Die Nationalbank schafft in der beruflichen Vorsorge Illusionen
Es ist unbestritten: Die berufliche Vorsorge befindet sich in einer anspruchsvollen Situation. Das Negativzinsumfeld führt dazu, dass es schwieriger wird, Renditen aus dem Alterskapital zu erwirtschaften. Das ist aber nicht das einzige Problem. Die berufliche Vorsorge leidet nämlich an einer Illusion: Steigende Kurse an den Aktienmärkten führen zwar zu akzeptablen Deckungsgraden. Die allgemeine Preissteigerung auf den Vermögensmärkten - ausgelöst durch die expansive Politik der Zentralbanken - finanziert aber keine Renten. Sie schafft vor allem Illusionen.
Die Finanz- und die Eurokrise haben die Welt der Zinsen in der Schweiz langfristig verändert. Bis im Jahr 2015 versuchte die Schweizerische Nationalbank (SNB) die Frankenaufwertung noch mit einem Mindestkurs zu bremsen. Anschliessend ersetzten ein negativer Leitzins und massive Devisenmarktinterventionen dieses Instrument.
Geldpolitik und berufliche Vorsorge
Dies hatte zwei Effekte, welche die Altersvorsorge direkt betreffen:
1. Negative Anleiherenditen
Die Einführung von Negativzinsen durch die Nationalbank führte zu einem allgemein tieferen Zinsniveau in der Schweiz. Unter anderem die Zinsen auf Bundesobligationen fielen dadurch in den negativen Bereich. Seit Anfang 2015 erhält der Bund auf seinen neu herausgegebenen 10-jährigen Anleihen entsprechend von seinen Gläubigern eine Zahlung. Damit änderte sich die Welt der Altersvorsorge – insbesondere der beruflichen Vorsorge – fundamental. Die Altersvorsorge musste nun der öffentlichen Hand helfen, die Defizite zu finanzieren, während in den Jahren zuvor die öffentliche Hand die Altersvorsorge finanzierte. Noch im Jahr 2008 lagen die Zinsen auf denselben Anleihen bei +3%. Ausreichende Kapitalrenditen für Vorsorgeeinrichtungen und den AHV-Fonds konnten dadurch relativ einfach erwirtschaftet werden. Dies ist heute und bis auf weiteres nicht mehr der Fall.
2. Steigende Vermögenspreise
Die zweite Folge der Negativzinspolitik waren steigende Vermögenspreise. Unter anderem die tiefen Renditen auf Bundesanleihen führten dazu, dass die Aktien- und Immobilienpreise deutlich anstiegen. Die höhere Nachfrage nach Aktien- und Immobilien wurde jedoch stark durch einen zweiten Faktor getrieben. Die SNB muss – um die Aufwertung des Schweizer Frankens zu dämpfen - massiv am Devisenmarkt intervenieren. Dies macht sie, indem sie mit einer elektronischen Buchung neue Schweizer Franken schafft und damit ausländische Wertpapiere (u.a. Anleihen, Aktien) kauft. Ihre Devisenanlagen betrugen Ende August 2020 über 1 Billion Schweizer Franken. Zwar kauft die SNB in erster Linie ausländische Anleihen und Aktien, da sie den Schweizer Franken schwächen will. Die dadurch geschaffene höhere Nachfrage nach Vermögenswerten hat aber wiederum Rückwirkungen auf den Schweizer Markt. So können beispielsweise chinesische Investoren ihre US-amerikanischen Anleihen an die Nationalbank verkaufen und mit dem Erlös Aktien eines Schweizer Pharmaunternehmens kaufen. Das höhere Preisniveau, das die SNB im Ausland schafft, überträgt sich somit auch auf den Schweizer Markt.
Vermögenspreisinflation und Rentenfinanzierung
Das Problem dieses zweiten Effekts – des steigenden Preisniveaus auf den Vermögensmärkten – ist für die Vorsorgeeinrichtungen tückisch. Die Vermögenswerte gewinnen dank der Politik der Zentralbanken an Wert. Die Preise steigen dadurch unabhängig von der Summe der Erträge aus einer Finanzinvestition. Deshalb ist es richtig, auf den Vermögensmärkten von einer Inflation zu sprechen. Mit einem allgemein höheren Preisniveau auf den Vermögensmärkten lassen sich aber im Gesamtsystem keine Renten finanzieren. Dafür braucht es Finanzflüsse. Diese können aus Dividenden, Zinsen oder Mieterträgen stammen, nicht aber aus allgemeinen Kursgewinnen. Tatsächlich können einzelne Vorsorgeeinrichtungen Teile ihrer Vermögenswerte zu guten Preisen verkaufen, um Renten zu finanzieren. Sobald allerdings alle Vorsorgeeinrichtungen Vermögenswerte verkaufen, fallen die Preise zusammen und beim Verkauf schmilzt das Alterskapital dahin. Zum einfacheren Verständnis dieses Problems kann eine realwirtschaftliche Analogie als Bild herbeigezogen werden: Ein Verkauf von Vermögenswerten bei einer Vermögenspreisinflation ist, als würde ein Bauer bei einer hohen Inflation Freudensprünge machen, weil er sein Gemüse zu deutlich höheren Preisen verkaufen kann. Ein Vorteil davon hat er allerdings nur, wenn er keine anderen Güter kaufen muss, welche ebenfalls von der hohen Inflation betroffen sind. Das ist in der Regel weder beim Bauer noch bei einer Vorsorgeeinrichtung der Fall.
Die Geister loswerden
Wie können wir die Geister, die die Nationalbank rief, bei der beruflichen Vorsorge wieder loswerden? Grundsätzlich gibt es verschiedene Ansätze, um dem Problem zu begegnen. Beispielsweise kann die Abhängigkeit vom Kapitaldeckungsverfahren reduziert und das Umlageverfahren gestärkt werden. Im Rahmen der BVG-Reform sollen beispielsweise die Finanzierung der Übergangsgeneration und die Verbesserung tiefer Renten über einen solidarisch finanzierten Rentenzuschlag erfolgen. Dies ist ein Schritt in die richtige Richtung. Travail.Suisse schlägt zudem vor, eine Steuer auf ausländische Frankenkäufe einzuführen. Dadurch können die Devisenmarktinterventionen der Nationalbank unterbunden werden. Die permanente Steigerung der Vermögenspreise wird dadurch gedämpft und der Nebel um die tatsächlichen Finanzerträge der Vorsorgeeinrichtungen gelichtet. Die Besteuerung ausländischer Frankenkäufe reduziert die Nachfrage nach Schweizer Franken und eröffnet der Nationalbank Spielräume, um die Negativzinsen aufzuheben. Dadurch wird Druck von der beruflichen Vorsorge genommen. Gleichzeitig kann der Frankenstärke mit einem gezielten und wirkungsvollen Instrument entgegengewirkt werden. Keine Option ist es hingegen, diese Illusionen in der beruflichen Vorsorge einfach zu ignorieren.