Was lange vermutet wurde, ist jetzt auch wissenschaftlich belegt: Mutterschaft ist ein Faktor, der Frauen auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt. Die häufigste Form der damit verbundenen Diskriminierung ist eine Entlassung oder eine Kündigung «im gemeinsamen Einvernehmen». Tausende von Frauen sind jedes Jahr betroffen. Diese Ergebnisse widerlegen die jüngst geäusserten Beteuerungen der Arbeitgeberseite, dass bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie alles bestens laufe.
Am 2. März veröffentlichte der Bundesrat einen Bericht in Erfüllung des Postulats Maury-Pasquier1, das verlangte, die Möglichkeit eines Urlaubs vor der Geburt im Rahmen der Mutterschaftsversicherung zu prüfen2. Die Regierung stützt sich auf eine Studie, die nur wenig Aufmerksamkeit erhalten hat, die jedoch erstmals mit wissenschaftlichen Methoden belegt, dass Mutterschaft für erwerbstätige Frauen ein reales Hindernis ist. In der vom Büro BASS im Auftrag des Bundesamts für Sozialversicherungen durchgeführten Studie wurde eine Stichprobe von 2809 Frauen befragt, die zwischen Januar und August 2016 ein Kind bekamen und Anspruch auf Mutterschaftsentschädigung hatten. Analysiert wurden auch die Antworten von 3575 Firmen, die repräsentativ für die Schweizer Unternehmenslandschaft sind.
Die Studie ist in mehr als einer Hinsicht aufschlussreich. Bisher wurde lediglich in Zeitungen und im Radio und Fernsehen regelmässig über Schwierigkeiten berichtet, mit denen Frauen am Arbeitsplatz konfrontiert sind, sobald sie Mutter werden. Zahllose individuelle Geschichten zeigen auf, wie rücksichtslos gewisse Arbeitgeber sich verhalten und wie wenig sie über die besonderen Rechte von schwangeren Frauen wissen. Diese Rechte wurden bekanntlich erlassen, um die Gesundheit von Frauen und ungeborenen Kindern zu schützen. Zum ersten Mal liegen nun genauere Anhaltspunkte dazu vor, wie viele Frauen jährlich entlassen werden und welche Gründe jedes Jahr tausende von Frauen dazu bewegen, sich aus dem Arbeitsmarkt zurückzuziehen.
Negative Reaktionen und Kündigungen
Während die Ankündigung einer Schwangerschaft insgesamt für die Mehrheit der Frauen gut verläuft, trifft das Gegenteil noch immer auf viel zu viele Fälle zu. Wenn die Frauen am Arbeitsplatz über ihre Schwangerschaft informieren, stossen sie auf gemischte Reaktionen. Unter den vorgeschlagenen Antworten der Studie sind die negativen noch viel zu zahlreich.
In 11% der Fälle schlug der Arbeitgeber vor, das Arbeitsverhältnis in gegenseitigem Einvernehmen aufzulösen. In 7% der Fälle kündigte der Arbeitgeber seine Absicht an, das Arbeitsverhältnis nach dem Mutterschaftsurlaub (bzw. nach dem Kündigungsschutz von 16 Wochen) aufzulösen. Bei fast jeder fünften Frau bedeutet die Ankündigung der Schwangerschaft für den Arbeitgeber, dass er plant, sich von ihr zu trennen.
6% der Frauen sagen, dass ihr Arbeitgeber ihnen geraten hat, die Stelle zu wechseln. Und bei 11% der Frauen haben die Vorgesetzten mit Wut reagiert. Die Ankündigung einer Schwangerschaft gibt offensichtlich Anlass zu ersten Spannungen. Aus diesem Grund hat Travail.Suisse die kostenlose Website www.mamagenda.ch bereitgestellt: Diese digitale Agenda gibt auch Tipps dazu, wie die Ankündigung einer Schwangerschaft am ehesten reibungslos verläuft.
