Es liegt nicht an den Opfern, für die Einhaltung der Gesetze zu kämpfen
Die Durchsetzung der Gesetze darf nicht länger auf den Schultern der Opfer von Diskriminierung am Arbeitsplatz lasten: Die Schweiz braucht eine Ombudsstelle für Gleichstellung. Dies fordert Léonore Porchet, Nationalrätin und Vizepräsidentin von Travail.Suisse, am 8. März anlässlich des Internationalen Tags des Frauenrechte. Des Weiteren braucht es eine Diskussion darüber, wo formale Ungleichheiten in den Gesetzen weiterhin existieren – und entsprechende Korrekturen.
Haben Sie einen Konflikt mit Ihrer Krankenkasse oder Ihrem Telefonanbieter? Wurden Sie bei Ihrer letzten Reise betrogen? Es gibt Behörden, die ausserhalb eines Gerichtsverfahrens als Schlichtungsstelle fungieren. Dort wird geprüft, ob das Gesetz korrekt angewendet wurde, mit dem Ziel, Konflikte gütlich beizulegen. Anders sieht es aus, wenn Ihnen aufgrund Ihres Familienstatus eine Beförderung verweigert wird oder wenn Sie nach Ablauf des 16-wöchigen Kündigungsschutzes nach einer Geburt aus einem fadenscheinigen Grund entlassen werden. In diesen Fällen liegt es an Ihnen als Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmer, gegen Ihren Arbeitgeber vorzugehen. Dabei tragen Sie die vollen Risiken.
Diskriminierungsopfer haben Angst – deshalb braucht es eine Ombudsstelle
Eine Untersuchung der kantonalen Rechtsprechung zum Gleichstellungsgesetz GlG hat deutlich gezeigt: Klagt eine Arbeitnehmerin wegen einer Ungleichbehandlung oder Diskriminierung, bringt sie ihren Arbeitgeber gegen sich auf und verliert mit hoher Wahrscheinlichkeit ihre Stelle (1). Wenn sie das Urteil nach einem langen (2) und kostspieligen (3) Verfahren gewinnt, erhält sie nur sehr selten eine Entschädigung (4). Und wenn sie eine solche tatsächlich erhält, ist diese derart minimal, dass sie keinerlei Abschreckungseffekt für andere Arbeitgebende hat (5). All dies führt dazu, dass die Situation in den letzten Jahren nicht besser geworden ist. Bereits 2005 wurde in einem Analysebericht über die Wirksamkeit des GlG darauf hingewiesen, dass Diskriminierungsopfer aus Angst auf eine Klage verzichten. Seitdem wurden zwar einige Änderungen am Gesetz vorgenommen, aber nur wenige werden tatsächlich umgesetzt (z.B. die Beweislasterleichterung, die in 46% der entschiedenen Fälle nicht gewährt wurde (6)).
Die Verantwortung für die Umsetzung der Gleichstellung darf nicht länger auf den Schultern der Diskriminierungsopfer lasten. Deshalb braucht es Behörden, die im Rahmen des GlG Untersuchungen durchführen, intervenieren und rechtliche Schritte einleiten können. Dies fordert die am 8. März von der Vizepräsidentin von Travail.Suisse, Nationalrätin Léonore Porchet, eingereichte Motion: Gegen Diskriminierungen in Unternehmen braucht es eine Ombudsstelle für Gleichberechtigung.
Genauer gesagt braucht es Behörden mit Untersuchungskompetenzen, die das Recht haben, zu intervenieren und stellvertretend für die Opfer von Diskriminierung ein Gerichtsverfahren einzuleiten. Diese Behörden müssen ein Beschwerderecht haben. Die in der Zivilprozessordnung (Art. 197 ZPO) vorgesehenen Schlichtungsbehörden haben diese Befugnisse nicht, da ihr einziges Ziel darin besteht, auf informellem Wege eine Einigung zwischen den Parteien zu erzielen.
So steht es aktuell um die Anwendung des Gleichstellungsgesetz in der Arbeitswelt. Doch wie sieht es mit den übrigen Rechtsvorschriften aus? Ein Rechtsgutachten von Prof. Anne-Sylvie Dupont der Universität Genf hat das gesamte Bundesrecht auf formelle und direkte Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern hin untersucht (7).
Drei Gründe zur Rechtfertigung von Ungleichheiten zwischen Frauen und Männern im Gesetz
Es gibt viele gesetzlich verankerte Ungleichheiten zwischen Frauen und Männern, die häufig mit der Mutterschaft zusammenhängen. Biologische oder physiologische Gründe erlauben eine unterschiedliche Behandlung von Frauen und Männern im Gesetz, sie sind einer der drei zulässigen Gründe. Die beiden anderen Gründe sind funktionaler oder egalitärer Natur.
Ein Beispiel für funktionale Rechtfertigungsgründe ist der Kündigungsschutz, den eine Frau während 16 Wochen nach der Entbindung geniesst. Laut Bundesgericht «verfügt eine schwangere Frau für einen Zeitraum von 16 Wochen nach der Entbindung nicht über eine intakte Wettbewerbsfähigkeit auf dem Arbeitsmarkt». Was die egalitäre Rechtfertigung betrifft, so kann ein Gesetz eine Ungleichbehandlung festsetzen, um eine de facto bestehende Ungleichheit zu korrigieren. Dies wird als positive Diskriminierung bezeichnet. Ein Beispiel ist die Einführung von Frauenquoten in den Leitungsgremien grosser Unternehmen.
