In den kommenden Jahren gehen grosse Jahrgänge in Rente. Damit die Renten dieser so genannten „Baby-Boomer“ gesichert werden können, braucht es in der AHV als Zusatzfinanzierung ein Baby-Boomer-Prozent als wichtigen Bestandteil einer Mehrwertsteuererhöhung, wie sie der Bundesrat vorschlägt. Weiteren Vorschlägen des Bundesrates punkto AHV-Finanzierung steht Travail.Suisse, der unabhängige Dachverband der Arbeitnehmenden, skeptisch gegenüber. Ein Zurückfahren des Bundesbeitrags sowie ein Interventionsmechanismus, der nebst Zusatzeinnahmen auch Rentenkürzungen vorsieht, sind für Travail.Suisse keine gangbaren Wege.
Die Schweizer Altersvorsorge steht auf einem stabilen Fundament: Die AHV scheint 2013 wieder ein positives Ergebnis erzielt zu haben und kann auf ein Polster von über einer Jahresausgabe zurückgreifen. Auch den Pensionskassen geht es besser: Sie weisen nach zwei guten Jahren wieder einen Deckungsgrad von rund 110 Prozent auf. Zu dramatisieren gibt es also nichts. Trotzdem besteht für die Zukunft ein Handlungsbedarf. In seiner Vernehmlassungsstellungnahme setzt sich Travail.Suisse für eine zukunftsfähige Altersvorsorge ein, welche die Interessen der Arbeitnehmenden gebührend berücksichtigt. Dazu gehört eine solide Finanzierung der AHV.
Baby-Boomer brauchen Zusatzfinanzierung
Bis anhin konnten die Mehrausgaben der AHV durch Produktivitätsfortschritte und nicht zuletzt durch Beiträge der Einwanderer aufgefangen werden. Die künftigen Mehrausgaben können jedoch nicht mehr allein dadurch gedeckt werden. Grund dafür ist, dass nebst der Erhöhung der Lebenserwartung ein zweiter Faktor die Kosten der AHV erhöhen wird: Die Baby-Boomer. 1 In den kommenden zwei Jahrzehnten kommen geburtenstarke Jahrgänge ins Rentenalter. Die Rentnerinnen und Rentner leben also nicht nur länger, sie sind auch zahlreicher. Die AHV ist zukünftig deshalb auf moderate Zusatzeinnahmen angewiesen. Travail.Suisse ist dezidiert der Überzeugung, dass moderate Zusatzbeiträge an die AHV die Lebensqualität der Bevölkerung weniger tangieren als Rentenkürzungen oder Rentenaltererhöhungen.
Es braucht ein Baby-Boomer-Prozent
Zur Finanzierung des Zusatzbedarfs auf Grund der geburtenstarken Jahrgänge soll in der AHV deshalb ein Baby-Boomer Prozent erhoben werden. Es sollte unabhängig vom übrigen finanziellen Bedarf ausgestaltet werden. Anders als beim Bedarf durch die höhere Lebenserwartung ist das Baby-Boomer-Prozent nur befristeter Natur, da es sich grundsätzlich um einen vorübergehenden Effekt handelt. Der richtige Ort dafür ist eine für die Zusatzausgaben wegen der geburtenstarken Jahrgänge reservierte Erhöhung der Mehrwertsteuer. Anders als bei einer Erhöhung der Lohnbeiträge zahlt bei einer Erhöhung der Mehrwertsteuer die ganze Bevölkerung mit, nicht nur die Erwerbstätigen. Damit sind auch die Rentner/innen eingeschlossen, deren Zahl stetig wächst. Eine Mehrwertsteuererhöhung für die AHV ist politisch mehrheitsfähiger als eine Erhöhung der Lohnbeiträge. Dies auch vor dem Hintergrund, dass als Ausgleichsmassnahmen zur Senkung des Mindestumwandlungssatzes wohl unvermeidlich die Lohnbeiträge in der 2. Säule werden angehoben werden müssen. Eine Mehrwertsteuererhöhung – und damit eine Beteiligung der Rentner/innen – für die Baby-Boomer ist aus demografischer Perspektive auch sachlich zu rechtfertigen: Viele künftige Rentner/innen haben als Arbeitnehmende von einem günstigen Verhältnis Aktive-Rentner profitiert. Die Beitragssätze in der AHV sind seit langen Jahren stabil. Selber hatte diese Generation weniger Kinder, so dass die heutige aktive Generation mehr belastet ist. Der finanzielle Zusatzbedarf soll deshalb möglichst breit von allen getragen werden.