Eine andere Frage gibt Hinweise darauf, welche Folgen die Reaktionen auf die Ankündigung der Schwangerschaft hatten. Die zum Zeitpunkt der Befragung nicht erwerbstätigen Frauen wurden gefragt, welche Gründe sie dazu bewogen, nach dem Mutterschaftsurlaub, d.h. 6 bis 12 Monate nach der Geburt, nicht an ihren Arbeitsplatz zurückzukehren. Die Antworten sind alarmierend: 11% der Befragten gaben an, dass sie tatsächlich entlassen wurden. Dies bedeutet, dass jede zehnte Frau in der Schweiz nach dem Mutterschaftsurlaub die Kündigung erhält.
Auch die übrigen Antworten sind beunruhigend: 22% der gleichen Gruppe von Frauen gaben an, dass sie nicht weiter arbeiten konnten, weil sie nicht die Möglichkeit erhielten, ihr Pensum zu reduzieren, und 20% gaben an, dass sie selber gekündigt haben. Die Mehrheit der gewählten Antworten (36 %) betrifft den Wunsch, nicht weiter arbeiten zu wollen. Es stellt sich in diesem Zusammenhang allerdings die Frage, wie viele dieser Antworten dem schlechten Arbeitsklima, dem sich schwangere Frauen ausgesetzt sehen, der Unmöglichkeit, zu einem reduzierten Pensum weiter zu arbeiten oder einem anderem vom Willen der Frauen unabhängigen Grund geschuldet sind. Der Bericht sagt dazu nichts aus. Wir wissen, dass Frauen während der gesamten Schwangerschaft einem beträchtlichen Druck ausgesetzt sind. Kein Teilzeitpensum anzubieten (obwohl dies möglich wäre) oder der werdenden Mutter das Leben unerträglich zu machen, ist für den Arbeitgeber eine einfache Strategie, um die Kündigung durch die Arbeitnehmerin zu erzwingen.
Diese vier Antworten (die Kündigung erhalten, kein Teilzeitpensum, selber kündigen, nicht mehr weiter arbeiten wollen) zusammen zeigen, dass werdende Mütter die Situation am Arbeitsplatz als sehr angespannt erleben. Es wäre interessant, den genauen Anteil der vor ihrer Schwangerschaft erwerbstätigen Frauen zu kennen, die gegen ihren eigenen Willen ihre Arbeit nicht wieder aufgenommen haben (Kündigung, kein Teilzeitpensum usw.).
2134 Arbeitgeber wurden ihrerseits über die Häufigkeit der Gründe für eine Nichtrückkehr ihrer Angestellten an ihre Arbeitsstelle nach dem Mutterschaftsurlaub befragt. Die Antwort, wonach die Arbeitnehmerin selber gekündigt hat, erhielt dabei 42 % der positiven Antworten (die Antworten „oft“ und „manchmal“ wurden dabei zusammengezählt). Die Kündigung im gegenseitigen Einvernehmen wurde in 24 % der Antworten genannt und die Kündigung von Seiten des Arbeitgebers in 9 % der Antworten.
Verlängerung des Mutterschaftsurlaubs – nicht immer freiwillig
13% der befragten Frauen gaben an, dass sie zum Zeitpunkt der Befragung nicht erwerbstätig waren, weil sie den Mutterschaftsurlaub verlängern. Man würde annehmen, dass sie selber dies so wünschten. Dies ist jedoch nicht immer der Fall. Vielmehr zeigen die Antworten, dass Frauen häufig gegen ihren Willen länger im Mutterschaftsurlaub bleiben: Weil sie ihre Stelle verloren haben oder weil sie nicht für denselben Arbeitgeber weiterarbeiten möchten (interessant wäre zu wissen, aus welchen Gründen), weil sie keinen passenden Betreuungsplatz für ihr Kind gefunden haben oder wegen medizinischen Komplikationen (beim Kind oder bei sich selber).
