Seit Mitte Mai 2019 hat sich bei der Alterssicherung einiges bewegt: der Bundesrat schlägt eine Überbrückungsrente für ältere Ausgesteuerte vor, die Stimmbevölkerung hat einer AHV-Zusatzfinanzierung zugestimmt, die Sozialpartner präsentierten einen Reform-Vorschlag für die zweite Säule und die Eckpunkte der AHV-Reform 21 liegen auf dem Tisch. Es ist Zeit für eine Übersicht und Einordnung.
Die Alterssicherungssysteme sind schwer reformierbar. Nach der Ablehnung der AHV-Reform 2020 im September 2017 hat sich das erneut auch für die Schweiz bestätigt. Nun liegen neue Vorschläge auf dem Tisch, die eine Anpassung der Alterssicherung an aktuelle Entwicklungen ermöglichen. Dabei sollen die erste und die zweite Säule der Altersvorsorge getrennt reformiert werden.
Sozialpartnerkompromiss sichert das Rentenniveau in der 2. Säule
Die längere Lebenszeit und tiefe Langfristzinsen führen dazu, dass der Mindestumwandlungssatz mit 6.8% zu hoch ist. Eine Senkung des Mindestumwandlungssatzes führt aber dazu, dass die Renten im BVG-Obligatorium sinken. Der Bundesrat hat die Sozialpartner deshalb beauftragt, eine Reform der 2. Säule zu erarbeiten, die einen tieferen Umwandlungssatz ermöglicht, ohne das Rentenniveau zu senken. Der Auftrag wurde über vier Elemente erfüllt:
1. Der Mindestumwandlungssatz wird auf einmal auf 6% gesenkt.
2. Die Altersgutschriften werden für Personen zwischen 25 bis 34 Jahren von 7 auf 9% erhöht und für ältere Arbeitnehmende von 18% auf 14% gesenkt. Es werden nur noch zwei Sätze angewendet (9% für 25-44jährige, 14% für 45jährige bis zum Referenzalter). Diese Massnahme führt zu stärkeren Sparanstrengungen bei jüngeren und einer Entlastung bei älteren Erwerbstätigen.
3. Der Koordinationsabzug wird halbiert auf 12‘443 CHF. Damit kann auf einem grösseren Teil des Einkommens gespart werden. Insbesondere ältere Arbeitnehmende haben aber nicht mehr ausreichend Zeit, um genug Altersguthaben anzusparen. Sie können ihr vorgesehenes Rentenniveau nicht sichern. Deshalb braucht es hier ein weiteres Element in der Reform.
4. Der Rentenzuschlag garantiert den ersten 15 Jahrgängen ab Einführung der Reform einen Zuschlag. So kann auch für die Jahrgänge, die nicht mehr genügend Zeit haben, um das Rentenniveau zu sichern, das heutige Leistungsniveau gesichert werden. Der Zuschlag wird über eine Abgabe auf dem AHV-pflichtigen Lohn von 0.5% finanzier und zur Hälfte von Arbeitgebern und Arbeitnehmenden bezahlt. Beiträge leisten ausschliesslich Personen, die in der 2. Säule versichert sind. Die Höhe dieses Rentenzuschlags wird ab der 16. Generation von Rentenbezügern durch den Bundesrat neu festgelegt.
Mit diesem Reformvorschlag haben die Sozialpartner einen wohl austarierten und schlanken Kompromiss vorgelegt: Die Arbeitnehmerseite willigt einer stufenlosen Senkung des Mindestumwandlungssatzes ein und verzichtet auf weitere Forderungen, wie beispielsweise auf eine komplette Abschaffung des Koordinationsabzugs. Die Arbeitgeberseite hat im Gegenzug den Rentenzuschlag akzeptiert, der eine umverteilende Wirkung von reicheren zu ärmeren Versicherten ermöglicht. Der BVG-Sozialpartnerkompromiss ist ein erster entscheidender Baustein zur Reform der Alterssicherung. Travail.Suisse ist optimistisch, dass Bundesrat und Parlament den Vorschlag in seiner heutigen Form unterstützen. Travail.Suisse erwartet die Vernehmlassung Ende 2019.
