Die Spielregeln ähneln jenen von «Eile mit Weile», wenn nichts unternommen wird, damit endlich mehr Frauen Unternehmen leiten. Die Revision des Aktiengesellschaftsrechts ist eine ausgezeichnete Gelegenheit, um die Chancengleichheit und die gleiche Vertretung beider Geschlechter in den Leitungsgremien der Wirtschaft umzusetzen. Das heutige System funktioniert nicht, und das kann man korrigieren, indem man vorsieht, dass börsennotierte Gesellschaften Sitze für Frauen reservieren. Das Beispiel Basel ist sinnbildlich: Wer kompetente Frauen sucht, findet sie. Man muss es nur wollen. Wenn aber die Wirtschaft keinerlei Willen zeigt, sich an den Verfassungsgrundsatz der Gleichheit zu halten, muss der Gesetzgeber sie dazu zwingen.
Die Vernehmlassung zur Revision des Obligationenrechts betreffend Aktiengesellschaftsrecht wurde vor einigen Tagen abgeschlossen. Es ist festzustellen, dass der Bundesrat erneut zaghaft ist: Er schlägt vor, allein auf den guten Willen der Unternehmen zu bauen, um den schwerwiegenden Systemfehlern ein Ende zu setzen. Im Bereich der Gleichstellung genügen jedoch der gute Wille und die Eigeninitiative der Unternehmen längst nicht mehr. Die mit dem Lohngleichheitsdialog gesammelten Erfahrungen haben es leider bewiesen: Ohne Verpflichtungen fühlen sich die Unternehmen nicht der Gleichheit von Frau und Mann in der Arbeitswelt verpflichtet.
Korrektur der Systemfehler
Das System funktioniert nicht, das ist eine Tatsache. Wie lässt es sich anders erklären, dass die Hälfte der Bevölkerung eines Landes nur selten Zugang zu den Führungsetagen der Wirtschaft erhält? Es gibt viele Hürden, und die «gläserne Decke» ist real. Das ist umso inakzeptabler, als dass die Frauen seit Jahren über eine gleich gute oder bessere Ausbildung verfügen wie die Männer, ihre Beteiligung am Arbeitsmarkt exponentiell gestiegen ist und sich die Rahmenbedingungen verbessern 1 (auch wenn das immer noch zu langsam geschieht und noch viel zu tun bleibt). Die Chancengleichheit hört bei den Geschäftsleitungen und Verwaltungsräten auf.
In diesen Entscheidungsgremien sind Frauen zu selten. Gemäss der Studie zu den Managerlöhnen, die Travail.Suisse 2 jedes Jahr bei etwa dreissig ausgewählten Unternehmen durchführt, war 2013 nur jedes 25. Geschäftsleitungsmitglied eine Frau. Das ist ein deutlicher Rückgang, nachdem sich die Frauenquote in den Geschäftsleitungen sechs Jahre hintereinander verbessert hatte. In den Verwaltungsräten der untersuchten Unternehmen beläuft sich der Frauenanteil auf 17,6%. Hier entwickeln sich die Zahlen seit elf Jahren ununterbrochen positiv, aber die Entwicklung ist zu langsam.
In ihrer Studie für die Eidgenössische Kommission für Frauenfragen 3 hält die Rechtsprofessorin Regula Kägi-Diener fest, dass unter den 229 börsennotierten Unternehmen mit Sitz in der Schweiz der Frauenanteil in den Verwaltungsräten lediglich 9% erreicht, wobei anzumerken ist, dass die grössten, international ausgerichteten Unternehmen tendenziell mehr Frauen nominieren.
In der Schweiz ist man noch weit von den 40% entfernt, die unsere Nachbarländer anstreben, und auch noch weit entfernt von den bescheidenen 30%, welche die Revision des Obligationenrechts vorsieht. Wenn die Entwicklung im derzeitigen Tempo weitergeht, müssen wir mehrere Jahrzehnte warten, bis die Gleichheit erreicht ist. Das dauert zu lange. Das haben auch die zwölftausend Frauen und Männer, die am vergangenen 7. März ihren Überdruss auf dem Bundesplatz kundgetan haben 4 , laut und deutlich gesagt.
Schluss mit den «Eile mit Weile»-Spielregeln: Forderungen
Deshalb hat Travail.Suisse in ihrer Stellungnahme zur Revision des Aktiengesellschaftsrechts die Forderungen der Eidgenössischen Kommission für Frauenfragen bezüglich Geschlechtervertretung in börsennotierten und öffentlichen Unternehmen sowie Firmen ab 250 Mitarbeitenden übernommen. Die Unternehmen sollen dafür eine Umsetzungsfrist von 10 Jahren erhalten. Das reicht aus, um das Ziel einer Frauenquote von 40% in den Verwaltungsräten und 33% in den Geschäftsleitungen endlich zu erreichen.
Travail.Suisse verlangt, dass das Obligationenrecht durch Folgendes ergänzt wird:
- Griffige Kontrollmechanismen zur Umsetzung des Ziels, wobei Etappen vorgesehen werden können: Es geht auch darum, Unternehmen zu belohnen, die wirklich Anstrengungen unternehmen und das nachweisen;
- Wirksame Sanktionen bei wiederholtem Nichterreichen der Etappenziele;
- Es könnten Massnahmen getroffen werden, um die Umsetzung des Ziels zu flankieren;
- Die Unternehmen werden verpflichtet, jährlich einen Bericht über die Fortschritte bei der Umsetzung des gesetzten Zieles zuhanden der Generalversammlung und der Behörden zu erstellen;
- Verwaltungsräte und Geschäftsleitungen werden verpflichtet, für frei werdende Posten in ihren Gremien bei gleicher Eignung/Qualifikation so lange Kandidatinnen vorzuziehen, bis das Ziel von 40 bzw. 33% erreicht ist.
