Die Familieninitiative der SVP stellt die freie Wahl des Familienmodells in Frage und ist ein Steuergeschenk am falschen Ort.
Die Familieninitiative der SVP unterstützt nicht eine umfassende, kohärente Familienpolitik, sondern eine restriktive Familienpolitik, die ein bestimmtes Familienmodell bevorzugt: Der Vater geht arbeiten, die Mutter kümmert sich um den Haushalt. Oder wie Ueli Maurer sagt: «Das ist wie in der Natur: Bei fast allen Tieren kümmert sich die Mutter um den Nachwuchs» (Ueli Maurer, SVP, einen Monat später in den Bundesrat gewählt, Le Journal, TSR, 30.11.2008). Die Familieninitiative ver-folgt ein klar ideologisches Ziel: Der Nachwuchs liegt ausschliesslich in der persönlichen Verant-wortung, die Eltern müssen diese Verantwortung allein tragen, und die Frau muss zu Hause bleiben.
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich habe tiefen Respekt vor Müttern, die beschliessen, zu Hause zu bleiben, solange die Kinder klein sind, wenn sie die Wahl dazu haben. Aber diese Initiati-ve stellt die freie Wahl des Familienmodells und der Rollen innerhalb der Familie in Frage. Die Steuerpolitik darf jedoch ein bestimmtes Familienmodell weder beeinflussen noch begünstigen. Das gilt umso mehr, als es zu Beginn dieses 21. Jahrhunderts ganz unterschiedliche Familienfor-men gibt: Kernfamilie, Patchwork-Familie, Einelternfamilie…
Die Familieninitiative verstärkt die Ungleichbehandlung von Familien
Diese Initiative ist ein Steuergeschenk am falschen Ort, zum Nachteil der Mehrheit der Familien in unserem Land. Sie verletzt steuerrechtliche Grundprinzipien wie die Behandlungsgleichheit und das Prinzip der Besteuerung nach Wirtschaftskraft aufgrund des Erwerbseinkommens. Daher verstärkt die Initiative die Ungleichbehandlung von Familien: Bei gleicher finanzieller Ausgangslage verfügt eine Familie, die ihre Kinder zu Hause betreut, über ein höheres Einkommen als eine Familie, die auf Dritte zurückgreift und dadurch Kosten trägt, die das verfügbare Einkommen verringern. Das gilt immer noch, obwohl 2011 ein Steuerabzug für Eltern eingeführt wurde, die ihre Kinder familienergänzend betreuen lassen.
In der Praxis begünstigt dieser Vorschlag die höchsten Einkommenskategorien: Bei einem jährlichen Einzeleinkommen von 64’000 Franken spart eine Familie 200 Franken pro Jahr; bei einem jährlichen Einzeleinkommen von 200’000 Franken spart sie 2’600 Franken pro Jahr. Tatsächlich ist eine Mehrheit der Schweizer Familien auf ein zweites Einkommen angewiesen, um ein würdiges Leben führen zu können. Die betroffenen Familien haben also gar keine andere Wahl.
Derzeit bezahlt jede zweite Familie keine direkte Bundessteuer aufgrund ihres zu tiefen Einkommens. Ausserdem ist diese Initiative mit sehr hohen Steuerverlusten von schätzungsweise 390 Millionen Franken für den Bund und 1 Milliarde Franken für die Kantone verbunden.
Die Gleichbehandlung von Familien kann nicht über einen zusätzlichen Steuerabzug für Familien mit Einzeleinkommen erreicht werden, denn bereits jetzt verfügt eine Familie mit einem Einzelgehalt von 10’000 Franken pro Monat nach Bezahlung der Steuern über 16’000 bis 18’500 Franken pro Jahr mehr als die Nachbarsfamilie, die ebenfalls 10’000 Franken pro Monat verdient, aber mit zwei Einkommen und Betreuungskosten. Warum soll man der ersten Familie ein zusätzliches Geschenk machen?
Diese Initiative, angeblich «für die Familien», ist also in Tat und Wahrheit gegen die Familien. Ich fordere Sie daher mit Überzeugung dazu auf, ein Nein zu dieser Mogelinitiative in die Urne zu legen.
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