Die „Alternative“ zur BVG-Reform ist keine Option
In Teilen der Medienwelt und in der Botschaft des Bundesrats wird kommuniziert, dass es zum Sozialpartnerkompromiss ein breit abgestütztes Alternativmodell gebe. Auch wenn das Modell vermutlich kaum eine breite Unterstützung hat, kann ein Blick darauf nicht schaden. Rentensenkungen und höhere Kosten gegenüber dem Sozialpartnerkompromiss wären die Folgen für Arbeitnehmende mit mittleren und tiefen Löhnen. Günstig ist das Modell vor allem, weil die effektiven Kosten nicht transparent ausgewiesen werden. Aus Sicht der Arbeitnehmenden ist das Modell im Gegenteil teurer und die Leistungen schlechter. Das ist für Travail.Suisse keine Option.
Die NZZ berichtete am Samstag 30. Januar darüber, dass eine Allianz von Verbänden – darunter die Arbeitgeberverbände der Banken, dem Detailhandel und dem Bau – einen Gegenvorschlag für eine BVG-Reform entwickelt habe. Ziel davon ist es, dem Sozialpartnerkompromiss den Wind aus den Segeln zu nehmen. Was würde dieser Vorschlag für die Arbeitnehmenden konkret bedeuten? Hier ein paar entscheidende Aspekte.
Renten sichern? – Renten senken!
Das Alternativmodell führt je nach Alters- und Einkommensgruppe zu substantiellen Rentensenkungen. Diese können beziffert werden. Für Versicherte der Übergangsgeneration im Alter von 54 Jahren betragen die Rentenverluste bei einem Einkommen von 85‘000 CHF 13%. Für eine Person im gleichen Alter mit 60‘000 CHF Einkommen immerhin noch 12%. Diese werden je nach Lösung für die Übergangsgeneration - kompensiert. Allerdings nur für 10 Jahrgänge. Eine versicherte Person, welche bei Einführung der Reform 54 Jahre alt ist, wird davon nicht mehr profitieren können. Die Senkung des Umwandlungssatzes schlägt sich bei ihr in deutlichen Rentenkürzungen nieder. Die Rentenkürzungen betreffen aber auch deutlich jüngere Personen. Versicherte, welche bei Einführung der Reform 45 Jahre alt sind und ein Einkommen von 85‘000 CHF aufweisen, müssen mit dem Alternativmodell mit Rentenkürzungen von 10% rechnen. Dies trotz deutlich höheren Kosten.
Tiefe Kosten – Fehlanzeige
Die Idee, dass das Alternativmodell mit tieferen Kosten für Arbeitnehmende mit tiefen und mittleren Löhnen verbunden ist, ist leider falsch. Der Koordinationsabzug wird zwar für die meisten Versicherten etwas weniger gesenkt. Das führt zu weniger Ersparnissen gegenüber dem Sozialpartnerkompromiss und somit auch zu tieferen Kosten. Gleichzeitig steigen aber in fast allen Altersgruppen die Altersgutschriften. Eine leichte Senkung ist einzig bei den 55-jährigen und älteren Versicherten vorgesehen. Allen anderen werden teilweise deutlich höhere Kosten aufgebürdet als dies im Sozialpartnerkompromiss der Fall ist. Dies gilt insbesondere für junge Berufseinsteiger und ältere Arbeitnehmende. Junge Berufseinsteiger werden im Alternativmodell pro Monat bis 240 Franken mehr bezahlen als im Kompromiss. Die Arbeitgeber legen den gleichen Betrag noch oben drauf. Ältere Arbeitnehmende ab 55 Jahren bezahlen mit dem Alternativmodell bis 440 Franken mehr an die berufliche Vorsorge als im Sozialpartnerkompromiss. Das Alternativmodell günstig? Fehlanzeige für Versicherte mit normalen Einkommen.