Das Büro BASS schätzt aufgrund einer sehr vorsichtigen Hochrechnung, dass 3,2% der erwerbstätigen Frauen nach dem Mutterschaftsurlaub die Kündigung erhalten, d.h. jedes Jahr über 2500 Frauen. Dieser sehr niedrige Anteil stützt sich ausschliesslich auf die Antworten, die explizit eine Entlassung erwähnen. Nicht berücksichtigt sind alle Fälle, in denen Frauen auf irgendeine Weise dazu gedrängt werden, das Arbeitsverhältnis aufzulösen. Es ist zu befürchten, dass eine direkte oder eine provozierte Kündigung in der Realität im schlimmsten Fall jede fünfte und im besten Fall jede zehnte Frau betrifft.
Seine Rechte wahrzunehmen kann die Entlassung bedeuten
Das Gleichstellungsgesetz hat den Mangel, dass es der anspruchsberechtigten Person obliegt, ihre Rechte geltend zu machen. Anders als dies das Arbeitsgesetz im Bereich der Gesundheit und der Arbeitssicherheit vorsieht, hat keine staatliche Stelle die Befugnis, die Anwendung des Gleichstellungsgesetzes zu überprüfen und durchzusetzen. Häufig wird den diskriminierten Frauen vorgeworfen, dass sie sich nicht wehren. Die wenigen Frauen, die nicht einfach aufgeben, sondern ihre Rechte durchsetzen, bezahlen häufig mit einer Entlassung3 für ihren Mut.
Eine Studie der Universität Genf im Auftrag des Eidgenössischen Büros für die Gleichstellung von Frau und Mann analysierte gegen 200 Urteile und Schlichtungsprotokolle aus dem Zeitraum von 2004 bis 20154. Von den untersuchten Entscheiden5 betrafen 32% eine Diskriminierung wegen einer Schwangerschaft oder Mutterschaft (der Rest ausschliesslich wegen des Geschlechts). Wenn diskriminierte Frauen rechtliche Schritte einleiten, kostet sie das häufig die Stelle: Die Arbeitsverhältnisse waren in 67,8% der Fälle zum Zeitpunkt der Klage und in 84% der Fälle im Zeitpunkt des Urteils beendet.
Die Autoren der Studie empfehlen, ein Kontrollorgan einzusetzen, das die Umsetzung des Gleichstellungsgesetzes kontrolliert, d.h. kantonale Behörden mit Prüf- und Kontrollbefugnis wie Arbeitsinspektorinnen und – inspektoren, unter der Oberaufsicht des Bundes.
Teilzeitarbeit und Urlaub nach der Geburt ist noch zu stark Frauensache
22% der Frauen (die zum Zeitpunkt der Befragung nicht erwerbstätig waren) gaben an, dass sie ihre Stelle nicht wieder antraten, weil sie nach dem Mutterschaftsurlaub ihr Pensum nicht reduzieren konnten. Hier wartet noch viel Sensibilisierungsarbeit, damit Familien und Unternehmen überhaupt auf die Idee kommen, dass auch Männer ihr Pensum reduzieren können, wenn sie Vater werden.
Denn solange nur die Frauen aufgefordert werden, ihre Erwerbsarbeit einzuschränken, bleibt dies ein Nährboden für Ungleichheiten. Die Einführung eines Vaterschaftsurlaubs wird den Mentalitätswandel mit Sicherheit fördern. Die in der Studie befragten Frauen gaben denn auch an, dass ihnen die Einführung eines Vaterschaftsurlaubs mehr nützen würde als ein vorgeburtlicher Urlaub. Allerdings ist die Mehrheit der befragten Frauen der Meinung, dass der Mutterschaftsurlaub zu kurz ist. Deshalb verlängern sie ihn durch Ferien oder einen unbezahlten Urlaub. Die Anwesenheit und die Unterstützung des Partners nach der Geburt wurde die Frauen zweifellos entlasten. Der Vaterschaftsurlaub ist eine Massnahme, die die Gleichstellung von Frau und Mann fördert.
