Die 25 grössten Städte und alle 26 Kantone haben an der fünften Umfrage zu den Elternurlauben von Travail.Suisse teilgenommen. Beim Vaterschaftsurlaub wurden in diesem Jahr zwar nur geringe Fortschritte erzielt; die Arbeitgeber der öffentlichen Hand haben indes ein zunehmend offenes Ohr für die familiären Anliegen ihrer Mitarbeitenden. In den von den Verbänden von Travail.Suisse ausgehandelten Gesamtarbeitsverträgen (GAV) sind bei den Elternurlauben und insbesondere beim Vaterschaftsurlaub allmählich Fortschritte zu erkennen. Die Zeit für die Einführung einer nationalen Lösung ist gekommen, damit alle Unternehmen den frisch gebackenen Vätern einen ihnen vorbehaltenen, bezahlten Urlaub anbieten können.
Gemeinsam mit den Nationalräten Valérie Piller Carrard und Marco Romano stellte Travail.Suisse die fünfte Ausgabe ihrer jährlich bei den öffentlichen Arbeitgebern durchgeführten Umfrage den Medien vor1. Diese Umfrage gibt Aufschluss darüber, welche Politik die Kantone und die grossen Städte gegenüber den bei ihnen beschäftigten jungen Eltern, Männern wie Frauen, verfolgen.
Die Bundesverwaltung, mit fast 35’000 Mitarbeitenden die grösste öffentliche Arbeitgeberin des Landes, schneidet sehr gut ab. Frauen können bei Mutterschaft einen viermonatigen Urlaub in Anspruch nehmen, Männer erhalten einen bezahlten Urlaub von 5 Tagen, um erste Bande zu ihrem Kind zu knüpfen und das Familienleben zu organisieren, und Väter und Mütter können bei einer Adoption einen bezahlten Urlaub von zwei Monaten beziehen.
Mutterschaftsurlaub oft zu 100 Prozent bezahlt
Eine Mehrheit der Kantone bietet ihren Mitarbeiterinnen einen längeren und besser bezahlten Mutterschaftsurlaub, als es das gesetzliche Minimum mit 14 Wochen und 80 Prozent Lohn vorschreibt. In der Regel ist ein Mutterschaftsurlaub von 16 Wochen bei 100 Prozent Lohn vorgesehen. Derselbe Trend ist bei 18 grösseren Städten des Landes festzustellen. Besonders bemerkenswert ist der Kanton Genf, wo drei Städte – nämlich Genf, Vernier und Lancy – den bei ihnen beschäftigten frisch gebackenen Müttern sogar einen Urlaub von 20 Wochen bieten. Die Auszahlung des vollen Lohnes ist vollumfänglich gerechtfertigt angesichts der Kosten, welche nach der Geburt des Kindes auf die jungen Eltern zukommen.
Bezahlter Vaterschaftsurlaub auf dem Vormarsch
Die Hälfte der kantonalen Verwaltungen (13 Kantone), darunter alle in der Westschweiz, gewährt den bei ihnen beschäftigten jungen Vätern einen Urlaub. Die Kantone Jura und Freiburg haben auf Anfang dieses Jahres einen Vaterschaftsurlaub von 12 Tagen (oder 17 Tage bei Mehrlingsgeburten) bzw. 5 Tagen eingeführt.
Die Städte übertreffen die kantonalen Verwaltungen: Etwas mehr als die Hälfte (13) der 25 befragten Städte gewährt Vätern einen 5-tägigen bezahlten Urlaub. Ausserdem geben fünf Städte 10 Tage Urlaub (Zürich, Winterthur, Luzern, Köniz, Vernier). Eine besondere Auszeichnung verdienen Genf, Lausanne und Bern, wo die Väter ohne bedeutende finanzielle Konsequenzen 4 Wochen bzw. 21 Tage oder 3 Wochen ihrer Arbeit fernbleiben können.
Ein Drittel der Gesamtarbeitsverträge sieht einen Vaterschaftsurlaub vor
Zum ersten Mal wurde eine Tabelle der GAV und Unternehmensverträge veröffentlicht, die von den elf Verbänden, die Travail.Suisse angehören, in allen Branchen und Regionen der Schweiz ausgehandelt wurden. Die Ergebnisse zeigen, dass ein Vaterschaftsurlaub von 5 Tagen langsam auf dem Vormarsch ist. Ein Drittel der 90 ausgehandelten Verträge sieht einen den Vätern vorbehaltenen, bezahlten Urlaub vor. Die grosszügigsten Regelungen kennen die Unternehmen Huntsman mit 15 Tagen sowie BASF und Swisscom mit 10 Tagen.
Was den Mutterschaftsurlaub angeht, so werden den Mitarbeiterinnen häufig 16 Wochen gewährt, teilweise sogar 18 (Papierindustrie, Pharma- und Chemieindustrie Basel, Huntsman) oder 20 Wochen (Alters- und Pflegeheime Genf).
Die Gesamtarbeitsverträge tragen zu grösserem Wohl und besseren Arbeitsbedingungen bei, auch für Eltern. Bis das Parlament Bestimmungen erlässt, die der gesamten Bevölkerung zugute kommen, werden die Mitgliedsorganisationen von Travail.Suisse die Aufgabe übernehmen, im Rahmen der Sozialpartnerschaft familienfreundliche Bedingungen auszuhandeln.
