Der Nationalrat wird aufgrund verschiedener parlamentarischer Vorstösse bald wieder Gelegenheit haben, über den Vaterschafts- und einen Adoptionsurlaub zu diskutieren. Die Landesregierung nimmt diesbezüglich eine schon fast schizophrene Haltung ein: Einerseits hat die Bundesverwaltung den Vaterschaftsurlaub für ihre Angestellten verlängert, andererseits bedauert Bundesrat Schneider-Ammann den Fachkräftemangel, ohne konkrete Massnahmen für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu formulieren. Einerseits setzt der Bundesrat der Swisscom das Ziel der Vereinbarkeit nicht mehr, andererseits verlangt die Legislaturplanung genau das von bundesnahen Betrieben. Travail.Suisse, die unabhängige Organisation der Arbeitnehmenden, erkennt darin Spuren alter ideologischer Denkmuster, die es zu überwinden gilt.
Die Deutschschweizer Presse titelte vor kurzem: Der Vaterschaftsurlaub wird bei einem Grossteil der Unternehmen zur Selbstverständlichkeit. Nach der von Travail.Suisse jährlich durchgeführten Befragung zu Elternurlauben bei Arbeitgebern der öffentlichen Hand machte der Tagesanzeiger eine Umfrage bei mehreren grossen Privatunternehmen in der Schweiz. Die Musterschüler bieten Vätern nach der Geburt ihrer Kinder zwischen 10 und 20 Urlaubstagen, die weniger guten Schüler nur fünf Tage. Am Ende des Feldes sind Unternehmen zu finden, die als sehr traditionell gelten (Ruag, Georg Fischer, Schindler). Diese halten sich an das gesetzliche Minimum und gewähren ein bis zwei Tage, also gleich viel wie für einen Zahnarztbesuch oder einen Umzug.
Der im Elternurlaub enthaltene oder separate Vaterschaftsurlaub ist zwar noch nicht für alle selbstverständlich, aber zur Bewältigung der zusätzlichen Haushalts- und Familienpflichten notwendig – vor allem, wenn ein Paar sich neben dem Neugeborenen noch um weitere Kinder kümmern muss. Die Gesellschaft hat sich verändert, und es ist heute selten, dass eine Familie auf ihr – oft ebenfalls erwerbstätiges – Umfeld zählen kann, wenn sie Hilfe braucht. Die Mehrheit der Bevölkerung wünscht sich diesen Urlaub, da die Väter von heute sich vom Zeitpunkt der Geburt an voll in ihrer Familie einbringen wollen.
Als Reaktion auf diese Anliegen hat der Bund Anfang Jahr beschlossen, den Vaterschaftsurlaub für seine Angestellten ab Juli dieses Jahres von 5 auf 10 Tage zu verlängern. Mit dieser Massnahme schliesst die Bundesverwaltung zu Banken wie UBS, Credit Suisse, die Alternative Bank, Raiffeisen oder Clariant, Grossunternehmen wie Swiss Re, Switcher oder Mobility Carsharing und Organisationen wie Unicef, WWF oder Travail.Suisse auf.
Anpassung schwierig für KMU
Kleinere Unternehmen und Organisationen haben Mühe, ihren Angestellten dasselbe zu bieten wie die Grosskonzerne. Die Finanzierung des Vaterschaftsurlaubs, die derzeit jeder Arbeitgeber allein tragen muss, kann für manche KMU ein Problem darstellen. Dasselbe galt für die Finanzierung des Mutterschaftsurlaubs vor dessen Einführung auf Bundesebene. Das ist einer der Gründe, der mehrere Parlamentsmitglieder dazu veranlasst hat, eine nationale Gesetzgebung zu verlangen. Mit einer solchen könnten die Bedürfnisse der Familien nicht mehr als Wettbewerbsvorteile gegenüber anderen Unternehmen genutzt werden, denn dabei bleiben kleine und mittlere Unternehmen wie auch viele Familien auf der Strecke.
Genau wie der heutige Mutterschaftsurlaub, der über die Erwerbsersatzordnung finanziert wird, bietet auch die Einführung eines bezahlten Vaterschafts- oder Elternurlaubs den Vorteil, dass die Kosten auf alle Unternehmen, aber auch auf die Generationen und die sozialen Klassen verteilt werden. Das ist im Wesentlichen, was die Motion von Nationalrätin Valérie Piller Carrard (SP/FR) verlangt: zwanzig den Vätern vorbehaltene und bezahlte Tage Urlaub bei der Geburt eines Kindes. Die Motion von Nationalrat Marco Romano (CVP/TI) möchte Familien, die ein Kind adoptieren, gleichberechtigt behandeln, und zwar sowohl bezüglich Mutterschaftsurlaub als auch hinsichtlich des künftigen Vaterschaftsurlaubs. Beide Geschäfte sind bereit zur Behandlung im Parlament. Beide empfiehlt der der Bundesrat dem Parlament wenig überraschend zur Ablehnung.
