Väter, die in der Schweiz arbeiten, haben bei der Geburt eines Kindes keinen Anspruch auf eine bezahlte Auszeit. Viele Männer nehmen jedoch einige Tage frei und ziehen dafür Ferien oder Überstunden ein. Als Folge davon drohen Erschöpfung und gesundheitliche Beschwerden. Nationalrätin Yvonne Gilli erschien diese Situation stossend, weshalb sie in der letzten Parlamentssession ein Postulat einreichte.
«Es ist offensichtlich, dass immer mehr Väter auch zuhause Verantwortung in ihrer Elternschaft übernehmen. Diese neue Rollenverteilung entspricht einer gesellschaftlichen Entwicklung der gleichen Rechte und Pflichten, unabhängig von Mutter- respektiv Vaterschaft“. Mit diesen Worten fasst die St. Galler Parlamentarierin und Ärztin Yvonne Gilli die Problematik in ihrer Interpellation an den Bundesrat vom Juni zusammen.
Die bezahlte Auszeit, die Eltern bei der Geburt oder Adoption eines Kindes in Anspruch nehmen können, ist in der Bundespolitik immer wieder Thema. Parlamentsmitglieder wie Marco Romano (CVP TI)1 oder Valérie Piller Carrard (SP FR)2, die erst seit Kurzem im Nationalrat sitzen, haben Lösungen für das Problem vorgeschlagen. Auch die Grüne Yvonne Gilli ist über die gesundheitlichen Folgen für Väter, die sich bei der Geburt eines Kindes selber einen Urlaub «zusammenbasteln», besorgt.
Heute besteht eine Ungleichbehandlung von Müttern – die seit 2005 Anspruch auf einen bezahlten Mutterschaftsurlaub von 14 Wochen haben – und Vätern, die nur einen einzigen freien Tag erhalten. Dieser Tag wird den Vätern im Rahmen der «üblichen freien Tage» gemäss Obligationenrecht (Art. 329 Abs. 3) gewährt, d.h. als ausserordentliche Abwesenheit, die Arbeitnehmenden zusteht, um persönliche Angelegenheiten zu regeln. Bei einer Geburt in der Familie präsent zu sein und familiäre Pflichten zu übernehmen, wird somit nicht höher gewichtet als ein Umzug oder ein Zahnarztbesuch.
Notlösungen auf Kosten der Gesundheit
Väter, deren Arbeitgeber auf privater Ebene keinerlei Lösungen anbieten, müssen deshalb mit Notlösungen vorlieb nehmen. Wie sehen diese aus? Die künftigen Väter sparen in den Monaten vor der Geburt Ferientage zusammen oder leisten mehr Überstunden, die sie dann bei der Geburt einziehen können. Eine solche Strategie bleibt nicht ohne Folgen für die Gesundheit… und ist nicht gesetzeskonform! Denn das Gesetz definiert Ferien als arbeitsfreie Zeit, die dazu dient, sich zu erholen. Gerade weil der Druck am Arbeitsplatz ständig zunimmt und die Fristen immer kürzer werden, ist es heute wichtiger denn je, dass sich die Arbeitnehmenden erholen können. Dass Väter bei der Geburt eines Kindes Ferien nehmen müssen, zahlt sich nicht aus, denn diese Zeit eignet sich nicht zur Erholung, ganz im Gegenteil. Bei der Geburt eines Kindes muss die gesamte Familienstruktur umgestellt werden, und die Eltern sind rund um die Uhr gefordert.
Gleichzeitig bleiben Wöchnerinnen immer weniger lang im Spital, weil die Gesundheitskosten eingedämmt werden sollen. Schon kurz nach der Geburt kommt die Mutter wieder nach Hause, und wenn ein Paar bereits eines oder mehrere Kinder hat, ist die Anwesenheit des Vaters unabdingbar, damit der Haushalt, die Kinderbetreuung und die Pflege von Ehefrau und Neugeborenem reibungslos funktionieren. Zur Erinnerung: Heutzutage können immer weniger junge Familie auf die Unterstützung von Angehörigen zählen, etwa weil die Grosseltern arbeiten oder die Familienmitglieder zu weit voneinander entfernt wohnen.
Deshalb gefährden Männer, die sich bei der Geburt ihres Kindes selber eine «Vaterzeit» zusammenbasteln, ihre Gesundheit. Sie sind bereits müde, wenn das freudige Ereignis eintritt, da sie ihre Ferien gespart oder mehr Arbeitsstunden geleistet haben, und sie kehren nach einigen psychisch und körperlich anstrengenden Tagen noch erschöpfter an ihren Arbeitsplatz zurück, ohne dass sie sich regenerieren konnten. Diese aufgestaute Müdigkeit schränkt mit Sicherheit die Produktivität ein und kann für den Arbeitnehmer sogar gefährlich sein.
Investitionen von 180 Millionen für den Schutz der Gesundheit der Väter
Weil heute andere Arbeits- und Familiensituationen dominieren als noch vor einer Generation, ist das Argument nicht mehr plausibel, Kinder seien ausschliesslich Privatsache und gingen den Staat nichts an. Eine bezahlte Auszeit für Väter bei der Geburt eines Kindes wäre gemäss Schätzungen von Travail.Suisse mit Kosten von rund 180 Millionen Franken pro Jahr verbunden3. Es wäre eine Investition in die Familie, zum Schutz der Arbeitnehmer und zur Beseitigung einer Ungleichbehandlung von Frauen und Männern.
Zwar müssen sich die Väter nicht von den körperlichen Folgen einer Geburt erholen. Sie müssen aber zusätzliche anstrengende Pflege- und Betreuungsaufgaben übernehmen, wenn ein Baby im Haus ist, ganz zu schweigen von den emotionalen Herausforderungen dieser Zeit. Weshalb sollte ein Arbeitnehmer seine Gesundheit aus Spiel setzen müssen, um seiner Rolle als Vater gerecht zu werden? Nicht nur die Unternehmen brauchen optimale Rahmenbedingungen, sondern auch die Familien.
1Siehe Medienservice vom 19. März 2012
2Siehe Medienservice vom 4. Juni 2012
3Bei einem 20-tägigen Urlaub mit 80% Lohn wie bei der Mutterschaftsentschädigung. Siehe Medienservice vom 4. Juni 2012 für Einzelheiten zur Schätzung.