Die künstliche Polemik aus fortschrittsfeindlichen, bürgerlichen Kreisen in Bezug auf die Verfahren der statistischen Analyse hat nun keinen Nährboden mehr. Die vom selben Lager ausgehenden Verschleierungstaktiken, z. B. dass die «Natur» der Frau der Grund für ihre Diskriminierung sei, verpuffen. Die von den Bundesstellen angewandten Analysemethoden sind unangreifbar geworden: Der Bundesrat hat die zur Messung der Lohndiskriminierung eingesetzten Methoden evaluieren lassen.
Die Ergebnisse sind eindeutig: Aus makroökonomischer Sicht sind die Zahlen zur Lohndiskriminierung, die die nationale Statistik liefert, verlässlich. Auch auf betrieblicher Ebene werden die Kriterien und die Methode als geeignet eingestuft und sie sollen beibehalten werden. Letztlich kann das Problem der Diskriminierung nur an der Wurzel angepackt werden durch die Transparenz, die durch eine periodische und obligatorische Überwachung in den Unternehmen gewährleistet wird.
Das vom Zürcher Nationalrat Ruedi Noser eingereichte Postulat, das eine genauere Prüfung der Lohndiskriminierungsanalysen verlangt, rief Kritik aus konservativen rechten Kreisen hervor, die sich gegen staatliche Massnahmen in Bezug auf die Löhne in den Unternehmen wehren. Tatsächlich kann dank der Schaffung einer Polemik bezüglich der Analysemethoden verhindert werden, dass Massnahmen gegen diese skandalöse Diskriminierung ergriffen werden. Man darf nicht vergessen: Punkto Lohn werden die Frauen ab der Anstellung nach Abschluss ihrer Berufsbildung diskriminiert, was im Schnitt 7,7 Milliarden Franken jährlich ausmacht. Obwohl ein Prinzip der Nichtdiskriminierung seit 35 Jahren in der Bundesverfassung und seit 20 Jahren im Gesetz festgeschrieben ist, gibt es diese Diskriminierung. Grund ist ein unwirksames Gleichstellungsgesetz, das momentan revidiert wird.
Es gab diverse «Studien», die von ultraliberalen bürgerlichen Kreisen finanziert wurden. Die Studie von Avenir Suisse 1 , der letzte Auswuchs dieser Serie, zielt ausschliesslich darauf ab, eine sterile Debatte zu führen über die Art, wie die Lohndiskriminierung erhoben wird. Statt ihre Energie in die Suche nach geeigneten Mitteln zu investieren, um diese verfassungs- und gesetzeswidrige Tatsache zu beheben, setzen diese Kreise lieber auf Verschleierung. Der Bericht des Bundesrats vom 18. November 2015 macht allerdings klar: Die von den Bundesstellen verwendeten Analyseverfahren sind unangreifbar.
• Makroökonomisch gesehen entsprechen sowohl die statistische Methode als auch die berücksichtigten Faktoren dem heutigen Stand der Wissenschaft. Die Analysen beruhen auf Zahlen, die von den Unternehmen im Rahmen der Schweizerischen Lohnstrukturerhebung (LSE) geliefert werden, und sind zuverlässig.
• Auf betrieblicher Ebene stellt die vom Eidgenössischen Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann vorgeschlagene Methode mit der kostenlosen Software Logib (die mit Excel funktioniert) eine gute Lösung dar. Die berücksichtigten Faktoren sind geeignet und sollen beibehalten werden.
Logib wird häufig vorgeworfen, andere individuelle Faktoren, wie effektive Berufserfahrung, Weiterbildungen, Sprachkenntnisse oder Führungserfahrung nicht einzubeziehen. Die Analyse, die die Universität St. Gallen und das Büro INFRAS diesbezüglich durchgeführt haben, besagt ganz klar: Diese zusätzlichen Faktoren sind «nicht geeignet, um aufgenommen zu werden. Sie weisen ein Diskriminierungspotenzial auf und/oder der Erhebungsaufwand für die Unternehmen wäre zu hoch.» Hingegen könnten die Faktoren Arbeitszeitmodelle und physische/psychische Belastungen diskriminierungsfrei angewendet werden. Deshalb wird die Verwaltung den Erklärungsgehalt dieser Faktoren sowie die Durchführbarkeit ihrer Erhebung prüfen.
