Ein bisschen Gleichstellung
Die Schweiz ist der Gleichstellung in den vergangenen Wochen zwei Schritte näher gekommen. Einerseits haben National- und Ständerat in der Sommersession der Einführung einer Frauenquote in Verwaltungsrat und Geschäftsleitung zugestimmt. Andererseits trat am 1. Juli das revidierte Gleichstellungsgesetz in Kraft, das die Lohngleichheit zwischen Frauen und Männern sicherstellen soll. Dennoch weisen genau diese beiden Bereiche nach wie vor Schwachpunkte auf. Travail.Suisse, der unabhängige Dachverband der Arbeitnehmenden, kritisiert, dass bei beiden Gesetzen keine Kontroll- und Sanktionsmechanismen vorgesehen sind.
National- und Ständerat haben in der Schlussabstimmung vom 19. Juni 2020 die bereinigte Vorlage zur Aktienrechtsrevision verabschiedet. Das modernisierte Aktienrecht fordert Geschlechterrichtwerte für Verwaltungsräte und Geschäftsleitungen. So muss zukünftig jedes Geschlecht mindestens zu 30 Prozent im Verwaltungsrat und zu 20 Prozent in der Geschäftsleitung vertreten sein. Dabei wurden für die Erreichung der Quoten unterschiedliche Fristen festgelegt. Die Frauenquote im Verwaltungsrat muss innerhalb von fünf Jahren erreicht sein, jene in der Geschäftsleitung innerhalb von zehn Jahren. Das Gesetz funktioniert nach dem „comply-or-explain“-Ansatz. Werden diese Schwellenwerte nicht innerhalb der festgelegten Frist erreicht, sind die Unternehmen dazu verpflichtet, die Gründe für die ungleiche Geschlechterverteilung anzugeben und Massnahmen zu bestimmen, die zur Förderung des weniger stark vertretenen Geschlechts beitragen sollen.
Die Managerlohnstudie von Travail.Suisse zeigt, wie wichtig die Einführung der Frauenquote auf Gesetzesstufe ist. Ende des Jahres 2019 sassen in den 26 untersuchten Schweizer Unternehmen gerade einmal 26 Frauen und das bei einer Gesamtzahl von 218 Konzernleitungsmitgliedern. Dies entspricht einem Frauenanteil von knapp 12 Prozent. Damit ist der Frauenanteil in der Konzernleitung zwar erstmals im zweistelligen Bereich und es lässt sich ein stärkerer Anstieg als in den vorangegangenen Jahren verzeichnen, trotzdem bleibt die Entwicklung schleppend. Der vom Gesetz geforderte tiefe Frauenanteil von 20 Prozent muss spätestens bis im Jahr 2030 erreicht sein. Folgt man der derzeitigen Entwicklung, würde es hingegen noch 30 Jahre dauern, bis in den Konzernleitungen ein Frauenanteil von 20 Prozent erreicht wird.
Andere Untersuchungen zeigen ein noch negativeres Bild. So liegt der Frauenanteil in den Geschäftsleitungen der 118 grössten Schweizer Unternehmen im Schillingreport 2020 nur gerade bei 10 Prozent. Bei dieser Entwicklung würde ein Frauenanteil von 20 Prozent noch später erreicht. Die gesetzliche Verankerung des Geschlechterrichtwerts ist daher dringend nötig. Die Untersuchung des Schillingreports zeigt zudem, dass nur in knapp der Hälfte der Unternehmen Frauen in der Geschäftsleitung sitzen. Auch die Managerlohnstudie von Travail.Suisse zeigt: die Zahl der Unternehmen ohne Frauen in der Geschäftsleitung ist im Vergleich zum Vorjahr gleich geblieben. Weiterhin werden 12 der 26 untersuchten Unternehmen von einer rein männlich besetzten Konzernleitung geführt. Insbesondere diese Unternehmen haben in den nächsten zehn Jahren viel Aufholbedarf, damit sie im Jahr 2030 eine Frauenquote von 20 Prozent in der Geschäftsleitung aufweisen können.
