Das von Travail.Suisse vor anderthalb Jahren lancierte Projekt weckt grosse Erwartungen in verschiedenen Kreisen. Ab Herbst 2016 soll diese erste nationale Plattform für berufstätige Personen, die Angehörige betreuen, unterstützen und pflegen, kostenlos allgemeine Informationen, nützliche Tipps und Adressen bereitstellen. Denn die Betroffenen brauchen sehr viel Zeit, um alle nützlichen Informationen und Adressen zusammenzusuchen. Die Internetseite info-workcare.ch bietet den betreuenden Angehörigen einen nützlichen Überblick und insbesondere mehr als tausend Adressen.
In der letzten Ausgabe des Medienservice 1 wurden bereits die groben Züge des künftigen kostenlosen Angebots von Travail.Suisse umrissen, das sich an Berufstätige richtet, die ab einem Alter von rund 50 Jahren (manchmal aber auch schon früher) neue Aufgaben in ihrer Familie übernehmen müssen, da ihre älteren Angehörigen hilfsbedürftig werden.
Momentan befassen sich in der Bundesverwaltung mehrere Departemente und Bundesämter mit diesem Thema, denn es betrifft sowohl die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt, aber gleichzeitig auch die Sozialversicherungen und die Gleichstellung von Frau und Mann. Das Eidgenössische Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann hat eine Analyse und wichtige Empfehlungen zum Thema veröffentlicht 2 . Im Bundeshaus sind einige Parlamentarier schon aktiv geworden. Auch auf kantonaler Ebene ist bereits einiges geschehen; so hat am 30. Oktober erstmals der Westschweizer Tag 3 der betreuenden Angehörigen stattgefunden, der alle entsprechenden Aktivitäten der Westschweizer Kantone unter einem Dach zusammenfasste.
Travail.Suisse stellt nach zahlreichen Kontaktaufnahmen bei den Vorbereitungsarbeiten des Projekts info-workcare.ch fest, dass dieses viele Erwartungen weckt. Tatsache ist, dass infolge unserer demografischen Situation die Anzahl älterer Menschen weiter steigen wird, und die Lebenserwartung geht ebenfalls nicht zurück. Ausserdem sind Frauen immer häufiger berufstätig, was dazu führt, dass die Gesellschaft für die Betreuung älterer Personen nicht mehr – wie bis anhin – ohne Weiteres auf diese Reserve an Gratisarbeitskräften zurückgreifen kann. Die Knacknuss der Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Care-Arbeit wird jede Familie, jeden Mann und jede Frau in unserem Land irgendwann treffen.
Was ist überhaupt «Care-Arbeit»?
Was beinhaltet der Begriff «Care-Arbeit» denn eigentlich? «Care» umfasst Dimensionen wie Achtsamkeit, Pflege, Rücksichtnahme und gegenseitige Hilfe – kurz die «Sorge für den anderen». In der Schweiz definiert das Eidgenössische Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann Care-Arbeit als «Betreuungs-, Sorge- und Pflegeaufgaben für Kinder sowie für pflege- und betreuungsbedürftige Erwachsene» 4 . Das Büro betont, dass diese Arbeit eine gesellschaftliche Notwendigkeit sei und auf möglichst viele Personen – Männer und Frauen – verteilt werden müsse, damit sie auch in Zukunft erbracht werden kann, was sich sowohl die Gepflegten als auch die Pflegenden wünschen. Doch momentan tragen die Frauen die Belastung meist alleine und folglich auch die negativen Auswirkungen.
Projektziele
Ein wesentlicher Teil der künftigen Website dient auch der Sensibilisierung. Leisten Personen Care-Arbeit, wenn sie kleinere Besorgungen erledigen? Wenn sie also beispielsweise der Mutter beim Ausfüllen der Steuererklärung helfen, sie regelmässig für den Vater einkaufen (und gleichzeitig auch noch den Zustand der Lebensmittel im Kühlschrank kontrollieren) oder die Schwiegermutter zum Coiffeur oder zum Arzt begleiten? Die Antwort lautet: Ja. Soll man sich Gedanken über die Care-Arbeit machen, die der Vater für die Mutter leistet oder umgekehrt? Auch diese Frage ist mit Ja zu beantworten.