Administrativer Aufwand: Wird mit zweierlei Mass gemessen?
Darüber, dass einige bei der betrieblichen Lohnanalyse zusätzliche Kriterien einfliessen lassen wollen, kann man sich nur wundern. Hier wird mit zweierlei Mass gemessen: Der übermässige administrative Aufwand, über den sich die ultraliberalen Wirtschaftskreise regelmässig beklagen, ist bei der Erhebung der Lohnungleichheit offenbar kein Problem mehr. Einerseits möchte eine Motion der SVP Unternehmen mit weniger als 50 Mitarbeitenden von der Pflicht befreien, sich an statistischen Erhebungen zu beteiligen 2 , mit dem Risiko, dass die nationale Statistik 98 Prozent ihrer Grundlage verliert. Gleichzeitig wird aber gefordert, dass die Unternehmen mehr Zeit für die Erhebung von Kriterien aufwenden, die allerdings unnütz sind, weil sie häufig an sich diskriminierend sind.
Die – künstlich geschaffene – Polemik in Bezug auf die Methoden zur statistischen Analyse hat sich nun erledigt. Sehr gut! Können wir nun zum nächsten Thema übergehen? Halt, nicht so schnell! Seit einigen Monaten werden biologisch und genetisch begründete Argumente dafür angeführt, dass die Lohndiskriminierung von Frauen eine «natürliche» Tatsache sei.
Die «Natur», ein letzter Strohhalm zur Erklärung
Unter der Überschrift «Mehr Lohn dank Männergehirn» 3 deutete die NZZ am 30. Oktober 2015 an, dass auf Managementstufe eine bestimmte Art von Gehirn, das «Männergehirn», stärker vertreten sei. Diese Tatsache würde erklären, warum Frauen weniger verdienen als ihre Kollegen in der gleichen Position und, davon muss man ausgehen, unter ansonsten gleichen Bedingungen. Im Frühjahr unternimmt die vom Arbeitgeberverband bei einem privaten Beratungsbüro und der Universität Bern in Auftrag gegebene Studie 4 einen weiteren Erklärungsversuch: Die Situation der andauernden Lohnungleichzeit zwischen Männern und Frauen sei auf spezifische Verhaltensmuster der beiden Geschlechter zurückzuführen. Männer seien risikobereiter, gehen Konflikten bei der Arbeit nicht aus dem Weg und formulieren höhere Lohnforderungen als ihre Kolleginnen. Dieses Verhalten sei in ihrer «Natur» begründet. Und es zeigt sich, dass die Unternehmen diese Art der «Natur» honorieren.
Die unterschwellige Botschaft ist verblüffend einfach: Die Lohndiskriminierung lässt sich durch biologische Tatsachen rechtfertigen. Es wäre sinnlos, die Diskriminierung zu bekämpfen, da sie die unumgängliche Folge einer geschlechterspezifischen «Natur» ist. Das Problem ist, dass diese Art der Argumentation jede Diskussion unmöglich macht und vor allem die Suche nach für alle akzeptablen Lösungen blockiert, um die Lohndiskriminierung zu bekämpfen, unter der mehrheitlich die Frauen leiden. Das ist eine weitere Verschleierungstaktik.
Neuronale Plastizität und lebenslanges Lernen
Der NZZ-Artikel stützt sich auf eine Studie 5 , die in Grossbritannien von Dr. Nick Drydakis durchgeführt wurde, einem Ökonomen der Anglia-Ruskin-Universität, und die in mehreren Punkten angreifbar ist. Diese Studie übernimmt im Wesentlichen einen Teil der «Theory of Mind», die der Psychologe Simon Baron-Cohen im Rahmen seiner Forschung über … autistische Kinder oder Kinder mit dem Asperger-Syndrom entwickelt hat. Diese Theorie besagt, dass die Art des Gehirns (Typ S für analytisches Denken, eher maskulin, und Typ E für Empathie, eher weiblich) nur durch den Testosteronspiegel beim Fötus bestimmt wird. Die These von Ökonom Drydakis fügt einen unüberprüfbaren genetischen Determinismus hinzu. Das familiäre, das kulturelle oder das betriebliche Umfeld werden einfach ignoriert und sollen keine Rolle spielen.