Etwas weniger pessimistisch sieht die Entwicklung im Verwaltungsrat aus. Der positive Trend der vergangenen Jahre bezüglich des Frauenanteils in den Verwaltungsratsgremien konnte auch 2019 fortgesetzt werden. Von den insgesamt 243 Verwaltungsratsmitgliedern sind 67 Frauen, was einem Frauenanteil von 27.6 Prozent entspricht. Auch hier fallen die Ergebnisse des Schillingreports etwas tiefer aus. Im Schillingreport weisen die untersuchten Unternehmen einen Frauenanteil von 23 Prozent auf. Er bestätigt jedoch den positiven Aufwärtstrend und geht davon aus, dass bis ins Jahr 2024 die vom Gesetz vorgeschriebene Quote von 30 Prozent erreicht sein wird. Somit würde die Quote noch ein Jahr vor Inkrafttreten der gesetzlichen Pflicht erreicht.
Die vorliegende Untersuchung zeigt, dass der Frauenanteil sowohl in Verwaltungsräten, als auch in Geschäftsleitungen ansteigt, dass aber insbesondere die Frauenquote in den Geschäftsleitungsgremien noch lange nicht das geforderte Niveau erreicht hat. Travail.Suisse begrüsst daher die gesetzliche Verankerung der Frauenquote, bedauert jedoch die Tatsache, dass die bereits viel zu tiefen Quoten keinen Kontroll- und Sanktionsmechanismen unterworfen sind.
Ein kleiner Schritt in Richtung Lohngleichheit
Nicht nur in Bezug auf die Geschlechterverteilung in Führungspositionen, sondern auch in Bezug auf den Lohn kann in der Schweiz nach wie vor nicht von Gleichstellung gesprochen werden. Die Erhebung vom BfS aus dem Jahr 2016 zeigt, dass die Lohnungleichheit zwischen Frauen und Männern weiterhin fortbesteht und dass der Anteil des nicht erklärbaren Lohnunterschiedes – also der Lohndiskriminierung – sogar immer noch 44.1 Prozent beträgt. Eine Ungleichheit, die in der Schweiz so nicht länger geduldet wird, wie sich am Frauenstreik vergangenen Jahres eindrücklich zeigte. Mehr als eine halbe Million Menschen haben am 14. Juni 2019 ihre Arbeit niedergelegt und unter anderem für Lohngleichheit demonstriert. Die Forderung war klar: „Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit.“
Den Handlungsbedarf erkannten auch der Bundesrat und das Parlament, weshalb seit dem 1. Juli dieses Jahres das revidierte Gleichstellungsgesetz in Kraft ist. Mit dieser Revision sind Unternehmen ab 100 Mitarbeitenden dazu verpflichtet, eine Lohngleichheitsanalyse durchzuführen. Was auf den ersten Blick wie eine fortschrittliche Veränderung wirkt, ist in Realität nicht viel mehr als eine Alibiübung. Das revidierte Gesetz sieht keine Kontroll- und Sanktionsmechanismen vor und hat einen viel zu geringen Geltungsbereich: gerade einmal 0.9 Prozent der Schweizer Unternehmen haben mehr als 100 Mitarbeitende und sind daher vom revidierten Gesetz betroffen. Zudem bleibt die Revision nur während 12 Jahren im Gesetz verankert (Sunset-Klausel) – danach erlischt die Pflicht zur Lohngleichheitsanalyse einfach wieder, unabhängig davon, ob sich die Lohnungleichheit gemindert hat.
Travail.Suisse bedauert die geringe Geltungskraft des revidierten Gleichstellungsgesetzes und hat deshalb die Plattform RESPECT8-3.CH (www.respect8-3.ch) aufgebaut. Dabei handelt es sich um eine Plattform auf der Unternehmen, die bereits eine Lohngleichheitsanalyse durchgeführt haben, auf der „weissen Liste“ aufgeführt werden. Zu einem späteren Zeitpunkt wird die „schwarze Liste“ mit Unternehmen, die sich nicht an die vom Gesetz geforderten Vorschriften halten, veröffentlicht. Das Projekt schafft einerseits mehr Transparenz in Bezug auf Lohngleichheit, da die Unternehmen öffentlich sichtbar auf der Plattform aufgeführt werden und andererseits verfolgt es insbesondere mit der „schwarzen Liste“ das „Name-and-Shame“-Prinzip und führt somit indirekt einen Kontrollmechanismus ein.
Travail.Suisse weist ein langjähriges Engagement im Bereich der Gleichstellungsarbeit auf und begrüsst die erwähnten Gesetzesänderungen, welche zwei zentrale Aspekte der Gleichstellung behandeln. Gleichzeitig bedauert Travail.Suisse, dass die Gesetze nicht weiter greifen und wird sich auch in Zukunft für die Gleichstellung der Geschlechter einsetzen.