Keine Kostentransparenz – dafür unbekannte Mehrbelastungen
Wie ist es möglich, dass das Alternativmodell so viel günstiger ist, als der Sozialpartnerkompromiss, obwohl für alle die Kosten steigen? Im Grundsatz ist es ganz einfach, die Kosten werden komplett anders verteilt. Erstens gibt es im Alternativmodell keine solidarische Finanzierung zwischen den Versicherten und zweitens gibt es keine solidarische Komponente zwischen den Branchen. Erst diese beiden Umverteilungen ermöglichen aber eine Reform, welche für alle Versicherten und alle Branchen tragbar ist:
Die erste solidarische Finanzierung führt dazu, dass Versicherte mit einem hohen Lohn deutlich mehr an die Reform bezahlen. Es handelt sich dabei um den solidarisch finanzierten Rentenzuschlag. Für Versicherte mit tiefen und mittleren Einkommen heisst dies konkret: sie bezahlen pro Jahr 100-200 Franken in einen Topf für den Rentenzuschlag ein, erhalten aber aus diesem Topf 1000 bis 2400 Franken Rente. Den gleichen Betrag bezahlt der Arbeitgeber ein. Für eine Person mit einem Einkommen von 850‘000 Franken sieht die Rechnung natürlich gerade umgekehrt aus. Sie bezahlt in den Topf für den Rentenzuschlag 2‘215 Franken ein. Den gleichen Betrag bezahlt der Arbeitgeber ein. Aus dem Topf erhält dieser Versicherte ebenfalls 1000 bis 2400 Franken Rente. Dies führt dazu, dass Versicherte mit tiefen und mittleren Löhnen tiefere Kosten haben für die Sicherung oder Verbesserung ihrer Renten. Dadurch wird eine BVG-Reform tatsächlich erst für alle Versicherten finanziell tragbar.
Die zweite solidarische Finanzierung bezieht sich auf die Branchen. Die Pensionskassen mit grossen überobligatorischen Teilen, beispielsweise diejenige der Banken, konnten in den vergangenen Jahren Reserven bilden. Dies beispielsweise indem sie ihre Gewinne, welche sie an den Finanzmärkten erwirtschaftet haben, nicht vollständig an die Versicherten weitergeben haben. Dadurch haben sie entsprechende Möglichkeiten um die Renten der älteren Versicherten auch bei einer Senkung des Umwandlungssatzes zu garantieren. Sie brauchen also keinen gemeinsamen Topf für die Kompensation der Übergangsgeneration. Sie wünschen sich folglich eine dezentrale Kompensation. Natürlich hat diese dezentrale Kompensation auch eine Kostenfolge. Diese Kosten werden aber von den Vertretern des Alternativmodells nirgends aufgeführt. Etwas anders ist die Situation in gewerblichen und industriellen Branchen. Hier sind die überobligatorischen Versicherungsanteile deutlich geringer oder existieren überhaupt nicht. Dementsprechend konnten die Pensionskassen dieser Betriebe kaum Reserven bilden. Sie haben deshalb kaum die Möglichkeit die Renten der Übergangsgeneration aus eigener Kraft zu sichern. Sie wünschen sich folglich einen zentralen Topf, der von allen Pensionskassen gespiesen wird. Dieser zentrale Topf aber führt zu einer Umverteilung von den Branchen mit hohen Löhnen – beispielsweise den Banken – zu eher gewerblich-industriellen Branchen mit tieferen Löhnen.
Was passiert nun, wenn sich eine dezentrale Kompensation durchsetzen sollte, wie dies im Alternativmodell vorgesehen ist? Auf der einen Seite würden Pensionskassen mit einem grossen überobligatorischen Teil ihre Übergangsgeneration eigenständig kompensieren. Was aber wäre in Branchen mit tiefen und mittleren Löhnen, welche keine oder kaum überobligatorische Teile aufweisen? Die Kompensation der Übergangsgeneration müsste natürlich ebenfalls erfolgen. Nur woher die Mittel nehmen, wenn keine Reserven gebildet werden konnten. Genau, es bräuchte zusätzliche Beiträge der Arbeitnehmenden und unter Umständen auch der Arbeitgeber. Diese würden aber deutlich höher ausfallen, weil nun nicht alle Pensionskassen in einen Topf einbezahlen, sondern nur diejenigen, welche am meisten darauf angewiesen sind. Eine dezentrale Kompensation hat somit deutliche höhere Kostenfolgen für Versicherte aus Branchen mit tiefen und mittleren Löhnen. Diese Kosten werden aber von den Vertretern des Alternativmodells nicht einmal erwähnt. Eine Intransparenz die zu vielen Arbeitnehmenden teuer zu stehen kommen wird.
Ohne Umverteilung ist eine BVG-Reform wirtschaftlich nicht tragbar und politisch nicht mehrheitsfähig
Es stimmt, dass der Sozialpartnerkompromiss zu Umverteilung von den hohen zu den tiefen Löhnen und von den reichen zu den weniger reichen Pensionskassen und damit Branchen führt. Ohne diese Umverteilung, ohne diese solidarische Finanzierung ist eine BVG-Reform aber schlichtweg nicht tragbar. Nicht für die Coiffeuse, die Fachfrau Gesundheit, den Pöstler, den Elektriker und nicht für den Gewerbler. Die Frage ist somit nicht ob wir Umverteilung wollen, sondern ob wir eine BVG-Reform wollen die für alle tragbar ist oder nicht. Es gibt deshalb kein Alternativmodell, das diesen Namen verdienen würde. Der Sozialpartnerkompromiss ist die Alternative zu keiner Reform.