Nachdem die Kantone in den letzten Jahren im Steuerwettbewerb ihre Steuern um mehrere Milliarden Franken gesenkt haben, wird das Geld knapp. Da sind Sündenböcke willkommen, auf deren Buckel gespart werden kann. Im Kanton Bern hat der Grossrat die Sozialhilfeleistungen um zehn Prozent gekürzt, weitere Kantone wollen nachziehen. Es scheint in bürgerlichen Kreisen salonfähig geworden zu sein, bei den Bedarfsleistungen zu kürzen. Damit werden wichtige Errungenschaften des Sozialstaats fahrlässig aufs Spiel gesetzt. Wenn die Bedarfsleistungen wieder zu Almosen werden, müssen die Sozialversicherungsleistungen ausgebaut werden.
Der bürgerlich dominierte Grossrat des Kanton Bern hat sich kürzlich zuerst selber die Sessions-Entschädigung massiv erhöht, um kurze Zeit später in der Sozialhilfe zehn Prozent zu kürzen. Die Sozialhilfeleistungen sollen neu von den SKOS-Richtlinien abweichen. Nun wollen bürgerliche Kreise in einer konzertierten Aktion auch in anderen Kantonen eine Kürzung der Sozialhilfe erreichen. Bestrebungen sind z.B. in Zürich oder auch in Luzern im Gang. Die Sozialhilfe beziehenden sollen damit für die Steuersenkungen zahlen, die sich verschiedenste Kantone in den letzten Jahren unter dem Druck des Steuerwettbewerbs geleistet haben. Betroffen sind viele Kinder, Jugendliche, Alleinerziehende und Working-Poor.
2,5 Milliarden Franken Steuereinbussen bei den Kantonen
Ein Bericht des Bundesrates von 2010 zeigt, dass insgesamt für den Zeitraum von 2007 bis 2010 durch Steuersenkungen in verschiedenen Kantonen Steuereinbussen von rund 2.5 Mrd. Schweizer Franken resultierten. 1 Sowohl reiche wie auch „ärmere“ Kantone haben damit Steuersenkungen im Umfang von rund 5 Prozent der Kantons- und Gemeindesteuern umgesetzt. Betroffen waren die Einkommens-, Vermögens-, Gewinn oder Kapitalsteuern. Das finanzpolitische Korsett insbesondere von ressourcenschwachen Kantonen wie Bern wird damit immer enger. Nun sind es erneut die Exponenten der steuersenkenden Parteien, welche die Sozialhilfe kürzen wollen. Um die Verhältnisse einordnen zu können, lohnt sich ein Blick auf die Finanzstatistik der Sozialhilfe. Kantone und Gemeinden zahlten 2011 knapp 2.1 Mrd. Franken an reinen Sozialhilfeleistungen aus. 2 Diese Leistungen liessen sich somit gut aus den entgangenen Steuereinnahmen finanzieren.
Sündenböcke SKOS und Sozialhilfebeziehende
Geht es ums „Eingemachte“, so braucht es häufig einen Sündenbock. Da kommt die Polemik über arbeitsscheue Sozialhilfe beziehende wie im Fall Berikon gerade recht. Neu ist, dass neben den Beziehenden selber auch die SKOS Sündenbock spielen muss. Es wird versucht, den Fachverband zu diskreditieren. Einzelne Gemeinden traten aus. Dabei entscheidet die SKOS nicht, wer wie viel Sozialhilfe beziehen kann, sondern sie gibt fachlich fundierte Empfehlungen und Richtlinien heraus. Diese sind ein unverzichtbares Hilfsmittel für Kantone und Gemeinden. Aus ideologischen Gründen wird nun die Missbrauchskeule kräftig geschwungen. Missbräuche kommen vor und müssen geahndet werden. Wäre das echte und ehrliche Anliegen der Hetzer jedoch, Missbräuche besser zu vermeiden, müssten gezielt einzelne Regelungen verbessert werden. Dies kann im Rahmen der SKOS erfolgen. Sie erarbeitet ihre Empfehlungen immer auch im Austausch mit den Kantonen und Gemeinden. Oder man hätte in der Erarbeitung eines Bundesrahmengesetzes zur Sozialhilfe Verbesserungen anbringen können. Das politische Ziel ist jedoch ein anders: Aus der Diffamierung einzelner Personengruppen und der SKOS soll politisches Kapital geschlagen werden. Und inhaltlich sollen Kürzungen der Bedarfsleistungen in breiten bürgerlichen Kreisen salonfähig gemacht werden. Anstatt Verbesserungen anzugehen, wurde das Bundesrahmengesetz vom Parlament einmal mehr auf die lange Bank geschoben.
