Die Kosten für die familienergänzende Kinderbetreuung sind in der Schweiz exorbitant hoch. Zudem fehlt es an Betreuungsplätzen, die auch Eltern mit unregelmässigen Arbeitszeiten eine verlässliche Betreuung ihrer Kinder bieten. Travail.Suisse, der unabhängige Dachverband der Arbeitnehmenden, fordert den Nationalrat auf, die vom Bundesrat vorgeschlagenen Verbesserungen des Bundesgesetzes über Finanzhilfen für familienergänzende Kinderbetreuung zu unterstützen. Die zusätzliche Anstossfinanzierung führt zu einem weniger teuren und besser auf die heutige Arbeitswelt ausgerichteten Betreuungsangebot.
Die Fachkräfteinitiative des Bundes setzt auf eine höhere Erwerbsbeteiligung der Eltern, insbesondere der Mütter. Voraussetzung dafür ist allerdings mehr Verlässlichkeit bei den familienexternen Betreuungsangeboten. Dabei genügt es nicht, auf den Goodwill einzelner Kantone zu hoffen. Der Bund muss gezielte Anreize für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf setzen. Zwar sind die Kantone hauptverantwortlich für die familienergänzenden Betreuungsstrukturen. Die Realität zeigt aber, dass viele Kantone auf die Unterstützung des Bundes angewiesen sind, um eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu erreichen. Ohne Engagement des Bundes bleibt es für Eltern je nach Kantonszugehörigkeit Glückssache, ob sie auf eine gute Betreuungsinfrastruktur zählen können oder nicht. Das ist nicht zeitgemäss. Die moderne Arbeitswelt macht nicht an der Kantonsgrenze halt. Auch die Bevölkerung erwartet hier mehr Engagement des Bundes, hat sie doch 2013 mit über 54 Prozent Ja-Stimmen dem Familienartikel zugestimmt, der nur am Ständemehr gescheitert ist.
Impulsprogramme des Bundes funktionieren
Der Bund hatte angesichts der fehlenden familienexternen Betreuungsinfrastruktur eine Anstossfinanzierung lanciert. Seit 14 Jahren läuft das Impulsprogramm des Bundes zur Schaffung von neuen Betreuungsplätzen, damit Eltern Familie und Beruf besser vereinbaren können. Der Bund hat dabei im Rahmen von über 3‘000 Gesuchen die Schaffung von rund 55‘000 Betreuungsplätzen in Kindertagesstätten, bei der schulergänzenden Betreuung und in Tagesfamilien unterstützt. Der Bedarf ist nach wie vor gross, das Programm ein Erfolg. Es hat dazu geführt, dass heute in vielen Regionen deutlich mehr Betreuungsplätze zur Verfügung stehen.
Neben der Verfügbarkeit ist auch die Bezahlbarkeit ein Problem
Heute besteht neben der Verfügbarkeit von Betreuungsplätzen eine weitere Hürde: Die Eltern werden vor allem durch die Krippentarife stark belastet. Zwar sind die kaufkraftbereinigten Kosten für die familienexterne Kinderbetreuung in der Schweiz vergleichbar mit denjenigen in unseren Nachbarländern Deutschland, Österreich und Frankreich. Aber ein Grossteil der Kosten wird in der Schweiz im Gegensatz zum benachbarten Ausland auf die Eltern überwälzt 1 . Das macht die familienexterne Kinderbetreuung in der Schweiz exorbitant teuer und führt häufig dazu, dass ein Zweiteinkommen sich finanziell kaum rechnet.
Abhilfe durch neue Anstossfinanzierung
Der Bundesrat und der Ständerat wollen deshalb mit einer zusätzlichen Anstossfinanzierung im Rahmen der Fachkräfteinitiative insgesamt 100 Millionen Franken für die gezielte Verbilligung der familienergänzenden Kinderbetreuung und für besser auf die Bedürfnisse der Eltern abgestimmte Angebote zur Verfügung stellen. Unterstützt werden könnten etwa Angebote über Mittag und während der Ferien oder speziell auf Eltern mit unregelmässigen Arbeitszeiten ausgerichtete Betreuungsangebote. Die Unterstützung dient als Anreiz für die Kantone, die Eltern über die Tarife zu entlasten. Jene Kantone, welche die Subventionen erhöhen, erhalten vom Bund im ersten Jahr 65 Prozent des zusätzlichen Betrags. Im zweiten Jahr sind es noch 35 und im dritten 10 Prozent.
