Nach hartem Ringen hat das Parlament die Reform der Altersvorsorge verabschiedet. Nun muss die Bevölkerung von der Vorlage überzeugt werden. Bis jetzt wurde heisst diskutiert, welche Reformvariante die beste sei. Nun gilt neu: Entweder diese Reform oder keine. Eine Bewertung der Beschlüsse gegenüber dem Status Quo aus Sicht der Arbeitnehmenden.
Zuletzt ging es im Parlament nur noch darum, ob als Ausgleich zur Senkung des Mindestumwandlungssatzes auch Massnahmen über die AHV getroffen werden sollen. Nachdem nun das Parlament die Vorlage zu Ende beraten hat, ist es wichtig, das grosse Ganze im Auge zu behalten. Den nun gilt: Entweder diese Reform oder keine. Hier erste Antworten auf die Frage, was die Reform den Arbeitnehmenden bringt.
Erstes Ziel erreicht: Die Rentenhöhen können gehalten werden
Travail.Suisse anerkennt, dass der gesetzliche Mindestumwandlungssatz von 6.8 Prozent versicherungstechnisch zu hoch ist und bot deshalb Hand zu einer Senkung des Umwandlungssatzes. Eine Hauptforderung von Travail.Suisse war aber immer, dass die Rentenhöhen gehalten werden müssen. Denn schon heute wird das verfassungsmässige Leistungsziel aus erster und zweiter Säule – 60 Prozent des letzten Lohnes soll als Rente zur Verfügung stehen – nur knapp erreicht. Die Altersreform 2020 gleicht die Umwandlungssatzsenkung mit geeigneten Massnahmen wieder aus. Das Versprechen, das Bundesrat Alain Berset vor der Reform abgegeben hat, wurde gehalten. Letztlich spielt es für die einzelnen Versicherten nicht die Hauptrolle, ob diese Kompensation vollständig über die 2. Säule oder über die AHV erfolgt. Mit der kombinierten Lösung über einen Zuschlag und eine leicht höhere Rente für Ehepaare in der AHV und über Mehrbeiträge sowie einen Zuschuss des Sicherheitsfonds für die Übergangsgeneration im BVG wurde ein pragmatischer Weg gewählt. Angesichts der rekordtiefen Zinsen, die den dritten Beitragszahler bei den Pensionskassen ausfallen lassen, bietet eine Lösung, die die AHV einbezieht, mehr Sicherheit. Und Sicherheit über die Rentenhöhen ist ausschlaggebend dafür, ob die Bevölkerung der Politik vertraut. Dank der solidarischen Finanzierung der AHV sind die beschlossenen Ausgleichsmassnahmen für tiefe und mittlere Einkommen zu einem guten Preis-Leistungsverhältnis zu haben.
Zweites Ziel erreicht: Finanzierung der AHV ist bis 2030 gesichert
Travail.Suisse hat seit langem auf die demografisch bedingte Zusatzbelastung der AHV hingewiesen – die Baby Boomer Generation, die in den kommenden Jahren in Pension geht. Deshalb hat Travail.Suisse ein „Baby-Boomer-Mehrwertsteuer-Prozent für die AHV“ gefordert. Nun will das Parlament die Mehrwertsteuer um 0.6 Prozentpunkte anheben, um die Finanzierung der AHV zu sichern. Das ist weniger als von Travail.Suisse gefordert und bedeutet, dass eine nächste Reform einige Jahre früher wird greifen müssen, als bei einer Zusatzfinanzierung um 1 Mehrwertsteuerprozentpunkt. Aber immerhin bringt die Zusatzfinanzierung so viel, dass das AHV Vermögen im Jahr 2030 immer noch knapp eine Jahresausgabe – gemäss den Projektionen knapp 60 Mrd. Franken – beträgt. Ein Aushungern der AHV wie das viele Vertreter von Arbeitgeber-, FDP- und SVP-Seite gerne hätten, damit sie Druck auf die Rentenhöhen und auf das Rentenalter 66/67 erhöhen können, kann damit vermieden werden. Auch hier ist das Vorgehen pragmatisch: Da 2018 0.3 Mehrwertsteuerprozente als Einnahmen von der auslaufenden Zusatzfinanzierung der Invalidenversicherung übernommen werden können, wird die Erhöhung für breite Kreise der Bevölkerung kaum spürbar sein und sollte deshalb mehrheitsfähig sein.
Verbesserungen für Teilzeitarbeitende und ältere Arbeitslose erreicht, flexibles Rentenalter eingeführt
Travail.Suisse hat auch immer dafür plädiert, dass die Reform Anpassungen an gesellschaftliche Veränderungen aufnimmt. Diesbezüglich konnten drei wichtige Fortschritte erzielt werden: So sind Teilzeitarbeitende mit der Reform besser in ihrer Pensionskasse versichert, da der Koordinationsabzug vor allem für tiefe Einkommen gesenkt wird. Das betrifft insbesondere viele Frauen. Gleichzeitig konnte das flexible Rentenalter eingeführt werden. Damit wird der unterschiedlichen Lebens-, Arbeitsmarkt- und Gesundheitssituation von Arbeitnehmenden besser Rechnung getragen. Zudem ist es neu für ältere arbeitslose Personen ab 58 möglich, sich weiterhin bei ihrer Pensionskasse zu versichern. Dies ermöglicht, dass sie bei der Pensionierung eine Rente beziehen können. Heute werden sie gezwungen, das Kapital zu beziehen und stehen später ohne Rente da.
