Vätern in der Schweiz steht bei der Geburt ihres Kindes ein einziger freier Tag zur Verfügung. Für die reiche Schweiz, die sich eine bessere Familienpolitik leisten könnte, ein Armutszeugnis. Die Politik hat den Handlungsbedarf bisher nicht erkannt. Die Initiative für einen zwanzigtägigen Vaterschaftsurlaub – lanciert von Travail.Suisse, dem unabhängigen Dachverband der Arbeitnehmenden, Alliance F, männer.ch und Pro Familia Schweiz – findet beim Volk grossen Anklang.
Väter in der Schweiz haben es nicht leicht: Bei der Geburt ihres Kindes steht ihnen faktisch kein Vaterschaftsurlaub zu, weder bezahlt noch unbezahlt. Im Rahmen der „üblichen freien Tage und Stunden“ laut Obligationenrecht Artikel 329 Absatz 3 können sie zwar einen freien Tag beziehen – eine reservierte Zeit für Väter gibt es nicht. Dauert die Geburt länger als 24 Stunden, verpasst er möglicherweise sogar diesen wichtigen Moment. Ein Vaterschaftsurlaub wird hierzulande gleich behandelt wie ein Umzug in eine neue Wohnung. Mit dieser Regelung ist die Schweiz ein Entwicklungsland. Der Durchschnitt bei den OECD-Ländern beträgt 8 Wochen – doppelt so viel, wie die Vaterschaftsurlaubs-Initiative verlangt – nämlich flexible 20 Tage. Der Vorteil ist, dass die 20 vorgeschlagenen Tage auch einzeln innerhalb eines Jahres nach der Geburt des Kindes bezogen werden können. Anstatt vier Wochen am Stück zuhause zu sein, können beispielsweise über zehn Wochen zwei Tage für die Familie reserviert werden. Als Folge wird es zur Normalität, dass Väter aufgrund von Familienpflichten für kurze Zeit am Arbeitsplatz abwesend sind.
Für einen optimalen Start ins Familienleben ist die Präsenz von Vätern unabdingbar. Die Mutter braucht nach den Anstrengungen, die eine Geburt mit sich bringt, Erholung. Wenn sie sich nur wenige Tage danach alleine um das Neugeborene, andere Geschwister, den Haushalt etc. kümmern muss, ist das nur schwer möglich. Die freie Zeit für Väter ist ausserdem enorm wichtig, um ihnen die Möglichkeit zu geben, eine Beziehung zu ihrem Kind aufzubauen und väterliche Kompetenzen zu erlernen. Hinzu kommt, dass die Arbeitsteilung der Eltern nach der Geburt nicht automatisch in die klassische Rollenverteilung zurückfällt. Wenn Väter von Anfang an mehr Familienpflichten erfüllen und seine Partnerin entlasten kann, kann sich die Mutter besser um einen Wiedereinstieg ins Erwerbsleben kümmern. Ein Kind zu haben soll für die Mutter nicht bedeuten, dass sie ihre Ambitionen im Beruf vernachlässigen muss.
Zeit für Väter momentan abhängig vom Arbeitgeber
Väter wollen mehr Verantwortung übernehmen und für ihre Familie da sein. Aus einer repräsentativen Studie, durchgeführt vom LINK-Institut im Auftrag von Travail.Suisse, gaben über 80 Prozent an, einen Vaterschaftsurlaub nötig zu finden (LINK Institut, Vaterschaftsurlaub, Luzern 2015). Das Bedürfnis in der Bevölkerung besteht klar. Die Politik hinkt dennoch weiter hinterher: Mehr als 30 Vorstösse zu einem Vaterschaftsurlaub wurden bisher im Parlament abgelehnt. Eine Volksinitiative ist die logische Konsequenz, um der Bevölkerung endlich Gehör zu verschaffen. Nur wenige Arbeitnehmende haben das Glück, dass ihr Arbeitgeber das Manko erkannt hat und einen internen Vaterschaftsurlaub von mehr als zwei Tagen zur Verfügung stellt. Bei den meisten handelt es sich denn auch um grössere Unternehmen, die es sich leisten können. Mit einer gesetzlichen Regelung könnten alle davon profitieren und sind nicht mehr vom Goodwill des Arbeitgebers abhängig.
Wie der Mutterschaftsurlaub und die Militärdiensttage wird auch der Vaterschaftsurlaub über die Erbwerbsersatzordnung (EO) finanziert. Die Beiträge müssen mittelfristig nicht oder kaum angepasst werden, da die Anzahl Militärdiensttage laufend sinken. Dafür zahlen Arbeitgeber und Arbeitnehmende je 0.06 Lohnprozente an Beiträge ein. Bei einem Monatslohn von 6000 Franken sind das 3.60 Franken. Das entspricht den Kosten einer Tasse Kaffee – ein Vaterschaftsurlaub ist definitiv realisierbar.
Unternehmen erkennen Wichtigkeit des Anliegens
Ein Vaterschaftsurlaub von 20 Tage fördert die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Die grosse Unterstützung in der Bevölkerung zeigt sich bei der Unterschriftensammlung: Für die Einreichung fehlen noch einige tausend Unterschriften. Seit Lancierung haben ausserdem einige Unternehmen erkannt, dass vier Wochen Vaterschaftsurlaub keinesfalls ein Luxus ist: Unter anderem die Versicherungsgruppe AXA Winterthur und IKEA Schweiz sind dem Beispiel der Initiative gefolgt und stellen ihren Mitarbeitern neu vier bezahlte Wochen zur Verfügung. Mit der Einführung eines Vaterschaftsurlaubs ist der erste Schritt für eine verbesserte Familienpolitik in der Schweiz getan.