Travail.Suisse fordert nun auch den Nationalrat auf, die Vorlage zu unterstützen und seiner Kommission zu folgen. Langfristig denken und in ein bezahlbares und verlässliches Angebot an familienexterner Kinderbetreuung zu investieren lohnt sich in verschiedener Hinsicht:
• Der volkswirtschaftliche Nutzen von Kindertageseinrichtungen ist belegt: Pro investiertem Franken können langfristig 2.6 bis 3.5 Franken Rendite für die öffentliche Hand erzielt werden. Dies auf Grund höherer Erwerbseinkommen der Haushalte, höherer Steuereinnahmen, höherer Sozialversicherungsbeiträge sowie tieferer Kosten für die Sozialhilfe. Am besten ist das Kosten-Nutzen Verhältnis für den Bund. 2 Deshalb ist es angezeigt, dass der Bund bei der Finanzierung mithilft.
• Mit einer besseren Betreuungsinfrastruktur steigt die Anzahl Fachkräfte. Studien gehen für die nächsten Jahrzehnte von rund einer Million fehlender Fachkräfte aus. Eine Erhöhung des Beschäftigungsgrades von Teilzeiterwerbstätigen wird nur erfolgen, wenn die Kosten der familienexternen Betreuung den zusätzlichen Lohn nicht vollständig verschlingen. Gemäss einer Evaluationsstudie zum bisherigen Impulsprogramm müssten Eltern ohne Betreuungsplatz ihren Beschäftigungsgrad um durchschnittlich 34 Stellenprozente (Kindertagesstätte) bzw. 20 Stellenprozente (schulergänzende Betreuung) reduzieren. 3
• Es entspricht dem Wunsch vieler Eltern, ein egalitäres Rollenmodell zu leben. 4 Eine gute familienexterne Betreuungsinfrastruktur fördert die Gleichstellung der Elternteile und begünstigt eine egalitäre Rollenteilung. Mütter arbeiten bei gutem Betreuungsangebot tendenziell mehr, Väter reduzieren eher ihre Vollzeiterwerbstätigkeit zugunsten von Betreuungsaufgaben. 5
Höhere Steuerabzüge reichen nicht
Bürgerliche Politiker und Arbeitgebervertreter lehnen die zusätzliche Anstossfinanzierung mit dem Verweis auf die momentan in der Vernehmlassung steckende Vorlage für höhere Steuerabzüge bei Drittbetreuungskosten ab. Man müsse einfach die Steuerabzüge erhöhen und dann sei das Problem gelöst, wird suggeriert. Natürlich sollen Drittbetreuungskosten steuerlich abgezogen werden dürfen. Doch damit ist es bei weitem nicht getan. Familienpolitik nur über die Steuern betreiben zu wollen, ist wie wenn die Altersvorsorge nur aus der 3. Säule bestehen würde. Der negative Einfluss der Steuern auf den Erwerbsanreiz ist zwar gegeben, aber der der Einfluss der hohen externen Betreuungskosten übersteigt diesen meistens um ein Mehrfaches. 6 Die grössten negativen Erwerbsanreize bestehen in der Schweiz also wegen der Tatsache, dass die Kinderbetreuungskosten zu einem grossen Teil auf die Eltern überwälzt werden. Die beiden Vorlagen ergänzen sich deshalb und sollten nicht gegeneinander ausgespielt werden.
Travail.Suisse ist überzeugt, dass es mittelfristig einen besseren Service public in diesem Bereich braucht, und fordert deshalb, dass die heutige Anstossfinanzierung des Bundes mittelfristig zu einem Rahmengesetz für die Betreuungsinfrastruktur umgebaut wird. Die zusätzliche Anstossfinanzierung für mehr bezahlbare Betreuungsplätze ist ein kleiner, aber wichtiger Schritt.