In sechzehn Kantonen sind Sparprogramme, die insbesondere das Gesundheits- und Bildungswesen sowie den sozialen Bereich betreffen, geplant oder bereits umgesetzt. Die SVP-Initiative, die unter dem Deckmantel der «Gleichstellung der Familien» neue Steuerabzüge vorsieht, bringt den Kantonen Verluste von über einer Milliarde Franken. Das führt zu Leistungskürzungen, die in erster Linie Familien mit tiefen und mittleren Einkommen betreffen, also jene Familien, die zwei Einkommen brauchen, um über die Runden zu kommen.
Da die meisten Kantone in den letzten Jahren Unternehmen und Privatpersonen wiederholt Steuersenkungen gewährt haben – die konjunkturelle Verlangsamung spielt dabei nur eine sekundäre Rolle – hat sich ihre finanzielle Lage rasch verschlechtert.
Sparpläne in 16 Kantonen…
So machen die zwischen 2007 und 2010 erfolgten Einkommenssteuersenkungen für Unternehmen und Privatpersonen in den verschiedenen Kantonen insgesamt etwa 2,5 Milliarden Franken aus. 1 Das erklärt die bereits laufenden oder geplanten Sparprogramme in den meisten Kantonen zu einem grossen Teil. Der Kanton St. Gallen hat beispielsweise Gewinn- und Kapitalsteuersenkungen für Unternehmen sowie Vermögens- und Einkommenssteuersenkungen für natürliche Personen gewährt, und zwar in der Höhe von 254 Millionen Franken auf Kantonsebene und von 195 Millionen Franken auf Gemeindeebene im Zeitraum 2007-2011! Es ist daher nicht erstaunlich, dass der Kanton bereits sein drittes Sparpaket mit 66 Sparmassnahmen schnürt. Nach Einsparungen von 129 Millionen im Jahr 2013 sollen 2014 152 Millionen und 2015 200 Millionen gespart werden.
Mindestens 16 Kantone sehen in den nächsten Jahren Sparmassnahmen vor. Lediglich die Kantone VD, UR, GR und die Halbkantone OW und AI haben gemäss einer Erhebung der NZZ derzeit keine Sparpläne. Die Kantone VS, ZH und GE könnten Sparpläne einführen. Zählt man die in den verschiedenen Kantonen geplanten Massnahmen zusammen, erhält man Einsparungen von über einer Milliarde Franken. Trotz dieser Sparpläne weisen die meisten Budgets 2014 der betroffenen Kantone immer noch rote Zahlen aus (Defizit von 30 Millionen in St. Gallen, 123 Millionen in Solothurn, 33 Millionen in Schaffhausen, 26 Millionen in Neuenburg, 71 Millionen in Zug usw.). Nur wenige Kantone (Solothurn, Luzern und vielleicht Freiburg) sehen Steuererhöhungen vor.
… mit Kürzungen im sozialen Bereich sowie im Gesundheits- und Bildungswesen
Prüft man die vorgesehenen oder laufenden Sparprogramme einiger Kantone, stellt man fest, dass gerade die Bereiche, die sich in den Familienbudgets niederschlagen, stark davon betroffen sind: Soziales, Gesundheits- und Bildungswesen. Insbesondere die von vielen Kantonen geplanten Kürzungen bei der Verbilligung der Krankenversicherungsprämien und die Erhöhung der Schulgelder belasten das Familienbudget.
Das Beispiel des Kantons Freiburg
Zur Veranschaulichung dient das Beispiel des Kantons Freiburg: Zwischen 2008 und 2010 hat er die Steuern jedes Jahr um etwa 2 bis 3% seiner gesamten Steuereinnahmen gesenkt. Das bedeutet Einnahmeneinbussen von fast 100 Millionen Franken pro Jahr! Ohne diese Steuersenkungen wäre es nicht nötig gewesen, die kürzlich vom Kantonsparlament gutgeheissenen Struktur- und Sparmassnahmen in so grossem Umfang – 416 Millionen Franken in drei Jahren (2014: 114.4; 2015: 142.8; 2016: 177.6) – vorzusehen.