Baby-Boomer-Prozent ist gut vermittelbar
Der Bevölkerung muss im Rahmen der Reform der Altersvorsorge 2020 vermittelt werden, dass es eine Zusatzfinanzierung braucht, soll das heutige Rentenniveau erhalten werden können. Mit dem Baby-Boomer-Prozent bei der Mehrwertsteuer kann der Bevölkerung die Notwendigkeit einer Zusatzfinanzierung plastisch vor Augen geführt werden. Die Bevölkerung will wissen, wofür sie mehr AHV-Beiträge zahlt. Auch das sogenannte Demografie-Prozent, das Ende der Neunzigerjahre eingeführt wurde, hat sich bewährt und stösst auf breites Verständnis. Deshalb sollte bei einer Erhöhung das erste Mehrwertsteuer-Prozent für die Baby-Boomer reserviert werden. Der Bundesrat geht in seinem Bericht zur Vernehmlassung von mittelfristig 2 Mehrwertsteuerprozenten aus, die zur Deckung der Finanzierungslücke in der AHV notwendig sein werden. Es ist neben dem Baby-Boomer-Prozent mittelfristig noch mit einer weiteren Erhöhung der Mehrwertsteuer zu rechnen. Diese soll jedoch erst dann erfolgen, wenn es auf Grund der AHV-Finanzen notwendig ist und nicht auf Vorrat.
Spätere Erhöhung vorausschauend regeln
Trotzdem kann bereits heute geregelt werden, unter welchen Bedingungen ein solches weiteres Mehrwertsteuer-Prozent anfällt. Dies kann in einem sogenannten Interventionsmechanismus getan werden. Aber nicht so, wie dies der Bundesrat versteht: Der Bundesrat schlägt einen Interventionsmechanismus vor, der als Gegenstück zu Zusatzeinnahmen die AHV-Renten einfriert, sprich, sie nicht mehr an den Mischindex anpasst. De facto entspricht dies einer Rentenkürzung, notabene auch von laufenden Renten. Automatische Rentenkürzungen sind jedoch politisch chancenlos. Travail.Suisse lehnt einen solchen Interventionsmechanismus dezidiert ab. Ein solcher ist bereits in der letzten IV-Revision gescheitert. Die angestrebte Opfersymmetrie kann auch mit einem einnahmeorientierten Mechanismus erreicht werden. Denn eine Erhöhung der Mehrwertsteuer ist für alle ein Opfer. Es kann vorgesehen werden, dass das zweite Mehrwertsteuerprozent anfällt, wenn der AHV-Fonds unter einen Stand von 70 Prozent einer Jahresausgabe fällt. So ist gewährleistet, dass die Mehrwertsteuer nicht auf Vorrat, sondern nur bei Bedarf erhöht wird.
Zurückfahren des Bundesbeitrags nicht angebracht
Heute beteiligt sich der Bund mit knapp 20 Prozent an den AHV-Ausgaben. Aufgrund der Demografie wird der Bundesbeitrag in den kommenden Jahren tendenziell höher ausfallen. Nach dem Willen des Bundesrates soll neu nur noch die Hälfte des heutigen Bundesbeitrags ausgabengebunden anfallen. Die andere Hälfte soll an die allgemeine Wirtschaftsentwicklung gekoppelt werden. Das hat für die AHV Einnahmenausfälle von einer halben Milliarde Franken zur Folge. Travail.Suisse lehnt eine solche Entflechtung ab. Ein Zurückfahren der weitgehend durch allgemeine Bundesmittel finanzierten Bundesbeteiligung bei gleichzeitiger Erhöhung der Mehrwertsteuer – die insbesondere auch kleine Einkommen belastet – ist der Bevölkerung und den Arbeitnehmenden nicht zu vermitteln. Ein Zurückfahren der Bundesbeteiligung untergräbt die Bereitschaft der Bevölkerung, mehr Mehrwertsteuern für die AHV zu bezahlen. Um den finanziellen Handlungsspielraum über den demografischen Buckel hinweg zu behalten, darf der Bund sich in der AHV nicht aus der Verantwortung stehlen, sondern muss auf weitere Steuersenkungen wie die Unternehmenssteuerreform III verzichten.
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p(footnote). 1 Im weiteren Sinne werden unter „Baby-Boomer“ die Jahrgänge 1942-1973 verstanden. In einem engeren Sinn die Nachkriegsjahrgänge 1946 bis 1964.