Deshalb ist ein „Nein“ zur AHV-Reform wichtig und richtig
Die AHV-Reform (AHV21) ist unter Dach und Fach. Aus Sicht von Travail.Suisse, dem unabhängigen Dachverband der Arbeitnehmenden, ist jedoch klar, dass diese Reform bekämpft werden muss. Abgesehen davon, dass vor allem die Frauen für diese Reform bezahlen, fehlt es der Vorlage an einer langfristigen Perspektive. Bereits in wenigen Jahren wird die AHV erneut vor einem Finanzierungsengpass stehen. Auch ist der Weg, der heute mit der Erhöhung des Rentenalters für Frauen eingeschlagen wird, der Falsche. Weitere Erhöhungen des Rentenalters für alle werden folgen. Deshalb sagt Travail.Suisse ganz klar Nein zu dieser Reform, Nein zur AHV21. So nicht!
In der Wintersession 2021 hat das Parlament die AHV-Reform verabschiedet. Damit soll der Finanzierungsengpass in der ersten Säule behoben werden. Im Kern besteht die Reform aus der Angleichung des Rentenalters für Frauen und Männer, sowie in der Erhöhung der Mehrwertsteuer um 0.4 Prozentpunkte. Durch die Erhöhung des Frauenrentenalters auf 65 Jahre sollen in den nächsten zehn Jahren rund 10 Milliarden Franken eingespart werden. Die Erhöhung der Mehrwertsteuer wird jährlich etwa 1.4 Milliarden Franken für die AHV generieren. Travail.Suisse sieht in dieser Reform eine einseitige Vorlage: Ein substanzieller Anteil der Kosten dieses Reformpakets soll allein von den Frauen getragen werden.
Einseitige Reform auf Kosten der Frauen
Das Parlament vernachlässigte bei der Debatte um die Erhöhung des Frauenrentenalters, dass die Frauen bereits heute im Alter massiv benachteiligt sind, sie erhalten deutlich weniger Rente als die Männer. Gemäss aktuellster Neurentenstatistik ist die Medianrente für Frauen gar nur halb so hoch wie bei den Männern (1167 CHF pro Monat für Frauen; 2081 Franken pro Monat für Männer). Diese Benachteiligung geht einerseits auf die unterschiedlichen Erwerbsbiografien zurück, andererseits auf die unterschiedlichen Löhne. Im Schnitt verdienen Frauen nach wie vor weniger als Männer. Ein Teil davon lässt sich durch die unterschiedlichen Werdegänge erklären. Ein Teil bleibt aber unerklärt: 8 Prozent der Lohnunterschiede zwischen Frauen und Männern lassen sich nicht anhand der Ausbildung oder der beruflichen Karriere erklären, sie sind einzig und allein auf das Geschlecht zurückzuführen. Auch wenn sich die deutlich tieferen Frauenrenten hauptsächlich in der zweiten Säule widerspiegeln (bei der AHV ist die unterschiedliche Höhe der Renten sehr gering), so zeigen sich auch in der ersten Säule deutliche Folgen der Lohndiskriminierung: Travail.Suisse hat berechnet, dass der AHV allein aufgrund dieser Lohndiskriminierung jährlich 825 Millionen Franken flöten gehen. Anstatt nun aber dort anzusetzen und griffige Massnahmen gegen die Lohndiskriminierung zu implementieren, möchte sich das Parlament alleinig auf Kosten der Frauen ein paar wenige Jahre Zeit erkaufen.
Vielmehr noch: Wenn man die Aufhebung der Lohndiskriminierung mit den Ausgaben, welche das Parlament für die Ausgleichszahlungen vorgesehen hat, zusammenzählt, so ergibt sich gar eine negative Bilanz für die Erhöhung des Frauenrentenalters.
Als Ausgleich für die Erhöhung des Rentenalters hat sich das Parlament einige pseudosoziale Massnahmen für die Übergangsgeneration ausgedacht. Bis zu 160 Franken Rentenzuschläge wurden den Frauen der ersten neun Jahrgänge nach der Einführung der Reform versprochen. Der Teufel liegt auch hier im Detail: Die Rentenzuschläge erreichen nur im Ausnahmefall effektiv 160 Franken. Lediglich zwei Jahrgänge und Frauen mit einem durchschnittlichen Jahreseinkommen von weniger als 57'360 Franken werden von den Rentenzuschlägen in voller Höhe profitieren können (vgl. Grafik 3). Denn das sogenannte Trapezmodell des Parlaments sieht eine progressive und degressive Zu- und Abnahme der Rentenzuschläge vor. Das Parlament verkauft hier eine Massnahme als sozial und grosszügig; auf den zweiten Blick blättert dieser soziale Anstrich aber rasch wieder ab. Kosten werden diese Ausgleichsmassnahmen dennoch über die gesamten neun Jahre der Übergangsperiode 3.25 Milliarden Franken.
Mangelnder Wille, weitere Optionen zu prüfen
Das zweite Hauptargument gegen die Reform betrifft die alternativen Finanzierungsformen für die AHV, welche das Parlament bewusst ignoriert hat. Mit der aktuellen Vorlage ist bereits heute klar, dass 2026 der nächste Finanzierungsengpass anstehen wird. Travail.Suisse hat während der Debatten mehrfach auf weitere Finanzierungsmöglichkeiten hingewiesen, um die erste Säule längerfristig zu entlasten. Eine weitere Finanzierungsquelle sind beispielsweise die Erträge aus den Negativzinsen der Schweizerischen Nationalbank. Diese hätten rund 14 Milliarden Franken in die AHV-Kassen gespült. Das Parlament weigerte sich jedoch, solche alternativen Finanzierungsformen zu prüfen. Vielmehr entschied es sich für die ‹billigste› Variante: die Erhöhung des Rentenalters für Frauen. Bereits heute ist klar: Wenn das Stimmvolk dieser Erhöhung des Rentenalters zustimmt, so ist der Weg für ein weiteres Hochschrauben des Rentenalters geebnet. Das Parlament wird sich auch künftig nicht verantwortlich fühlen, andere Optionen zur Finanzierung der Altersvorsorge zu prüfen.
Schlechter Deal für alle
Die AHV-Reform betrifft nicht nur die Frauen: Auch Männer sind davon betroffen. Denn ursprünglich hatte der Bundesrat gefordert, dass der Rentenvorbezug für Frauen und Männer in Zukunft ab 62 Jahren möglich sein soll, aktuell steht diese Möglichkeit nur Frauen offen. Bei der letzten Reformvorlage, der AHV2020, war dies ein unbestrittener Bestandteil des Gesamtpakets. Die AHV21-Reform zielt nun aber in eine andere Richtung: Sowohl Frauen als auch Männer sollen die Rente erst ab 63 Jahren beziehen können (ausgenommen ist die Übergangsgeneration). Diese Anpassung führt zu einer negativen Gleichberechtigung: Den Frauen wird diese Möglichkeit genommen und den Männern nicht gegeben.
Jetzt Referendum unterschreiben
Travail.Suisse und seine Verbände haben gemeinsam mit einer breiten Allianz das Referendum gegen diese missglückte Reform ergriffen. Travail.Suisse engagiert sich als Sozialpartner aktiv dafür, dass die Renten gesichert bleiben, dass Frauen und Männer im Alter keine Armut zu befürchten haben und dass eine Reform in der Altersvorsorge sozial, fair und nachhaltig ist. Die AHV21 erfüllt diese Kriterien nicht. Die AHV-Reform ist kurzsichtig und aus einer sozialen Perspektive nicht vertretbar.