Nach jahrzehntelangem Ringen konnten wir einen Mutterschaftsurlaub und Familienzulagen für alle Kinder in der Schweiz durchsetzen. Diese Siege waren wichtig. Nun ist es Zeit, mit einem weiteren Schritt dafür zu sorgen, dass die Schweiz eine Familienpolitik erhält, die diesen Namen verdient. Der neue Verfassungsartikel, über den wir am 3. März abstimmen, wird es den Familien ermöglichen, ihre Aufgaben in Familie und Beruf so zu organisieren, wie sie es wünschen. Gefragt ist eine Politik, die es den Eltern freistellt, wie sie ihre Erziehungs- und Erwerbsarbeit unter sich aufteilen. Kein Familienmodell soll gegenüber andern bevorzugt werden. Der Verfassungsartikel gewährleistet, dass alle Familienmodelle auf Respekt, Verständnis und Akzeptanz zählen können.
Die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist heute eine allgemein anerkannte Notwendigkeit. Denn in vielen Familien müssen für ein ausreichendes Einkommen beide Elternteile arbeiten. Doch die Schweiz ist in der Familienpolitik international klar im Rückstand: Es fehlen noch rund 120’000 Plätze in familien- und schulergänzenden Tagesstrukturen. Nachdem wir immer wieder entsprechende Forderungen stellten, wurden in den vergangenen Jahren auf Bundesebene punktuell Anreize zur Schaffung neuer Betreuungsplätze gesetzt, eine Verfassungsgrundlage fehlt aber nach wie vor. Es ist Zeit, dies zu korrigieren.
Der vorgeschlagene Verfassungsartikel respektiert die Aufgabenverteilung zwischen Bund und Kantonen. Der Bund übernimmt lediglich subsidiär Aufgaben, falls die Bemühungen von Kantonen und Dritten nicht ausreichen, um die Vereinbarkeit von Familie, Erwerbsarbeit und Ausbildung zu verbessern.
Die Zahl der Familien mit Kindern geht laufend zurück, die Alterung der Bevölkerung schreitet voran: 1930 lebten in zwei Dritteln aller Haushalte Kinder. 2000 war der Anteil nur noch halb so gross. Heute wohnen lediglich noch in jedem dritten Haushalt Kinder. Viele Frauen und Männer setzen in unserem Land ihren Wunsch, eine Familie zu gründen, nicht um oder haben weniger Kinder, als sie eigentlich möchten. Die Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit und Familie spielt nicht nur in diesem Punkt eine zentrale Rolle, sondern auch für ein gesundes Gleichgewicht zwischen den Generationen, das Voraussetzung für die Nachhaltigkeit unserer Sozialwerke ist.
Wenn sich Familie und Erwerbsarbeit besser vereinbaren lassen, ist dies ein willkommener und notwendiger Impuls für die Gleichstellung von Männern und Frauen am Arbeitsplatz, in der Ausbildung und in der Familie. In erster Linie ist aber die Möglichkeit, seine Kinder einer Betreuungseinrichtung anvertrauen zu können, für eine Mehrheit der Eltern eine Notwendigkeit, da die meisten Familien auf zwei Löhne angewiesen sind.
Die Betreuungsstrukturen fördern die Integration, den Spracherwerb und die Sozialkompetenzen der Kinder. Krippen wecken den Entdeckergeist und unterstützen das Erlernen der verschiedenen Sprachen sowie den Kontakt zu anderen Kindern. Damit bereiten sie die Kinder gut auf das künftige gesellschaftliche Leben vor. Ein geeignetes Angebot an familien- und schulergänzenden Tagesstrukturen verbessert die Chancen und die Integration von Kindern und Jugendlichen aus einem gesellschaftlich und wirtschaftlich weniger privilegierten Umfeld.
Die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbsarbeit zahlt sich auch wirtschaftlich aus: Neben den Familien wird die Wirtschaft profitieren, da ihr mehr qualifizierte Arbeitskräfte zur Verfügung stehen. Denn die immer besser ausgebildeten Frauen werden vermehrt am Arbeitsmarkt teilnehmen können, ohne auf eine Familie zu verzichten. Dies wird es den Unternehmen ermöglichen, ihren Bedarf an Arbeitskräften zu decken, ohne im Ausland rekrutieren zu müssen.
Mit dem Familienartikel sorgen wir dafür, dass die Schweiz alle Familien unterstützt, unabhängig von ihrem Lebensmodell, und dass diese endlich Familie und Erwerbsarbeit vereinbaren können. Ebnen wir den Weg zu einer offenen Zukunft und einer Gesellschaft, die Kinder und Jugendliche als Chance sieht!