Fast schon schizophrene Haltung
Während die grossen Unternehmen, die über die entsprechenden Mittel verfügen, ihren Angestellten eine echte Erleichterung bieten, damit diese sorgenfrei eine Familie gründen können, scheint der Bundesrat in alten ideologischen Denkmustern festgefahren, die ihn daran hindern, vorausschauend zu handeln und das gesetzlich zu verankern, was im Jahr 2013 selbstverständlich sein müsste, auch wenn es vor zehn oder zwanzig Jahren noch als ausgefallene Idee abgetan wurde.
Erstes Beispiel: Als Bundesrätin Widmer Schlumpf der Ständeratskommission die strategischen Ziele ab 2014 für die Swisscom, wo der Bund Hauptaktionär ist, vorlegte, liess das Dokument die Vereinbarkeit von Beruf und Familie aus, die bisher darin enthalten war. Das steht in völligem Widerspruch zum letzten der 28 Ziele desselben Bundesrates 1 wie auch zu den vom Parlament angefügten Ergänzungen 2 in der Legislaturplanung 2011-2015. Die Swisscom gewährt ihren Angestellten 10 Tage Vaterschaftsurlaub und 17 Wochen Mutterschaftsurlaub. Dieser erfreuliche Umstand ist zu einem grossen Teil auf die von den Gewerkschaften, insbesondere transfair, geführten Verhandlungen zurückzuführen. Zur Förderung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie gibt es nicht nur einen Weg. Es können weitere Massnahmen ausgehandelt werden. So kann zum Beispiel dafür gesorgt werden, dass beide Geschlechter auf allen Hierarchiestufen vertreten sind oder dass für alle die Möglichkeit zur Teilzeitarbeit besteht.
Zweites Beispiel: Der Bundesrat legte den Sozialpartnern zwar einen Bericht zu seiner Fachkräfteinitiative vor, in dem er den Fachkräftemangel bedauert und dessen Behebung anstrebt. Er verfehlt aber sein Ziel, da er es versäumt hat, bei den vorgeschlagenen Massnahmen den Schwerpunkt auf die Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Männer und Frauen zu legen 3 . Gleichzeitig wünscht er dennoch, dass Teilzeitarbeitende (vor allem Frauen, von denen viele über eine gute Ausbildung verfügen) sich mehr auf dem Arbeitsmarkt engagieren.
Muss man das wirklich nochmals sagen? Die Gleichstellung betrifft beide Geschlechter, Frauen wie Männer. Beide Seiten haben Rechte und Pflichten. Folglich müssen die Rahmenbedingungen für beide Geschlechter stimmen.
Wenn ein «Geisterbericht» als Vorwand dient
Seit mehreren Monaten wartet man auf den Bundesratsbericht zu den verschiedenen Elternurlaubsmodellen und Finanzierungsmöglichkeiten, einschliesslich private, in Erfüllung des Postulates Fetz. Der Bericht hätte Ende 2012 erscheinen sollen. Die grössten Optimisten erwarten die Veröffentlichung nun im Sommer 2013.
Zweck des Berichts ist, dass der Bundesrat eine vergleichende Bestandsaufnahme der verschiedenen Elternurlaubsmodelle macht, damit deren jeweilige Vor- und Nachteile ersichtlich werden. Die Verzögerungen sind insofern erstaunlich, als die Eidgenössische Koordinationskommission für Familienfragen bereits eine beachtliche Vorarbeit geleistet hat 4 . In ihrer Studie gibt sie einen Überblick über die Praktiken der verschiedenen europäischen Länder, zeigt den Nutzen dieser familienpolitischen Massnahme für die Schweizer Gesellschaft auf und schätzt die Kosten mehrerer Varianten.
Der lange erwartete und ständig aufgeschobene Bericht wird jedoch vom Bundesrat systematisch als Grund für die Ablehnung von parlamentarischen Vorstössen, welche die Einführung eines eidgenössischen Vaterschaftsurlaubs fordern, vorgeschoben. Wenn dieser «Geisterbericht» endlich erscheint, ist stark damit zu rechnen, dass die ideologischen Denkmuster darin wieder die Überhand gewinnen.
Somit bleibt es dem Parlament überlassen, entschlossener aufzutreten als der Bundesrat, um diesen aus seinen ideologischen Denkmustern, die ihn in der Familienpolitik lähmen, herauszuholen.