OK Boomer? Generationenverträge neu denken
Pandemie, Demographie und Klimawandel sollten uns dazu bewegen, Generationenverträge neu zu denken und zu festigen. Es ist richtig, dass junge Erwachsene dazu Fragen stellen und es ist wichtig, darauf Antworten zu geben. Eine konkrete Antwort dazu ist klar: Die Erbschaftssteuer muss zurück auf den Tisch.
Die 25-jährige neuseeländische Parlamentarierin Chlöe Swarbrick wurde 2019 im Parlament durch Zwischenrufe bei ihrer Rede zum Klimawandel von älteren Herren gestört. Sie reagierte mit dem Ausspruch „OK Boomer“ auf diese Zwischenrufe. Ihre sachbezogene Aussage ist klar: Die vorhergehende Generation ist nicht bereit, die Probleme zu lösen, die sie selber verursacht hat. Ihre kommunikative Aussage ist ebenso deutlich: ich bin nicht bereit mit euch zu verhandeln. Sie zeigt dadurch den Graben, welcher zwischen den Generationen heute teilweise besteht.
Tatsächlich ist eine Überprüfung der Generationenverträge legitim und durch Pandemie, Demographie und Klimawandel notwendig. Mit dem Ziel aber, diese Verträge neu zu schliessen und nicht sie aufzukündigen.
Verträge zwischen den Generationen
Generationenverträge sind ausgesprochene oder unausgesprochene Verträge zwischen jungen und alten Bevölkerungsgruppen, welche die Zeit überdauern. Die AHV ist ein klassisches Beispiel dafür. Als aktiver Arbeitnehmender bezahle ich der heutigen Rentnergeneration die Renten mit dem Versprechen, dass die zukünftige Generation von aktiven Arbeitnehmenden mir ebenfalls meine Rente bezahlt. Zentral an einem Generationenvertrag ist somit das Vertrauen zwischen den Generationen. Es handelt sich dabei aber nicht um einen einfachen Tausch. Vielmehr geht es um ein Geben an jemanden im Vertrauen darum, dass die nächste Generation mir das Gleiche ebenfalls wieder gibt. In diesem Sinne ist es ein meistens ungeschriebenes Gesetz, welches jede Generation zum Wohle einer anderen Generation befolgen soll. Diese Generationenverträge müssen über eine lange Zeit bestehen können, damit das Vertrauen in sie auch gerechtfertigt ist. Pandemie, Klimawandel und der demographische Wandel führen dazu, dass wir diese neu überdenken und festigen sollten.
Pandemie: ein vergessener Generationenvertrag für die Gesundheit der Alten
Junge Erwachsene bezahlen in der Schweiz einen hohen Preis in der Pandemie. Ihre Ausbildungen werden eingeschränkt, ihre beruflichen Aussichten sind teilweise erschwert, ihr Sozialleben ist stark eingeschränkt, Reisen fast unmöglich. Diese Einschränkungen akzeptieren junge Erwachsene weitgehend, im Bewusstsein darum, dass dadurch die ältere Generation geschützt werden kann. Covid-19 kann auch zu schweren gesundheitlichen Schäden bei jüngeren Menschen führen, aber grundsätzlich dienen die ergriffenen Massnahmen dem Schutz der älteren Menschen. Sie weisen bei einer Infektion mit dem Virus eine hohe Sterblichkeit auf. Impfungen werden deshalb richtigerweise auch zuerst bei älteren Menschen und Menschen mit hohen Risiken vorgenommen. Dies aber mit der Konsequenz, dass junge Erwachsene noch länger von den Beschränkungen betroffen sein werden. Der Schutz der älteren Bevölkerung vor einer Pandemie zum Preis von bedeutenden Einschränkungen vor allem für junge Erwachsene entspricht einem weitgehend vergessenen Generationenvertrag. Die jungen Erwachsenen würden aber bei einer Pandemie in 60 oder 70 Jahren ein gleiches Verhalten erwarten. Der Pandemie-Generationenvertrag war uns somit vielleicht nicht bewusst, aber er existiert tatsächlich und wird im Grundsatz auch kaum bestritten.
Klima: ein verpasster Generationenvertrag zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen
Weniger positiv dürfte das Urteil über den Generationenvertrag im Bereich der Umwelt und des Klimas ausfallen. Der Inhalt dieses Vertrags könnte etwa darin bestehen, dass eine Generation die Erde den zukünftigen Generationen jeweils so überlassen soll, wie sie sie selber vorfinden möchte. Eine Art goldene ökologische Regel also. Dass dieser Generationenvertrag zwischen der gegenwärtigen Generationen kaum eingehalten wurde, scheint weitgehend klar zu sein. Zwar wurden bedeutende wirtschaftliche Fortschritte auch zugunsten der jungen Generation erzielt. Dies aber zu einem hohen ökologischen Preis. Ein wesentlicher Teil des Unverständnisses und Konfliktpotenzials zwischen den aktuellen Generationen dürfte in den kommenden Jahren aus der Klimafrage kommen. Mittlere und ältere Generationen müssen ihre Verantwortung und bisherige Nicht-Erfüllung dieses Generationenvertrags anerkennen und die Konsequenzen daraus ziehen. Die junge Generation sollte dabei offen bleiben. Die Verweigerung unter dem Motto „OK Boomer“ kann keine Antwort darauf sein.