Was in Artikel 734e des Obligationenrechts vorgesehen ist, stimmt nachdenklich: Ein Unternehmen müsste lediglich erklären, weshalb es Abweichungen von einem Richtwert aufweist («comply or explain»-Prinzip). Mit dieser Vorgabe kann das «Eile mit Weile»-Spiel weitergehen.
«Türen aufzustossen» bringt frischen Wind – Beispiel Basel
Die Professorin Kägi-Diener ist zum Schluss gekommen, dass der in anderen Ländern geltende Gesetzesrahmen – der den Frauen vorbehaltene Sitze vorsieht – die Praxis international ausgerichteter Unternehmen beeinflusst. Diese Unternehmen weisen insbesondere bezüglich Gleichstellung der Geschlechter in den Führungsetagen eine bessere Bilanz aus. Dieser Einfluss macht sich auch geografisch bemerkbar. Das Beispiel des Kantons Basel-Stadt ist sinnbildlich: Der Kanton grenzt an Frankreich und Deutschland, also Länder, die eine Frauenquote eingeführt haben. Im Februar 2014 hat das Stimmvolk in Basel-Stadt die Einführung einer Frauenquote von 33% in öffentlichen und staatsnahen Betrieben (Universitäten, Spitäler, Verkehrsbetriebe usw.) angenommen. Die Umsetzungsfrist ist mit 5 Jahren eher kurz. Was hat man ein Jahr danach festgestellt? Der angestrebte Frauenanteil wurde innerhalb eines einzigen Jahres praktisch erreicht! Die Einführung einer solchen Massnahme hat frischen Wind gebracht.
Das Argument, das die Gegner der reservierten Sitze immer wieder vorbringen, lautet: «Es ist schwierig, qualifizierte Frauen zu finden». Dieses Argument hält nicht stand, wie die Erfahrung in Basel zeigt. Wer Frauen sucht, findet sie. Vielleicht muss man die Art und Weise der Suche nach Kandidatinnen leicht ändern. Frauen-Netzwerke gibt es (z.B. die Datenbank Femdat 5 ). Statt der Mund-zu-Mund-Propaganda unter Gleichgestellten ist die Ausschreibung der neu zu besetzenden Sitze in Verwaltungsräten ein guter Weg, um Frauen zu rekrutieren.
Das System der «reservierten Sitze» ist bereits anerkannt und verbreitet
Bedeutet die Festlegung einer Frauenquote in einer Geschäftsleitung oder einem Verwaltungsrat zwangsläufig, dass Stellen mit unfähigen Personen besetzt werden, weil das Geschlecht vorgeht? Das behaupten die Verfechter der demokratischen oder wirtschaftlichen Freiheit. Sie vergessen dabei, dass die berechtigten Ansprüche der Hälfte der Bevölkerung übergangen werden. Das Konzept der «reservierten Sitze» ist nicht neu. Es besteht bereits in mehreren «politischeren» Kontexten, und die Kompetenz der Personen, die solche Sitze besetzen, wurde nie angezweifelt. Als Beispiel sei das Amt des Generaldirektors des Internationalen Währungsfonds genannt, das einem Europäer «vorbehalten» ist (wobei Europa einen Stimmenanteil von 32% hat). Niemand hat die beruflichen Fähigkeiten von Christine Lagarde, Dominique Strauss-Kahn oder Rodrigo Rato angezweifelt, bloss weil sie Europäer sind. Ebenso kritisiert niemand wegen der Nationalität die Kompetenz von Jim Yong Kim, Direktor der Weltbank, dessen Amt traditionellerweise einem Amerikaner vorbehalten ist. Stillschweigenden, intransparenten Regeln zieht Travail.Suisse klare, allen bekannte Regeln vor. Den vielen erwerbstätigen Frauen mit hervorragender Ausbildung und Erfahrung, die sich bewährt haben, fehlt sehr wenig, um Zugang zur «Teppichetage» der Unternehmen zu erhalten. Das System der den Frauen vorbehaltenen Sitze kann Angst einflössen und Ablehnung hervorrufen, aber das geschieht oft aus Unkenntnis und Dogmatismus. Stellen wir uns der Realität und den Zahlen: Nur dieses System in Kombination mit flankierenden Massnahmen, Etappen und Fristen ist ein effizientes und akzeptables Mittel, um – endlich – eine ausgewogene Vertretung von Frauen und Männern auf allen Unternehmensstufen zu gewährleisten.
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p(footnote). 1 Mit den Finanzhilfen für familienergänzende Kinderbetreuung – die im letzten Jahr zum zweiten Mal verlängert wurden – konnte das Angebot um 96% erhöht werden. BSV, Finanzhilfen für familienergänzende Kinderbetreuung: Bilanz nach zwölf Jahren (Stand 1. Februar 2015), http://www.bsv.admin.ch/praxis/kinderbetreuung/00112/index.html?lang=de
2 Stéphanie Bäumler, Frauen in Konzernleitungen und Verwaltungsräten bleiben rar, Medienservice vom 4. Juni 2012.
3 Prof. Dr. iur. Regula Kägi-Diener, Frauenquoten in den Führungsetagen der Wirtschaft. März 2014, im Auftrag der Eidgenössischen Kommission für Frauenfragen EKF. http://www.ekf.admin.ch/dokumentation/00442/index.html?lang=de
4 Valérie Borioli Sandoz, Darf man sich wegen der Krise über die Bundesverfassung hinwegsetzen?, Medienservice vom 10. März 2015.
5 www.femdat.ch