eine Weiterbildung finanzieren. Denn unsere Recherche hat gezeigt, dass bei den meisten Betroffenen ein Bedarf an Beratung und beruflich-fachlicher Weiterbildung besteht. Als Knackpunkt erweist sich die Finanzierung der Weiterbildung. Für die meisten Familienfrauen, die nach einem langjährigen Erwerbsunterbruch ins Berufsleben zurückkehren wollen, sieht das Fazit wie folgt aus: kaum Zugang zu Leistungen der Arbeitslosenversicherung, wenig Chancen auf Stipendien, viel Aufwand bei der Suche nach Stiftungsgeldern.1
Sechs von zehn erwerbslosen Frauen nicht beim RAV registriert
Interessant in diesem Zusammenhang ist die neuste Publikation des Bundesamtes für Statistik zur überproportionalen Erwerbslosigkeit von Frauen. Sie zeigt auf, dass sechs von zehn Frauen, die von Erwerbslosigkeit gemäss Definition ILO betroffen sind, nicht beim RAV (regionale Arbeitsvermittlungszentren) registriert sind.2 Sie suchen ohne Hilfe der RAV eine Stelle. Folglich können sie auch nicht Leistungen der Arbeitslosenversicherung beanspruchen, wie zum Beispiel den Besuch von Standortbestimmungs- und beruflich-fachlichen Kursen. Von den erwerbslosen Frauen gemäss Definition ILO arbeitete jede fünfte zuvor im Haushalt.3
Ein Grossteil der betroffenen Frauen ist in der Folge gezwungen, die Weiterbildung selbst zu finanzieren. Gerade bei beruflich-fachlichen Kursen fallen jedoch schnell namhafte Beträge an. Dies bestätigt eine im Mai 2012 von der Projektleitung durchgeführte Befragung der Kursanbieter. Die meisten Kurse für Wiedereinsteigerinnen mit Lehrabschluss kosten zwischen 1’000 bis 5’500 Franken. Angesichts der häufig knapp bemessenen Haushaltsbudgets sind solche Beträge in zahlreichen Fällen nicht aufzubringen. Viele Familienfrauen werden letztlich auf eine Weiterbildung verzichten, weil sie sich eine solche schlicht nicht leisten können. Um dennoch in den Arbeitsmarkt einzusteigen, nehmen sie häufig eine Arbeit auf, die nicht ihren Qualifikationen entspricht.
Schlecht genutztes Potenzial
Eine erhöhte Erwerbstätigkeit der Frauen ist im Interesse der Gesellschaft, um zum Beispiel die Sozialversicherungen zu finanzieren. Zudem braucht die Wirtschaft gut ausgebildete Arbeitskräfte. Familienfrauen, die nach einem langjährigen Erwerbsunterbruch wieder eine Arbeit aufnehmen wollen, verfügen mehrheitlich über einen Lehrabschluss, sind motiviert und haben während ihrer Familienzeit viele Kompetenzen erworben. Mit Hilfe einer Weiterbildung, die sie beruflich à jour bringt, könnten sie eine qualifizierte Arbeit aufnehmen. Das Potenzial dieser Familienfrauen wird jedoch schlecht genutzt, solange ihre Weiterbildungsbemühungen an den Finanzen scheitern.
Ein Ziel des Berufsbildungsgesetzes unter Artikel 3b ist die Förderung und Entwicklung der tatsächlichen Gleichstellung von Mann und Frau. Auch das geplante Weiterbildungsgesetz sieht im Artikel 8 Absatz 1 vor, die Chancengleichheit zwischen den Geschlechtern zu verbessern.4 Zur Umsetzung dieses Ziels gehört, dass die Weiterbildung von Familienfrauen, die nach einem Erwerbsunterbruch wieder ins Berufsleben zurückkehren wollen, bei Bedarf finanziell unterstützt wird. Dies kann nachfrageorientiert erfolgen, wie dies das vorgeschlagene Weiterbildungsgesetz vorsieht. Wie könnten Weiterbildungsgutscheine für Wiedereinsteigerinnen aussehen?
