Betreuende Angehörige brauchen mehr Unterstützung!
Im diesjährigen «Barometer Gute Arbeit» wurde in einem Fokus zur Vereinbarkeit auch die Problematik der betreuenden Angehörigen beleuchtet. 16.8 Prozent aller Arbeitnehmenden in der Schweiz kümmern sich neben ihrem Beruf um die Betreuung von unterstützungsbedürftigen Erwachsenen– dies entspricht schätzungsweise 858'000 erwerbstätigen betreuenden Angehörige. Nur eine Minderheit davon wird dabei von ihren Arbeitgebenden unterstützt.
Unter Vereinbarkeit wird etwas verengt oftmals die Vereinbarkeit von Beruf und Familie oder Beruf und Privatleben verstanden. In einer Arbeitswelt, die zunehmend digitaler, fragmentierter und flexibler wird, in der sich Berufe und Kompetenzen schneller wandeln, der Erhalt der Arbeitsmarktfähigkeit lebenslanges Lernen erfordert und die Alterung der Gesellschaft immer mehr Erwerbstätige mit Pflegeaufgaben konfrontiert, lohnt es sich, den Begriff breiter zu denken. Vereinbarkeit sollte als Vereinbarkeit von Beruf, Familie, Privatleben, Weiterbildung, Milizarbeit und Betreuungsaufgaben definiert werden. Gerade die Gruppe der betreuenden Angehörigen, die unterstützungsbedürftige Erwachsene unterstützt, ist noch zuwenig in der medialen und politischen Öffentlichkeit präsent. Dabei ist dies eine stetig wachsende Gruppe die bereits jetzt 16.8 Prozent der Arbeitnehmenden umfasst – rund 850‘000 Personen in der Schweiz. Grosse Unterschiede zeigen sich bei der zeitlichen Belastung durch diese Betreuungsaufgaben. Bei einer Mehrheit der erwerbstätigen betreuenden Angehörigen umfasst der Betreuungsaufwand bis zu maximal fünf Stunden pro Woche, daneben kommen aber auch deutlich höhere Betreuungsstunden vor (vgl. Abbildung 1).
Eine deutliche Mehrheit (63.9 Prozent) der Arbeitnehmenden, die regelmässig unterstützungsbedürftige Erwachsenen betreuen, kennt Schwirigkeiten bei der Vereinbarkeit mit der beruflichen Tätigkeit. Beinahe ein Viertel (21.7 Prozent) ist oft oder sehr häufig mit dieser Problematik konfrontiert (vgl. Abbildung 2).
Eine entscheidende Bedeutung für betreuende Angehörige hat die Frage, ob der Arbeitgeber diese Betreuungsaufgaben unterstützt. Es zeigt sich, dass nur eine Minderheit (30.9 Prozent) der Arbeitnehmenden mit regelmässiger Angehörigenbetreuung von ihren Arbeitgebenden unterstützt werden (vgl. Abbildung 3).
Findet eine Unterstützung durch die Arbeitgebenden statt, geschieht dies in erster Linie durch die Möglichkeit, kurzfristig frei zu nehmen. Schon deutlich weniger häufig findet eine dauerhafte Anpassung der Arbeitszeiten oder eine Reduktion des Beschäftigungsgrades statt. Lediglich ein Nischendasein bei der Unterstützung fristen die Informationen über Entlastungsmöglichkeiten oder eine Zusammenarbeit der Arbeitgebenden mit Unterstützungsorganisationen (vgl. Abbildung 4).
Die Ergebnisse des «Barometer Gute Arbeit» zeigen deutlich, dass die Bedeutung von betreuenden Angehörigen immens ist. Im Zuge der demografischen Entwicklung wird diese Bedeutung weiter zunehmen. Betreuende Angehörige haben zudem eine grosse volkswirtschaftliche Bedeutung, helfen sie doch mit, die Kosten im Gesundheits- und Pflegebereich tiefer zu halten. Im Bereich der Vereinbarkeit zeigen sich aber erhebliche Schwierigkeiten und gerade die Unterstützung durch die Arbeitgebenden ist deutlich ausbaufähig. Travail.Suisse fordert, den Leistungen von betreuenden Angehörigen grössere Wertschätzung entgegenzubringen und keine unnötigen Barrieren aufzubauen. Dazu braucht es insbesondere auch ein grösseres Entgegenkommen der Arbeitgebenden und die Bereitschaft, hier einen Teil der gesamtgesellschaftlichen Verantwortung wahrzunehmen.
Die Interessengemeinschaft Angehörigenbetreuung IGAB, der auch Travail.Suisse angehört, hat bei der Erarbeitung dieser spezifischen Fragen des Barometers 2021 mitgewirkt. Die Ergebnisse des Barometers ergänzen die Erkenntnisse, die im Rahmen des Förderprogramms «Angebote zur Entlastung von pflegenden Angehörigen 2017-2020» des Bundes gewonnen wurden. Zum ersten Mal wird untersucht, was die Gruppe der berufstätigen betreuenden Angehörigen erlebt und wahrnimmt – diese machen zwei Drittel aller pflegenden Angehörigen aus. Es ist eine Tatsache, dass immer mehr Menschen von Schwierigkeiten bei der Vereinbarkeit mit der Berufstätigkeit betroffen sein werden. Aus diesem Grund möchte die IGAB diesen Teil der Umfrage zu den betreuenden Angehörigen auch in Zukunft fortsetzen.