Etwa 100 Millionen werden bei den Subventionen eingespart, und gerade hier sind die Familien stark betroffen, denn ein grosser Teil der Leistungskürzungen erfolgt in den subventionierten Bereichen Gesundheit, Soziales und Bildung. Die Sparmassnahmen sehen Kürzungen von 71’158 Millionen Franken im Bereich Gesundheit und Soziales und 4’403 Millionen im Bereich Bildung, Erziehung und Kultur vor.
So ist im Bereich Gesundheit und Soziales geplant, den Abzug bei den Krankenversicherungsprämien einzufrieren und dann die Prämienverbilligungsskala zu überprüfen. Zudem soll der kantonale Beitrag an die Spitalleistungskosten für im Kanton wohnhafte Patienten sowie an die Hilfe und Pflege zu Hause gesenkt werden. Ebenfalls vorgesehen ist, die Mutterschaftsentschädigung für Mütter ohne Erwerbstätigkeit herabzusetzen usw.
Im Bildungswesen wird das Schulgeld auf der Sekundarstufe 2 stark erhöht (von 275 auf 375 Franken pro Kind). Hinzu kommt eine neue Anmeldegebühr von 100 Franken für die Sekundarstufe 2. So bezahlt eine Familie mit zwei Kindern in der Sekundarstufe 2 400 Franken mehr Schulgeld pro Jahr! Die Subventionen werden auch im Bereich der Berufsbildung und der Studienbörsen gekürzt. Der Staat beteiligt sich zudem weniger an den Kosten der Personalschulung in familienergänzenden Betreuungsstätten.
Die SVP-Initiative benachteiligt die Mehrheit der Familien noch mehr
Kurz gesagt: Vor einem bereits angespannten finanziellen Hintergrund in den Kantonen beginnen Familien mit tiefen und mittleren Einkommen, einen grossen Teil der Zeche einer Steuerpolitik zu bezahlen, die in den letzten Jahren die Unternehmen und die wohlhabendsten Familien begünstigt hat, denn diese haben am meisten von den Steuersenkungen profitiert. Da die Kantone zur Schliessung der Budgetlücken Einsparungen gegenüber Steuererhöhungen bevorzugen, kommt es zu einer Kostenabwälzung auf die Familien mit tiefen oder mittleren Einkommen, denn diese müssen mehr für die Bildung ihrer Kinder (Erhöhung des Schulgeldes), für die Krankenkassenprämien (Streichung oder Kürzung der Prämienverbilligungen) und wahrscheinlich auch für die familienergänzende Betreuung ihrer Kinder bezahlen. Das gilt noch mehr, wenn die SVP-Initiative durchkommt. Die SVP-Initiative, die Steuerverluste von schätzungsweise 1,3 Milliarden Franken verursacht, verstärkt diesen Trend klar. Aber wohlhabendere Familien mit Kindern kommen besser als andere damit zurecht, denn sie bezahlen mit einem neuen Abzug weniger Steuern, wenn sie ihre Kinder selbst betreuen. Mit anderen Worten: Die angeblich für die Gleichstellung der Familien eintretende SVP-Initiative vertieft in Tat und Wahrheit die Einkommenskluft zwischen wohlhabenden und anderen Familien mit Kindern noch mehr.
Ausserdem besteht immer noch Druck zur Senkung der Steuern für Unternehmen im Rahmen der Unternehmenssteuerreform III, welche die Abschaffung diskriminierender kantonaler Steuerregimes im Rahmen der bilateralen Verhandlungen mit der EU vorsieht. Wird diese Reform nicht abgefedert, bedeutet sie für die Kantone zusätzliche Einbussen von einigen Milliarden Franken. Diesen Aspekt muss man bei der Abstimmung vom 24. November bedenken. Das ist ein weiterer Grund, die SVP-Initiative klar abzulehnen.