Für eine sichere und gesunde Altersvorsorge
Die berufliche Vorsorge und die AHV brauchen Reformen. Wichtig sind insbesondere ausreichend hohe und stabile Renten, gute Möglichkeiten für einen flexiblen Bezug, sowie eine nachhaltige Finanzierung der bestehenden Leistungen. Die bisherigen Entscheidungen zu den beiden Reformen im Parlament erreichen allerdings genau das Gegenteil: sinkende Renten, eine Einschränkung des flexiblen Bezugs und eine unzureichende Finanzierung der bestehenden Leistungen. Als Sahnehäubchen wurden zudem noch die steuerlichen Abzugsmöglichkeiten erweitert. Kurz: das Parlament hat der Altersvorsorge mit den bisherigen Entscheidungen vor allem geschadet. Der Versuch einer Auslegeordnung.
Parlament will höheres Rentenalter für Frauen statt Lohngleichheit und gute Renten
Die Anhebung des Rentenalters für Frauen und die Einschränkung des flexiblen Rentenbezugs ab 62 Jahren als gleichstellungspolitische Massnahme zu bezeichnen, ist zynisch. Allein die wirksame Bekämpfung der Lohndiskriminierung zwischen Mann und Frau würde der AHV zusätzliche Einnahmen von 825 Millionen Franken bescheren. Zusammen mit der vorgesehenen Kompensation für einige Frauenjahrgänge im Umfang von mindestens 560 Millionen Schweizer Franken wäre die Sparwirkung der Rentenaltererhöhung von 1.2 Milliarden damit mehr als erbracht. Eine Rentenaltererhöhung für die Frauen, ohne wirksame Bekämpfung der Lohndiskriminierung, ist deshalb nicht nur unnötig, sondern auch ungerecht.
Doch damit nicht genug. Nicht nur die Löhne der Frauen fallen tiefer aus, sondern auch ihre Renten in der beruflichen Vorsorge. Das Bundesamt für Statistik zeigt in seiner Neurentenstatistik, dass die Frauenrenten in der beruflichen Vorsorge um 50 Prozent unter denjenigen der Männer liegen. Ursache dafür sind nicht einfach die geringeren Beschäftigungsgrade der Frauen, die tieferen Löhne und die Tatsache, dass Erziehungs- und Betreuungsgutschriften in der 2. Säule nicht berücksichtigt werden. Ursache dafür ist ein eigentlicher Konstruktionsfehler: In der beruflichen Vorsorge können sich Teilzeitangestellte, insbesondere Frauen, und Arbeitnehmende mit tiefen Einkommen nämlich allgemein schlecht versichern. Die am BVG-Kompromiss beteiligten Sozialpartner haben deshalb mit dem solidarisch finanzierten Rentenzuschlag einen Mechanismus etabliert, welcher die Renten der Frauen rasch verbessern würde. Dies gerade deshalb, weil die Rentenlücken bei Frauen ab 50 am grössten sind. Nach dem letzten Entscheid der nationalrätlichen Kommission wurden diese Ansätze allerdings vorerst beerdigt. Die Unterschiede bei den Frauenrenten sollen nur leicht und sehr langsam reduziert werden und dies zu teilweise happigen Kosten.
Keine wirksamen Schritte gegen Lohndiskriminierung, kaum Schritte gegen die Ungleichheit bei den Renten der beruflichen Vorsorge, aber ein gleiches Rentenalter? Diese Gleichung kann nicht aufgehen.
Stabile Renten – mit dem Kommissionsvorschlag zum BVG nicht zu haben
Stabile Renten konnte die berufliche Vorsorge in den vergangenen Jahren kaum bieten, oder wenn, dann nur zu deutlich höheren Kosten und auf Pump. Die Entwicklung der Mindestumwandlungssätze, welche das Alterskapital in eine Jahresrente umwandeln, spricht eine deutliche Sprache: der durchschnittliche Mindestumwandlungssatz ist seit 2012 von 6.6% auf 5.63% gesunken. Dieser Trend dürfte weiter anhalten. Die Folge ist klar: entweder sinken die Renten oder es braucht für die gleiche Rente mehr Kapital. Ein Ziel der Sozialpartner bei der Verhandlung zum Sozialpartnerkompromiss war deshalb klar: stabile und nachhaltig finanzierte Renten in der zweiten Säule. Die nationalrätliche Kommission hat nun in ihrer zweiten Lesung den vom Bundesrat übernommenen Kompromiss zurückgewiesen. Dies mit harschen Konsequenzen für die Versicherten:
- Die Übergangsgeneration von Rentnerinnen und Rentner, welche für den tieferen Umwandlungssatz kompensiert werden soll, wird auf 15 Jahre beschränkt. Dies führt vor allem bei mittleren Einkommen ab dem 16. Jahrgang zu massiven Rentenverlusten. Ein Pöstler oder eine Pflegerin verlieren dadurch zwischen 1’000 und 1'500 Franken an Rente jährlich.