Weiterbildungsgutschein bei knappem Budget
Das Ziel von Weiterbildungsgutscheinen für Wiedereinsteigerinnen muss sein, dass diejenigen Familienfrauen, die wegen fehlenden finanziellen Mitteln auf eine Weiterbildung verzichten, dank des Gutscheins eine notwenige Weiterbildung absolvieren können. Anrecht auf einen Gutschein sollten Familienfrauen mit einem tiefen bis mittleren Haushalteinkommen haben. Gerade auch Familienfrauen aus Haushalten der unteren Mittelschicht sollten Zugang zu den Weiterbildungsgutscheinen erhalten. Denn diese Haushalte haben nachweislich kaum Ersparnisse und leben oft von der Hand in den Mund.5
In den Genuss von Weiterbildungsgutscheinen sollten nicht nur Familienfrauen kommen, die seit längerem nicht erwerbstätig waren, sondern auch Familienfrauen, die nur geringfügig erwerbstätig sind und eine Tätigkeit ausüben, die nicht ihren erworbenen Qualifikationen entspricht. Denn Familienfrauen mit Minipensen können in der Regel nicht darauf zählen, dass ihre Arbeitgeber die Weiterbildung bezahlen.6
Die Vergabe von Weiterbildungsgutscheinen hätte für diese Zielgruppe entscheidende Vorteile. Mit Gutscheinen kann der individuell unterschiedliche Bedarf an Weiterbildung im beruflich-fachlichen Bereich gezielt gedeckt werden. Der Weiterbildungsmarkt hätte zudem ein grösseres Interesse daran, die Bedürfnisse dieser Zielgruppe abzudecken und massgeschneiderte Angebote für sie zu entwickeln.
Wie eine Studie der Universität Bern zu Weiterbildung und Bildungsgutscheinen zeigt, muss ein Bildungsgutschein einen gewissen Betrag aufweisen, damit ein finanzieller Anreiz besteht, den Gutschein einzulösen: „Es braucht also einen minimalen Nennwert des Gutscheins, der eher bei 1000 Franken liegen dürfte als bei 200 Franken, damit dieser überhaupt kausal eine Mehrbeteiligung an Weiterbildung auslöst.“7 Ein Gutschein in dieser Grössenordnung für nicht oder geringfügig erwerbstätige Familienfrauen wäre für die Einzelne ein substanzieller Beitrag zur Weiterbildung und der Schlüssel für eine erfolgreiche Integration in den Arbeitsmarkt. Aus gesellschaftlicher Sicht wäre es auch ein Beitrag, um der Zielgruppe mit knappen finanziellen Mitteln, die weder von der öffentlichen Hand noch von Arbeitgebern finanziell unterstützt wird, die notwenige Weiterbildung dennoch zu ermöglichen.
1 Im Artikel „Finanzierung der Weiterbildung als Knackpunkt“ unter http://www.travailsuisse.ch/de/node/3166 erfahren Sie mehr über den Zugang der Gruppe zu Leistungen der öffentlichen Hand.
2 BFS aktuell: Frauen und Erwerbslosigkeit: Anhaltende Unterschiede zwischen Frauen und Männern bei der Erwerbslosenquote. Neuchâtel 2012. S. 9. Zur Definition der Erwerbslosigkeit gemäss ILO siehe S. 8 und 26. Zur Publikation: http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/news/publikationen.html?pub… .
3 Dito S. 16.
4 Zum Vorentwurf eines Bundesgesetzes über die Weiterbildung siehe unter http://www.bbt.admin.ch/themen/berufsbildung/00105/01299/index.html?lan…
5 Siehe dazu die Studie der gfs.bern von Longchamps, Claude et al.: Bei finanziellen Engpässen auf weitere Kinder verzichten. Schlussbericht zur Studie „Wie geht es den Mittelschichtfamilien in der Schweiz?“. Bern 2010. S. 12-13.
6 Zur Diskriminierung von erwerbstätigen Frauen bei der Weiterbildung siehe auch der Bildungsbericht Schweiz: „Allerdings finanzieren erwerbstätige Frauen ihre Weiterbildung zu 60% selbst, während die Männer nur für ein Drittel selbst aufkommen müssen. Sogar dann, wenn man nur vollzeitlich erwerbstätige Personen betrachtet, liegt der Selbstfinanzierungsanteil der Frauen mit 59% immer noch deutlich über jenem der Männer mit 35%. ….Der Geschlechtervergleich der Gruppe der vollzeitlich Erwerbstätigen zeigt, dass die Ungleichbehandlung, welche Frauen hier erfahren, nicht wirklich mit objektiven Tatbeständen erklärt werden kann und es sich demzufolge um Diskriminierung und eine Verletzung der Chancengerechtigkeit handeln muss.“ Schweizerische Koordinationsstelle für Bildungsforschung SKBF: Bildungsbericht Schweiz 2010. Aarau 2010. S. 268.
7 Messer, Dolores, Wolter, Stefan C: Weiterbildung und Bildungsgutscheine. Resultate aus einem experimentellen Feldversuch. Zusammenfassung und Einzelaspekte der Studienergebnisse. Bern 2009. S. 10.