AHV: ein expliziter Generationenvertrag im Kreuzfeuer
Neben Pandemie und Klima wird uns auch der demographische Wandel in den kommenden Jahren stark beschäftigen. Der Generationenvertrag in der Altersvorsorge besteht darin, dass aktive Arbeitnehmende älteren Personen ein gutes Leben im Alter ermöglichen. Er umfasst weit mehr als die Finanzierung der AHV, auch wenn diese die wichtigste Institutionalisierung eines Generationenvertrags in der Schweiz darstellt. Die langfristige Finanzierung der AHV ist angesichts des Eintritts der Baby Boomer in das Rentenalter eine bedeutende Herausforderung. Dies umso mehr, als dass der Generationenkonflikt bei der Finanzierung der Altersvorsorge von verschiedenen Seiten geschürt wird, mit dem Ziel, die Leistungen der AHV zu kürzen oder zumindest überteuerte Säule 3a Produkte verkaufen zu können. Es besteht die Gefahr, dass diese Angriffe in den kommenden Jahren durch die Pandemie und durch den Klimawandel Rückenwind erhalten. Die AHV zu schwächen oder ihre Leistungen zu kürzen würde den Generationenvertrag für ein gutes Leben im Alter aber in Frage stellen. Mit weit reichenden Konsequenzen und paradoxerweise negativen Auswirkungen vor allem für grosse Teil der jüngeren Generationen. Sie würden einen hohen Preis für die Schwächung der AHV bezahlen und sich dadurch in erster Linie selber bestrafen.
Generationensolidarität und Erben
Trotzdem besteht die sehr virulente Gefahr, dass durch Pandemie, Klima und Demographie die Generationensolidarität von jungen Erwachsenen als zu schwer und einseitig empfunden wird. Deshalb braucht es Massnahmen, welche die enorm wichtige Generationensolidarität stärkt, nicht alt gegen jung ausspielt und die kommenden Herausforderungen aktiv angeht. Die Frage der Erbschaften zeigt exemplarisch, dass wir Generationenverträge neu denken müssen. Das Volumen der Erbschaften hat seit den 1990er Jahren stetig zugenommen und beträgt heute etwa 15% des Volkseinkommens (Brülhart 2019, S. 5). Jährlich werden gemäss diesen Schätzungen 95 Milliarden Schweizer Franken vererbt, Tendenz steigend. Dabei gehen etwa 5% der Erbschaften an Personen unter vierzig Jahren. Etwa 60% der Erbschaften gehen an Personen über 60 Jahren (Jann und Fluder 2017). Ein grosser Teil des Erbvolumens fliesst dabei an Personen, welche bereits gute Einkommen und hohe Vermögen aufweisen. Der durchschnittliche Steuersatz auf Erbschaften beträgt laut Schätzungen von Brülhart 1.4% und hat damit seit dem Jahr 1990 um 2.7%-Punkte abgenommen. Kurzum: es wird immer mehr vererbt, die Erbschaften fliessen in erster Linie an ältere und wohlhabende Personen und die Besteuerung wurde in den vergangenen Jahren wesentlich verringert.
Eine Erbschaftssteuer als neue Klammer für den Zusammenhalt der Generationen
Angesichts der kommenden Herausforderungen Demographie und Klima und angesichts der Vermögensverteilung zwischen den Generationen ist es deshalb an der Zeit, die Erbschaftssteuer zurück auf das politische Parkett zu bringen. Die Erbschaftssteuer soll konkret mit einem hohen Freibetrag und einer guten Lösung für die Übergabe von kleinen und mittleren Familienunternehmen an die nachfolgende Generation ausgestattet sein. Ihre Erträge sollten entsprechend den genannten Herausforderungen zu einem Drittel an die AHV, zu einem Drittel an die Kantone und zu einem Drittel für die Finanzierung des ökologischen Umbaus fliessen. Dadurch können zwei grosse Herausforderungen besser gemeistert und die Generationensolidarität neu gestärkt werden. Denn es ist Zeit, Generationenverträge nicht nur neu zu denken, sondern auch zu ergänzen. Nicht um eine Ausstiegsklausel, sondern um eine Erbschaftssteuer.