Das Fehlen von biologisch motivierten gesetzlichen Bestimmungen zugunsten von Männern wird im Rechtsgutachten hingegen erwähnt. Präventionsmassnahmen wie die von der Grundversicherung übernommenen Vorsorgeuntersuchungen beschränken sich auf Gebärmutterhalsabstriche (zur Früherkennung von Gebärmutterhalskrebs bei Frauen), Mammografien und Massnahmen zur Vorbeugung von Darmkrebs. Wie sieht es hingegen mit Prostatakrebs aus? Prostatakrebs ist eine der häufigsten Krebsarten bei Männern, entsprechende Präventionsuntersuchungen werden aber nicht von der Grundversicherung übernommen. Hier liegt bereits eine erste Ungleichheit zuungunsten der Männer vor, die es zu korrigieren gilt.
Diskussion und Korrekturen sind nötig
Es gibt noch weitere Punkte, die Anlass zur Diskussion geben. Der Aufbau einer Bindung zwischen Mutter und Kind ist, neben dem gesundheitlichen Aspekt, einer der Gründe für den Mutterschaftsurlaub. Dies erkannte der Bundesrat in seiner Antwort auf das Postulat Gysin 21.3734 an. Er hält fest: «Ziel des Mutterschaftsurlaubes ist es (…) auch, dass sich die Mutter um das Neugeborene kümmern und die Mutter-Kind-Beziehung aufbauen kann.»
Warum ist also der Beziehungsaufbau kein ausreichender Grund, um die Ungleichheit zwischen Mutterschafts- und Vaterschaftsurlaub zu korrigieren? Das Arbeitsverbot für Wöchnerinnen dauert aus offensichtlichen gesundheitlichen Gründen acht Wochen. Die zusätzlich gewährten sechs Wochen haben ausserdem die Funktion, den Aufbau einer Bindung zum Neugeborenen zu fördern. Nach dieser Argumentation müsste der Vaterschaftsurlaub folglich ebenfalls sechs statt nur zwei Wochen dauern. Es handelt sich dabei um eine klare Diskriminierung.
Ebenso ist es diskriminierend, dass Mütter ihren Mutterschaftsurlaub nach Ablauf des achtwöchigen Arbeitsverbots nicht flexibel beziehen können. Eine Frau, die nach diesen acht Wochen wieder Teilzeit arbeiten möchte, verliert ihren Anspruch auf Mutterschaftsentschädigung, während ein Mann seine zehn Tage Vaterschaftsurlaub über mehrere Wochen hinweg beziehen kann. Aber Vorsicht, dies darf keinesfalls falsch interpretiert werden! Der geltende Mutterschaftsurlaub ist zu kurz und darf auf keinen Fall mit Verweis auf ein Bedürfnis nach grösserer Flexibilisierung gekürzt werden. Die überwiegende Mehrheit der Frauen verlängert ihren Mutterschaftsurlaub auf eigene Kosten, z. B. durch einen unbezahlten Urlaub. Eine Korrektur der gesetzlichen Grundlagen ist auch beim Lohn erforderlich, den eine schwangere oder stillende Frau erhält, wenn ihre Arbeit beschwerlich oder gefährlich ist und keine Schutzmaßnahmen ergriffen werden können, oder ihr keine andere Beschäftigung angeboten werden kann. In diesem Fall erhält sich lediglich 80 Prozent ihres Lohns, was einen ungerechtfertigten wirtschaftlichen Schaden darstellt.
Diese aufgezählten Beispiele sind nicht abschliessend. Sie sollen lediglich aufzeigen, dass es in den geltenden Gesetzen noch immer ungerechtfertigte Diskriminierungen zwischen den Geschlechtern gibt. Es ist wichtig, sich auch nach dem 8. März daran zu erinnern.
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Quellen:
(1) 84% der im Bericht analysierten Fälle. Quelle: Lempen Karin, Voloder Aner. Analyse der kantonalen Rechtsprechung nach dem Bundesgesetz über die Gleichstellung von Frau und Mann (2004-2015). Im Auftrag des Eidgenössischen Büros für die Gleichstellung von Frau und Mann EBG. Bern, 2017.
(2) Durchschnittlich 27 Monate
(3) «Die Führung eines Verfahrens nach dem Gleichstellungsgesetz vor einem kantonalen Gericht bringt also (…) für die arbeitnehmende Partei ein nicht zu unterschätzendes finanzielles Risiko mit sich.» Diese Kosten können sich auf über 19'000 Franken belaufen, obwohl das GlG das Kostenlosigkeitsprinzip vorsieht.
(4) Entschädigungen werden in weniger als der Hälfte der Fälle gezahlt.
(5) Im Durchschnitt werden drei Monatsgehälter gezahlt.
(6) «In der Mehrheit der Fälle (37) liegt der Grund für die Nichtanwendung der Beweislasterleichterung darin, dass die entsprechenden Klagen wegen sexueller Belästigung oder diskriminierender Verweigerung einer Anstellung erhoben werden. Diese fallen nicht in den Anwendungsbereich des Art. 6 GlG. Die Beweislasterleichterung wird allerdings in 13 Fällen nicht angewendet, obwohl dies der Fall hätte sein müssen.»
(7) Anne-Sylvie Dupont / Zoé Seiler (2021): Rechtsgutachten Direkte rechtliche Ungleichbehandlungen im Bundesrecht.