AHV 21 – neuer Anlauf mit abgespeckter Vorlage
Der Bundesrat hat im Juli 2019 seinen Vorschlag für die AHV-Reform vorgelegt. Bis Ende August 2019 wird das Eidgenössische Departement des Innern (EDI) dem Parlament Botschaft und Gesetzesentwurf vorlegen. Der Vorschlag des Bundesrates sieht eine Rentenaltererhöhung bei den Frauen auf 65 vor. Frauen aus den Übergangsgenerationen würden dafür einen Ausgleich im Umfang von 700 Millionen Franken erhalten. Damit bewegt sich der Bundesrat am oberen Rand der in der Vernehmlassung vorgeschlagenen Kompensationsbeiträge von 400 beziehungsweise 800 Millionen CHF. Neu soll ausserdem ein flexibler Rentenbezug zwischen 62 und 70 Jahren möglich sein. Mit einer Mehrwertsteuererhöhung um 0.7 Prozentpunkte und der durch die AHV-Steuerreform (STAF) generierten 2.1 Milliarden CHF würde die Finanzierung der AHV bis zum Jahr 2030 gesichert. Doch der Bundesrat bleibt mit der neuen Reform sehr zögerlich: Die tiefen beziehungsweise negativen Renditen auf Schweizer Staatsanleihen führen bei den Vorsorgeeinrichtungen zwar zu tieferen Erträgen auf dem Alterskapital. Gleichzeitig sparen Bund und Kantone dadurch enorme Beiträge ein. Die öffentlichen Schulden konnten auch durch die in den vergangenen Jahren negativen Langfristzinsen deutlich gesenkt werden. Der Renteneintritt der Generation der Baby-Boomer erfordert unbestrittenermassen eine finanzielle Kraftübung. Die finanziellen Möglichkeiten dafür sind aber vorhanden – auch dank den tiefen Zinsen. Der Bundesrat aber bürdet den Frauen mit dem vorliegenden Reformvorschlag einen grossen Teil der finanziellen Sanierung auf, obwohl er bei den Massnahmen zur Lohngleichheit jegliche Schlagkraft vermissen liess und offensichtlich ist, dass den Finanzierungslücken durch Rentenaltererhöhungen nicht beizukommen ist. Das Parlament ist deshalb gefordert, bei der AHV 21 Nachbesserungen zu vollziehen.
Überbrückungsleistungen – eine Forderung von Travail.Suisse wird erfüllt
Zur Verbesserung der Situation älterer Arbeitnehmender schlägt der Bundesrat vor, eine Überbrückungsrente einzuführen. Sie soll Arbeitnehmenden zustehen, die nach dem 60. Altersjahr ausgesteuert werden. Diese Massnahme ist wichtig, auch weil sie anspruchsberechtigten Personen den Gang auf den Sozialdienst erspart und damit zu einer weniger mit Scham behafteten Existenzsicherung führt. Während sozialhilfebeziehende Personen ihre AHV-Rente vorbeziehen müssen – mit entsprechenden Rentenkürzungen – wäre dies bei Personen mit einer Überbrückungsleistung nicht mehr der Fall. Zwar verzichten Sozialdienste in der Regel darauf, von der Sozialhilfe abhängige Personen zu einem vorzeitigen Aufbrauchen ihres Alterskapitals zu zwingen. Ab dem frühzeitigen Bezug der AHV muss allerdings auch das Alterskapital aus der zweiten Säule aufgebraucht werden. Des Weiteren gibt es in der Sozialhilfe keinen Anspruch auf Wohneigentum. Die tiefen Sätze der Sozialhilfe, der Verlust des Alterskapitals verbunden mit der Gefahr, das eigene Haus verkaufen zu müssen, können zu einem starken sozialen Abstieg, gesellschaftlicher Entwurzelung und zu Altersarmut führen.
Die Situation der älteren Arbeitnehmenden muss aus Sicht von Travail.Suisse allerdings weiterhin beobachtet werden. Das Ziel ist klar: Auch ältere Personen sollen ihre Arbeitsmarktfähigkeit erhalten und ihre materielle Existenz selbständig sichern können. Eine Zunahme der Frühverrentung und eine Abnahme der Hemmungen von Arbeitgebern, ältere Erwerbstätige zu entlassen muss in jedem Fall verhindert werden. Travail.Suisse wird im Rahmen des Vernehmlassungsverfahrens entsprechende Vorschläge ausarbeiten.
Es kommt Bewegung in die Reform der Alterssicherung. Insbesondere der Sozialpartnerkompromiss und die Überbrückungsleistungen geben Grund zur Hoffnung. Nun gilt es diese Bausteine zu verankern und zu festigen. Denn alle Reformvorhaben sind erst gestartet. Bis zur Ziellinie ist es noch ein weiter und steiniger Weg. Travail,Suisse wird sich mit aller Kraft dafür einsetzen, dass die Reformen nicht auf dem Buckel der Arbeitnehmenden durchgeführt werden.