Dass bei einer Studie Menschen in Kategorien eingeteilt werden, ist zu einem gegebenen Zeitpunkt stichhaltig. Die neurologische Forschung hat aber schon lange bewiesen, dass das Gehirn formbar ist. Die neuronale Plastizität erlaubt es dem Gehirn, sich beim Lernen zu verändern und nicht nur bei der embryonalen Neurogenese. Im Laufe des Lebens lernt das Gehirn unaufhörlich und es verändert sich, je nach den gemachten Erfahrungen, der Art der Tätigkeit, der Entwicklung des Umfelds und der Art der Ernährung. Im Vergleich zu den Umwelteinflüssen spielt die Genetik eine untergeordnete Rolle. Folglich entwickelt sich das Verhalten ebenso wie das Gehirn ständig weiter.
«Korrelation» heisst nicht «Erklärung»
Drydakis hat einen sehr häufig vorkommenden Anfängerfehler gemacht. Indem er die ursprüngliche «Theory of Mind» nur auszugsweise betrachtet (und die ausgeglichenen Gehirne des Typs B nicht berücksichtigt), hat er eine Korrelation zwischen Personen mit einem analytischen Gehirn (S) und einem höheren Lohn gefunden. Diese Personen umfassen Männer und Frauen, doch die Mehrheit der Gehirne des Typs S befindet sich in seiner Stichprobe bei den Männern. Die Korrelation erklärt hingegen nicht, dass Frauen, die ein S-Gehirn haben, zwar mehr verdienen als ihre Kolleginnen (die mehrheitlich ein empathisches Gehirn des Typs E haben), jedoch weniger als ihre männlichen Kollegen, die ebenfalls ein S-Gehirn haben. Der Autor des NZZ-Artikels berichtet über eine Differenz von 4 Prozent, die sich nicht erklären lässt.
Wenn also ein statistischer Zusammenhang gefunden wird, heisst das nicht, dass es sich dabei auch um die Ursache für das beobachtete Phänomen handelt. Das wäre so, wie wenn man eine Korrelation zwischen dem Konsum von Schokolade in einem Land und … der Anzahl Serienmörder im selben Land herstellen würde 6 .
Fragwürdige Verhaltensmuster
Wie sieht es mit den Verhaltensmustern aus, die die vom Arbeitgeberverband 7 in Auftrag gegebene Studie ins Feld führt, um die Lohndiskriminierung zu erklären? Dr. iur. Susy Stauber-Moser, Vorsitzende der Zürcher Schlichtungsbehörde nach Gleichstellungsgesetz, äussert sich diesbezüglich ganz klar: Führt der Marktwert des Mitarbeiters bei der Anstellung zu einem höheren Lohn (und möchte das Unternehmen diesen Bewerber unbedingt anwerben), kann die Lohndifferenz im Vergleich zu einer Kollegin gerechtfertigt sein, allerdings nur vorübergehend. Der Unterschied ist gemäss Gleichstellungsgesetz innert Jahresfrist 8 auszugleichen.
Dies relativiert den möglichen Einfluss eines männlichen Verhaltensmusters und die Tatsache, dass sich ein Mann besser verkaufen könnte als eine Frau. Geht man darüber hinweg, weist man den Frauen alleine die Verantwortung für ihren geringeren Lohn zu. Folglich müssen unterschiedliche Löhne jederzeit mit objektiven und messbaren Kriterien erklärt werden können.
Ausserdem stellt sich die Frage, wie aussagekräftig eine Lohnskala ist, die gewisse Kompetenzen (Risikofreudigkeit) gegenüber anderen (Konfliktfähigkeit) bevorzugt. Wird die Skala von einer homogenen Gruppe erstellt, kann man davon ausgehen, dass das System die Personen begünstigt, die dieselben Kompetenzen aufweisen. Das ist ein System, das sich selbst reproduziert.