Und wann sollen Betroffene das Thema an ihrem Arbeitsplatz zur Sprache bringen? Heute ist bekannt, dass Erwerbstätige kaum über ihre diesbezüglichen Verpflichtungen im Privatleben sprechen. Meistens bringen sie das Thema viel zu spät zur Sprache, nämlich wenn sie nicht mehr in der Lage sind, die Situation allein zu bewältigen. Häufig unterstützen pflegende Angehörige ihre Eltern in einem Mass, dass sie die körperlichen, aber auch die psychischen Grenzen ihrer Belastbarkeit überschreiten und selber krank werden. Die neue Website wird ein Bewusstsein für die Probleme schaffen, die in Zukunft unweigerlich auftauchen werden, wenn Betroffene einfach alles für sich behalten. Sie möchte auch die Männer ermuntern, ihren Anteil an der Care-Arbeit zu erhöhen.
Das von Travail.Suisse lancierte Projekt bezweckt eine bessere Vereinbarkeit regelmässiger Erwerbsarbeit ausserhalb des eigenen Haushalts mit Care-Arbeit für betagte Angehörige. Es soll insbesondere Fragen von Arbeitnehmenden beantworten, sobald sie auftauchen. Die Thematik ist bewusst auf dieses Gebiet begrenzt. Spezifische Aspekte im Zusammenhang mit Behinderungen oder medizinischen Diagnosen bei Kindern und Erwachsenen, die besondere Betreuung und Pflege benötigen, wurden nicht berücksichtigt. Das Projekt von Travail.Suisse setzt somit ganz am Anfang der Problematik an, um die Vereinbarkeit zu fördern.
Schon über 1000 Adressen zusammengetragen
Einen erheblichen Teil der Website info-workcare.ch macht ein Angebot an Kontaktadressen aus, die nach den Bedürfnissen der berufstätigen betreuenden Angehörigen sortiert sind. Alle veröffentlichten Angaben sind von allgemeinem Interesse, neutral und für das breite Publikum gedacht. Bis heute hat Travail.Suisse mehr als tausend Adressen zusammengetragen.
Es wurde eine Strategie definiert, welche Angebote und Adressen aufgenommen werden. Da die Website unter anderem mit öffentlichen Mitteln finanziert wird und sie keinen Ertrag abwirft, musste die Wahl der Adressen unter einem anderen Blickwinkel als beim üblichen Wirtschaftsmodell der «Gewinnmaximierung» und des «Return on Investment» erfolgen.
Die aufgeführten Adressen gehören hauptsächlich Verbänden und Organisationen ohne Gewinn-orientierung, die – nach Möglichkeit – gesamtschweizerisch tätig sind. Ebenfalls im Verzeichnis enthalten sind Angebote von anerkannten und/oder öffentlich finanzierten Organisationen und Einrichtungen. Rein kommerzielle Adressen werden folglich nicht aufgeführt. Es werden kostenlose und kostenpflichtige Dienstleistungen von gemeinnützigen Organisationen aufgenommen, die anerkannt sind und/oder mit öffentlichen Geldern unterstützt werden. Dienstleistungen hingegen, die bei rein privaten Unternehmen «erworben» werden können (für Personen, für den Haushalt usw.), werden nicht in der Liste aufgeführt.
Die Benutzerinnen und Benutzer haben die Möglichkeit, Adressen zu melden. Diese werden überprüft und, falls sie der Philosophie von www.info-workcare.ch entsprechen, veröffentlicht.
Die Ausbeutung von mittellosen ausländischen Arbeitskräften bekämpfen
Travail.Suisse kann weder die Qualität der angebotenen Dienstleistungen noch die Ausbildung der Personen, die sie anbieten, und noch weniger ihre Arbeitsbedingungen überprüfen. Das ist der Grund dafür, dass Arbeitsvermittlungen aus dem In- und Ausland hier bewusst keine Plattform erhalten. Ausserdem wird daher ein grosser Teil der künftigen Website www.info-workcare.ch der Sensibilisierung und der Information von Angehörigen gewidmet, die de facto in die Arbeitgeberrolle schlüpfen müssen, indem sie Personen für die Betreuung ihrer Angehörigen zu Hause anstellen.
Denn die Umfragen zeigen 5 : Eine der Lösungen, die relativ begüterte Familien manchmal wählen, ist die Anstellung von Personen aus dem Ausland, welche die Care-Arbeit bei Pflegebedürftigen zu Hause übernehmen. Eine klare Aufklärung über die rechtliche Lage und die guten Praktiken in diesem Bereich ist unerlässlich, um zu verhindern, dass die ausländischen Arbeitskräfte ausgebeutet werden.
Das ehrgeizige Projekt info-workcare.ch will vielen Erwartungen gerecht werden. Um die Website im Herbst 2016 offiziell zu lancieren, wird momentan eine Tagung zum Thema Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Care-Arbeit vorbereitet.