Der Versicherungsindustrie besser auf die Finger schauen
Zudem engagiert sich Travail.Suisse seit langem gegen missbräuchlich hohe Prämien, welche von Versicherten der Sammelstiftungen der gewinnorientierten Lebensversicherer eingezogen werden. Mit der Reform erhält die Finma den Auftrag, gegen missbräuchliche Risikoprämien vorzugehen. Damit bleibt mehr Geld in der Tasche der versicherten Arbeitnehmenden. Dies auch dank den hartnäckigen Forderungen von Travail.Suisse.
Errungenschaften konnten gesichert werden
Mit der Reform ist es gelungen, den Teuerungsausgleich auf den Renten nach dem sogenannten AHV-Mischindex zu verteidigen. Damit ist insbesondere für die bisherigen Rentner/innen gewährleistet, dass ihre laufenden Renten an die Lohn- und Preisentwicklung angepasst wird. Nach der Bundesrat wollte im Falle von Finanzierungsengpässen die Renten automatisch einfrieren. Auch Rentenalter 67 ist mit der beschlossenen Reform vorläufig vom Tisch. Der vom Nationalrat vorgeschlagene Interventionsmechanismus, welcher Rentenalter 67 vorsah, wurde abgelehnt.
Konzession beim Frauenrentenalter gegen anderweitige Verbesserungen
Um die Bevölkerung für die Reform zu gewinnen, muss verhindert werden, dass verschiedene Gruppen gegeneinander ausgespielt werden. Heute wird von den Gegnern vor allem das höhere Frauenrentenalter betont. Auch für Travail.Suisse ist dies eine Konzession, welch nicht gern gemacht wurde. Travail.Suisse ist aber der Überzeugung, dass im Rahmen des Gesamtpakets mit dem AHV-Zuschlag und der verbesserten Versicherung von Teilzeitarbeit auch Verbesserungen für Frauen erreicht wurden, die mit einer Ablehnung der Vorlage aufs Spiel gesetzt würden. Dies mit schlechten Chancen, das Frauenrentenalter 64 in einer späteren Einzelabstimmung zu halten.
Auch bisherige Rentner/innen profitieren von der Reform
Es wird vielerorts befürchtet, die bisherigen Rentner/innen würden die Vorlage nicht unterstützen, der der AHV-Zuschlag nur für Neurentner/innen eingeführt wird. Wichtig hierbei wird die Erklärungsarbeit sein. Der AHV-Zuschlag ist eine Kompensation für die Senkung des Mindestumwandlungssatzes. Diese Senkung betrifft jedoch ausschliesslich Neurentner/innen. Deshalb ist es konsequent, dass auch die Kompensation in Form des AHV-Zuschlags nur an die Neurentner/innen geht. Übrigens zahlen die bestehenden Rentner/innen die 70 zusätzlichen AHV-Franken nicht mit, da sie keine Lohnbeiträge mehr leisten.
Will man die Zustimmung der Rentner/innen gewinnen, wird es notwendig sein, weitere handfeste Vorteile der Reform für bisherigen Rentner/innen hervorzustreichen: Mit der beschlossenen Zusatzfinanzierung über die Mehrwertsteuer erhalten sie Gewähr, dass ihre Renten in Zukunft erstens überhaupt weiter ausbezahlt werden können und zweitens weiterhin an die Lohn- und Preisentwicklung angepasst werden können. Denn ohne Zusatzfinanzierung wird der AHV-Mischindex weiter unter Druck kommen.
Klare Verbesserungen gegenüber Status Quo
Eine erste Bewertung der Vorlage aus Sicht der Arbeitnehmenden zeigt, dass die Reform zwar nicht ohne schmerzhafte Massnahmen auskommt, sich aber gesamthaft gesehen klare Verbesserungen gegen über dem Status Quo zeigen. Was wäre ein Szenario bei Ablehnung der Reform? Die Garantie der Rentenhöhen wäre nicht mehr gesichert. Gleichzeitig wäre die AHV unterfinanziert. 2030 wäre das Vermögen der AHV praktisch aufgebraucht (Fondsstand 12 Prozent einer Jahresausgabe!) Der Druck auf weitere Rentenaltererhöhungen und auf den Mischindex wäre absehbar. Anstatt Rentenalter 65 wäre auch bei den Frauen bald Rentenalter 66 oder 67 ein Thema. Und die Verbesserungen bei Teilzeitarbeit und bei den älteren Arbeitslosen würden zunichte gemacht. Das kann nicht im Interesse der Arbeitnehmenden sein.