- Die Rentenverluste sind gleichzeitig verbunden mit höheren Kosten. Es müssen trotz happigen Rentenverlusten zusätzliche Ersparnisse getätigt und Beiträge an die Übergangsgeneration bezahlt werden. Bei einem mittleren Einkommen von 85'000 Franken pro Jahr, belaufen sich die zusätzlichen Kosten auf etwa 700 Franken. Ein entscheidender Grund dafür ist der, dass die Beiträge an die Übergangsgeneration nur auf dem koordinierten Lohn bis 85'000 Franken erhoben werden. Die Sozialpartner hatten Beiträge auf den AHV-Löhnen bis 853'000 Franken vorgesehen. Dadurch hätten hohe Löhne einen deutlichen höheren Beitrag bezahlt und die Kosten für tiefe und mittlere Einkommen begrenzt.
- Die Rentenverluste der vergangenen Jahre oder die deutlich höheren Kosten für die gleichen Leistungen, sollen mit dem Kommissionsmodell nicht berücksichtigt werden. Eine Kompensation erhalten nur Versicherte der ersten 15 Jahrgänge, bei denen die obligatorischen Leistungen nach der Senkung des Mindestumwandlungssatzes sinken. Versicherte, welche in den vergangenen Jahren deutliche Rentenverluste erlitten haben, bei denen dank der überobligatorischen Leistungen aber das gesetzlich festgeschriebene Minimum trotz tieferem Umwandlungssatz gesichert werden kann, erhalten nichts. Sie bezahlen zwar einen Beitrag an die Übergangsgeneration, erhalten aber keine Kompensation für ihre Verluste. Dabei handelt es sich bei den Verlierern nicht per se um wohlhabende Versicherte mit grossen überobligatorischen Leistungen. Betroffen sein können genauso die Verkäuferin, der Pfleger oder der Pöstler. Der Rentenzuschlag aus der Bundesratsvorlage hätte genau dies mitberücksichtigt und eine gewisse Stabilisierung der Renten in der zweiten Säule ermöglicht. Dies scheint aber offenbar nicht das Ziel der Reform zu sein.
- Die steuerlich begünstigten Beiträge an die 3. Säule sollen – quasi als Kirsche auf der Torte – erhöht werden. Damit werden insbesondere Personen mit hohen und sehr hohen Einkommen entlastet. Denn nur gerade 40% der Bevölkerung haben beim Renteneintritt überhaupt eine dritte Säule, bei den Frauen beträgt der Anteil gar nur ein Drittel. Die 3. Säule ist damit nicht nur hinsichtlich der damit verbundenen Kosten ein Luxusprodukt.
Der BVG-Kompromiss der Sozialpartner wurde von der nationalrätlichen Kommission bis zur Unkenntlichkeit verändert und erreicht die gesetzten Ziele nicht. Dafür bezahlen nicht nur die Frauen einen hohen Preis, sondern alle Arbeitnehmenden mit tiefen und mittleren Einkommen.
Eine nachhaltige Finanzierung der bestehenden Leistungen: nicht erwünscht
Das vermutlich wichtigste Kapital der Altersvorsorge ist Vertrauen. Das Wissen darum, dass meine Zahlungen in der Zukunft zu einem bestimmten Zeitpunkt zu einer ausreichend guten Rente führen. Das Parlament ist gerade daran, dieses Vertrauen mit den aufgegleisten Reformen zu unterhöhlen. Bei der beruflichen Vorsorge aus Unvermögen, bei der AHV wohl bewusst. Dies zeigt sich am deutlichsten bei der Zusatz-Finanzierung der AHV. Diese soll ausschliesslich auf der Mehrwertsteuer basieren, was tiefe und mittlere Einkommen überproportional belastet. Mit 0.4%-Punkten liegt die Erhöhung zudem deutlich unter dem Vorschlag des Bundesrates. Travail.Suisse hat schon vor Beginn der Parlamentsdebatte darauf hingewiesen, dass das Tiefzinsumfeld zu Umverteilungen und nicht zu Verlusten führt. Der Zins ist eine Verteilungsvariable. Die Negativzinsen bei der Nationalbank und auf Bundesanleihen führen zu massiven Verlusten in der Altersvorsorge und zu hohen Gewinnen bei der öffentlichen Hand und der Nationalbank. Es wäre deshalb folgerichtig, wenn die massiven Zusatz-Erträge der Nationalbank nicht in erster Linie an die Gewinner – die öffentliche Hand – erfolgen, sondern an die Verlierer, die Altersvorsorge. Dies ist die Chance der derzeitigen Lage. Sie wurde blind verspielt. Nicht aus Unwissenheit, sondern weil eine weitergehende Finanzierung der AHV nicht im Sinne der Parlamentsmehrheit ist. Denn das Ziel ist klar: das Rentenalter soll schrittweise auf 66 und 67 Jahre erhöht werden. Dies gelingt nur über eine Politik der leeren Kassen. Nicht die Schaffung von Vertrauen in die Altersvorsorge ist das Ziel dieser Reform. Viel eher geht es um die strategische Vorbereitung der nächsten. Diese Strategie gilt es zu brechen, und zwar rasch.