Polemik gegen Bedarfsleistungen fehl am Platz
Dieselbe polemische Tendenz zeigt sich auch bei der Diskussion über die Ergänzungsleistungen. Heute besteht zur Existenzsicherung neben der IV und der AHV das Recht zum Bezug von Ergänzungsleistungen (EL). Voraussetzung ist, dass der Bedarf ausgewiesen wird. Heute beziehen in der AHV rund zwölf Prozent der Altersrentner/innen auch Ergänzungsleistungen. Die Zahlen sind relativ stabil. Ergänzungsleistungen decken jedoch auch Pflegeleistungen ab. Auf Grund der demografischen Entwicklung und dem steigenden Pflegebedarf steigen diese Leistungen an. Anstatt das Problem konstruktiv anzugehen, wird versucht, eine ähnliche Missbrauchsdynamik wie in der IV oder in der Sozialhilfe zu entfachen. Geschichten von Pensionierten, die auf Kreuzfahrten ihr Geld verjubeln und dann auf Kosten des Staates Ergänzungsleistungen beziehen, werden medial herumgereicht. Sicher gibt es diese Fälle. Und sie müssen mit besseren Regelungen verhindert werden. Aber entscheidend dafür, ob das System EL funktioniert oder nicht, ist anderes. Statt sich darum zu kümmern, wird die Polemik benutzt, um Bedarfsleistungen und deren Bezüger/innen zu diskreditieren.
Soziale Errungenschaften werden fahrlässig aufs Spiel gesetzt
Die Polemik auf dem Buckel anderer ist nicht nur unfair, sondern es werden auch wichtige soziale Errungenschaften aufs Spiel gesetzt. Ein tragfähiges letztes soziales Netz zur Existenzsicherung – sei es im Alter oder vorher – ist entscheidend für den gesellschaftlichen Umgang miteinander und für das soziale Klima. Das haben bei der Entwicklung des Sozialsystems auch bürgerliche Politiker/innen eingesehen. So sind Bedarfsleistungen ursprünglich auch ein bürgerliches Konzept, um Hilfeleistungen zielgerichtet und ohne Giesskanne auszurichten. Das scheint allmählich vergessen zu gehen. Dies ist eine sehr gefährliche Entwicklung. Werden Bedarfsleistungen wieder zu Almosen und schweizerisch zu einem Flickenteppich von willkürlichen Leistungen, wird dies das soziale Klima in der reichen Schweiz spürbar verhärten.
Sozialversicherungsleistungen bringen mehr Sicherheit
Der Angriff auf die Bedarfsleistungen zeigt, wie labil die damit erzeugte soziale Sicherheit ist. Wenn nämlich in Nacht- und Nebelaktionen Bedarfsleistungen im grossen Stil gekürzt werden können, sind sie nicht mehr verlässlich. Und niemand will in der Schweiz Sozialleistungen, auf die man sich nicht verlassen kann. Wer mehr Sicherheit will, wird deshalb für bessere Sozialversicherungsleistungen einstehen. Diese hat man ohne Wenn und Aber zugute. Sie können auch nicht so einfach gekürzt werden. Am Beispiel AHV: Wenn jetzt die Ergänzungsleistungen zur AHV unter Beschuss kommen und gekürzt werden, wird sich die Bevölkerung nicht mehr mit den heutigen bescheidenen AHV-Renten zufrieden geben. Der Schuss könnte für die bürgerlichen Politiker also auch nach hinten losgehen. Travail.Suisse wird sich weiterhin für verlässliche und faire soziale Unterstützungsleistungen in allen Lebenslagen einsetzen.
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