Adoptionsurlaub und unbezahlter Elternurlaub haben nichts Exotisches an sich
Die Hälfte der Kantone hat einen Adoptionsurlaub eingeführt. In diesem Jahr hat auch Zug diesen Schritt gemacht. Dort, wo es einen Adoptionsurlaub gibt, dauert er mehrere Wochen, nämlich 8 bis 20 (Genf). Bei den Städten gewähren 16 einen solchen Urlaub. Was den unbezahlten Elternurlaub betrifft, so wird dem Personal diese Möglichkeit in fast allen Kantonen (21) und Städten (24) angeboten. Die Dauer ist jedoch oft nicht klar geregelt. Die besten Bedingungen diesbezüglich bieten die Stadt Bern und der Kanton Genf, die bis zu zwei Jahren Urlaub aus familiären Gründen gewähren.
Besondere Erwähnung verdient der Kanton Jura, der auf einen Schlag einen Vaterschaftsurlaub von 12 Tagen, einen Mutterschaftsurlaub von 16 Wochen, einen zusätzlichen Stillurlaub von 4 Wochen und einen Adoptionsurlaub von 16 Wochen eingeführt hat.
Investitionen in familienfreundliche Massnahmen zahlen sich aus
Das vorherige Parlament befasste sich mehrmals mit Vorschlägen zur Änderung der eidgenössischen Bestimmungen, insbesondere zu Gunsten der Väter, jedoch bis heute erfolglos. Die neu gewählten Nationalräte Valérie Piller Carrard (SP FR) und Marco Romano (CVP TI) haben beschlossen, sich für den Vaterschafts- und den Adoptionsurlaub einzusetzen. Ihre Motionen kommen zu jenen ihrer dienstälteren Kolleginnen und Kollegen im Bundeshaus hinzu. Bisher wurden Fortschritte in diesem Bereich mit den Hinweis auf die Kosten unterbunden. Berechnungen auf der Basis der Kosten des Mutterschaftsurlaubs aus dem Jahr 2010 ergeben, dass ein bezahlter Vaterschaftsurlaub von 20 Tagen 180 Millionen Franken pro Jahr zu Lasten der Arbeitnehmenden und Arbeitgebenden2 kosten würde. Der Adoptionsurlaub kostet nur 3,5 Millionen3. Wird das zu einem Drittel erneuerte Parlament nun endlich die richtigen familienpolitischen Entscheidungen treffen? Travail.Suisse wird sich weiterhin mit Nachdruck dafür einsetzen.
Wie es lange auch beim Mutterschaftsurlaub der Fall war, sind heute nur Arbeitgeber der öffentlichen Hand und Unternehmen mit einem gesunden finanziellen Fundament in der Lage, ihren Mitarbeitenden Elternurlaube und weitere familienfreundliche Massnahmen zu bieten. Sie haben die Botschaft, dass solche Investitionen einen Return on Investment von etwa 8 Prozent bewirken4, klar verstanden.
Eine landesweite Lösung nach dem Vorbild des Mutterschaftsurlaubs würde dafür sorgen, dass sich Kosten und Risiken der Elternurlaube auf alle Arbeitgeber verteilen, was allen Unternehmen, insbesondere den KMU, ermöglicht, ebenfalls auf die Bedürfnisse ihrer Mitarbeitenden einzugehen. Eine nationale Lösung sorgt auch für Solidarität zwischen allen arbeitenden Personen, unabhängig von Einkommen und Wohnort. Es wird Zeit zu begreifen, dass familienfreundliche Massnahmen nicht als Argument im Wettbewerb zwischen Unternehmen eingebracht werden sollten, sondern als Teil einer verantwortungsvollen, vorausschauenden nationalen Familienpolitik, welche die heutigen Probleme von Familien berücksichtigt und den künftigen Herausforderungen in Zusammenhang mit der gesellschaftlichen und demografischen Entwicklung in unserem Land begegnet.
1Die Tabellen zu den in den Verwaltungen der Kantone und der grossen Städte gewährten Elternurlauben können abgerufen werden unter http://www.travailsuisse.ch / Themen: Familie – Arbeit und Familie (http://www.travailsuisse.ch/de/node/3183).
2Die Schätzungen beruhen auf einer paritätischen Finanzierung Arbeitgeber/Arbeitnehmer nach demselben Modell wie beim Mutterschaftsurlaub, d.h. durch die Erwerbsersatzordnung (EOG). Die Berechnung berücksichtigt die Anzahl jährlicher Geburten, inkl. Mehrlingsgeburten, die Erwerbsquote der Männer, das höhere Lohnniveau der Männer und die durchschnittliche Höhe der ausgerichteten Mutterschaftsentschädigungen.
3Die Schätzungen zu den vom Adoptionsurlaub verursachten Kosten gehen davon aus, dass die Frauen dieselbe Anzahl Taggelder erhalten wie bei einer «natürlichen» Geburt (98 Tage) und dass die Männer einen Vaterschaftsurlaub von 20 Tagen beziehen können.
4Modellrechnung am Beispiel des fiktiven Unternehms «Familien AG» mit 1500 Mitarbeitenden. «Betriebswirtschaftliche Kosten-Nutzen-Analyse familienfreundlicher Unternehmenspolitik», Prognos AG, Trägerschaft: Eidgenössisches Volkswirtschaftsdepartement, Migros, Die Schweizerische Post, Novartis, Raiffeisen. Basel, 2005.