In einem sich verändernden Umfeld sind periodische Kontrollen notwendig
Falls sich die Dinge, wie auch die Personen, ständig weiterentwickeln, können Kriterien, die eine Lohndifferenz zu einem gegebenen Zeitpunkt objektiv erklären, diese nicht auf immer und ewig rechtfertigen. Dasselbe gilt für die Berufserfahrung: Dieses Kriterium verliert seine Aussagekraft im Laufe der Zeit. Auf betrieblicher Ebene kann nur eine regelmässige Überprüfung der Löhne gemäss einer national wie international anerkannten Methode – die auf der Korrelation zwischen verschiedenen Variablen basierende Regressionsanalyse – die Lohndiskriminierung bekämpfen, denn es gibt nur eine einzige Konstante: Die Aufgaben, die Stellen und das Umfeld befinden sich im steten Wandel.
Der Entwurf für das revidierte Gleichstellungsgesetz, das vom Bundesrat bis zum 3. März 2016 in die Vernehmlassung geschickt wurde, hat sicherlich grosse Lücken. Die Vorlage erwähnt weder Korrekturmassnahmen noch mögliche Sanktionen. Trotzdem bringt der Entwurf etwas Positives: Indem ein Betrieb mit über 50 Mitarbeitenden dazu verpflichtet wird, die Löhne zu analysieren, ermöglicht der Entwurf eine Sensibilisierung und schafft Transparenz. Für Travail.Suisse ist das ein guter Anfang. Wird das neue Parlament wiederum der Debatte ausweichen und andere Themen diskutieren, diesen sehr zaghaften Entwurf vom Tisch wischen und ihn ungerechtfertigter- und fälschlicherweise als «Lohnpolitik» abtun oder sich endlich dem Skandal der regelmässigen, häufig unbewussten Verletzung des verfassungsmässigen Prinzips der Gleichstellung von Mann und Frau widmen? Die Zukunft wird es zeigen.
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p(footnote). 1 Marco Salvi, «Gleichstellung. Warum der Arbeitsmarkt nicht versagt», Avenir Suisse 2015 http://www.avenir-suisse.ch/wp-content/uploads/2015/11/ad_Gleichstellung_DE_Online.pdf?c4ace9
2 Motion 15.3433 Giezendanner «Befreiung der Unternehmen vom Statistikaufwand»
3 Hansueli Schöchli, «Mehr Lohn dank Männergehirn», NZZ, 30. Oktober 2015 http://www.nzz.ch/wirtschaft/mehr-lohn-dank-maennergehirn-1.18638314
4 B,S,S. Volkswirtschaftliche Beratung AG, «Lohnunterschiede zwischen Frauen und Männern in der Schweiz. Methodische Grundlagen, Literaturanalyse und Evaluation von bestehenden Studien» http://www.arbeitgeber.ch/wp-content/uploads/2015/07/20150622_Studie-Lohnunterschiede-in-der-Schweiz.pdf
5IZA Institute for the Study of Labor and Nick Drydakis, «Brain types and Wages», Anglia Ruskin University, Discussion Paper No 9426, October 2015 http://ftp.iza.org/dp9426.pdf
p(footnote). 6 Siehe die Studie von James R. Winters und Seán G. Roberts der Universität von Edinburgh, als Antwort auf die Studie von Dr. Franz Messerli, der eine Korrelation zwischen dem Schokoladenkonsum in einem Land und der Anzahl Nobelpreisträger aus demselben Land gefunden hatte. http://replicatedtypo.com/wp-content/uploads/2012/11/ChocolateSerialKillers_WintersRoberts.pdf
7 B,S,S. Volkswirtschaftliche Beratung AG, «Lohnunterschiede zwischen Frauen und Männern in der Schweiz. Methodische Grundlagen, Literaturanalyse und Evaluation von bestehenden Studien» http://www.arbeitgeber.ch/wp-content/uploads/2015/07/20150622_Studie-Lohnunterschiede-in-der-Schweiz.pdf
8 Interview mir Dr. iur. Susy Stauber-Moser im Tages-Anzeiger vom 15. Januar 2013 http://www.tagesanzeiger.ch/leben/rat-und-tipps/Was-Frau-ueber-Lohngleichheit-wissen-muss/story/13762329