Travail.Suisse präsentiert Forderungen am 30. April
Die Grundsatzfrage ist, aus welchen Gründen Frauen mit guter Ausbildung und jahrelanger Berufserfahrung wirklich ihre Stelle aufgeben und sich ganz von ihrem Partner abhängig machen. Familiäre Gründe (die Kinder vollständig selber betreuen) sind sicher zu respektieren, es ist aber mehr als wahrscheinlich, dass auch andere Gründe eine Rolle spielen, beispielsweise Unzufriedenheit mit der Arbeit, eine schlechte Arbeitsatmosphäre oder das Gefühl, diskriminiert zu werden. Gemäss dem Bericht des Büros BASS gaben 40% der Frauen an, dass ihr Arbeitgeber sie nicht über ihre Rechte als Schwangere informierte, und 34%, dass während der Schwangerschaft keine konstruktiven Lösungen für ihre Arbeit gesucht wurden. Dies spielt bei der Aufgabe der Erwerbsarbeit zweifellos eine Rolle.
Der Arbeitgeberverband Centre Patronal titelte in der französischsprachigen Publikation «Patrons» kürzlich: «Conciliation travail-famille: le tableau n’est pas si sombre»6 – so schlecht sei die Lage gar nicht, was die Vereinbarkeit von Beruf und Familie betreffe. Die beiden kürzlich erschienenen Studien zeigen jedoch das Gegenteil.
Die Diskriminierung im Zusammenhang mit der Mutterschaft sowie andere Fragen zur Gleichstellung von Frau und Mann auf dem Arbeitsmarkt sind Thema der nächsten Medienkonferenz von Travail.Suisse am 30. April. Die unabhängige Dachorganisation wird dann ihr neues Positionspapier zur Gleichstellung von Frau und Mann mit 28 Forderungen präsentieren. Eine Forderung ist bereits erfüllt: Mit der Studie des Büro BASS liegen endlich mehr Informationen über die Situation von Frauen nach dem Mutterschaftsurlaub auf dem Tisch.
fn. 1Postulat 15.3793 «Mutterschaftsurlaub. Arbeitsunterbrüche vor dem Geburtstermin.».
2Die Antwort der Regierung fiel negativ aus: Es bestehe kein Anlass, einen solchen Urlaub einzuführen, da Arbeitsunterbrüche im Zusammenhang mit einer Schwangerschaft finanziell genügend abgedeckt seien und vermutlich nur sehr wenige Frauen von einem solchen Urlaub profitieren könnten.
3Für einen solchen Schritt braucht es auch sehr viel Energie. Eine Schwangerschaft und eine Geburt sind prägende Ereignisse im Leben einer Frau und ihres Partners. Der Zeitpunkt, sich auf einen aufwändigen Rechtsstreit gegen den Arbeitgeber einzulassen, ist deshalb mehr als ungünstig. Die Frau riskiert damit einerseits ihre Stelle und andererseits Kosten, falls sie vor Gericht verliert.
4Prof. Dr. iur. Karin Lempen und lic. iur. Aner Voloder, Analyse der kantonalen Rechtsprechung nach dem Bundesgesetz über die Gleichstellung von Frau und Mann (2004-2015). Forschungsbericht, Universität Genf, im Auftrag des EBG, Bern, Juni 2017.
5Sexuelle Belästigungen oder Rachekündigungen werden nicht gezählt. Insgesamt wurden 130 von 190 Fällen berücksichtigt. Der Grund für die Diskriminierung im Sinne von Artikel 3 Absatz 1 GlG ist in 64% der Fälle das Geschlecht und in 6 Fällen (4,6%) das Geschlecht und die Familiensituation.
6«Patrons», März 2018, Nr. 3 (französisch).