Wie soll es weiter gehen nach den Abstimmungen vom 3. März? Braucht es jetzt eine grosse AHV-Reform oder gibt es andere Möglichkeiten? Und wo besteht welcher Handlungsbedarf? Travail.Suisse hat die neue Ausgangslage analysiert und macht Vorschläge, in welche Richtung es sich lohnt, weiter zu denken.
Deutliches Ja zum Ausbau der 1. Säule
Die Abstimmung zur Initiative für eine 13. AHV-Rente hat ein klares Resultat gebracht: 58.2% der Stimmbevölkerung und 15 Stände haben die Initiative bei einer sehr hohen Stimmbeteiligung angenommen. Die Stimmbevölkerung hat damit den klaren Auftrag für eine Erhöhung der AHV-Renten erteilt. Das heisst auch, dass ein Schritt in Richtung Existenzsicherung in der 1. Säule gemacht werden kann. Aktuell belaufen sich die AHV-Maximalrenten auf CHF 2’450.- und sind damit – entgegen dem Verfassungsauftrag –nicht existenzsichernd. Aus Sicht von Travail.Suisse ist es deshalb wichtig, dass die Renten in der ersten Säule gestärkt werden. Das gilt auch für die IV-Renten, die Travail.Suisse analog zur AHV anheben möchte.
Klare Ablehnung eines höheren Rentenalters
Noch deutlicher fiel das Abstimmungsresultat bei der Renteninitiative aus. Sie wurde bei einer sehr hohen Stimmbeteiligung sehr deutlich verworfen. 74,7% der Stimmbevölkerung und alle Stände waren gegen die Initiative. Keine einzige Gemeinde hat der Renteninitiative zugestimmt. Nur in sieben Gemeinden ist die Initiative auf über 40% gekommen, wobei Zumikon an der Zürcher Goldküste mit 44,88% den höchsten Wert erreichte. Hingegen gab es in der Berner Gemeinde Rebévelier eine 100% Ablehnung der Initiative.
Das Abstimmungsergebnis zeigt sehr deutlich, dass eine Rentenaltererhöhung in der Bevölkerung keinen Rückhalt geniesst und nicht mehrheitsfähig ist. Zudem hat eine gewisse Sensibilisierung für die unterschiedlich hohe Lebenserwartung stattgefunden. Das Frühpensionierungsmodell auf dem Bau wurde von Gegnern und Befürworterinnen der Renteninitiative als Lösungsansatz für diese Problematik hervorgehoben. Aus Sicht von Travail.Suisse, ist es wichtig, dass auch für andere belastende Berufe flexible Frühpensionierungsmodelle entstehen.
Auswirkungen von AHV21 berücksichtigen
2024 ist die umstrittene Reform AHV21 in Kraft getreten. Mit AHV21 wurden neue Modelle für den flexiblen Altersrücktritt eingeführt. Gleichzeitig ist die Mehrwertsteuer um 0,4% erhöht worden und das Frauenrentenalter wird auf 65 Jahre erhöht. Die Auswirkungen der Reform sind aktuell noch nicht vollständig überblickbar. Es ist zum Beispiel nicht ausgeschlossen, dass die Lebenserwartung der Frauen sinken wird. Insbesondere ist aber schwer abzuschätzen, inwiefern von der Flexibilisierung des Altersrücktritts Gebrauch gemacht werden wird.
Ohne die 13. AHV-Rente zu berücksichtigen, prognostizierte das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) ein Umlagedefizit in der AHV ab 2032. Der zusätzliche Bedarf ergibt sich in erster Linie daraus, dass geburtenstarke Jahrgänge pensioniert werden. Für dieses (vorübergehende) Phänomen wird eine zusätzliche Finanzierung nötig sein. Deshalb war bereits vor den letzten Abstimmungen geplant, dass der Bundesrat bis spätestens 2026 eine Reform der AHV vorlegt, um diese Herausforderung anzugehen.
Muss diese Reform jetzt vorgezogen werden? Die Initiative AHVx13 muss bis Anfang 2026 umgesetzt werden. Dazu braucht es einerseits gesetzliche Anpassungen und andererseits eine Sicherstellung der Finanzierung (zusätzliche Ausgaben von 3,3 bis 4,2 Milliarden pro Jahr).
Etappiertes Vorgehen
Da die Initiative rasch umgesetzt werden muss, bietet sich aus Sicht von Travail.Suisse ein etappiertes Vorgehen an. Zunächst müssen die Zusatzkosten für die 13. AHV-Rente rasch zur Verfügung gestellt werden, so dass der Bedarf mindestens bis Anfang der 2030er-Jahre gedeckt ist und genügend Zeit für weitere Reformschritte bleibt.
Bei der kurzfristigen Finanzierung steht sicher eine Erhöhung der Lohnbeiträge im Zentrum, weil diese am einfachsten ausgerichtet werden kann. Das BSV geht davon aus, dass eine Erhöhung der Lohnbeiträge um 0,35% bis 0,4% je für Arbeitnehmende und Arbeitgebende nötig sein wird. Der Vorteil der Lohnabzüge ist, dass sie den sozialen Ausgleich fördern. Das zeigt folgende Berechnung: Wer ein jährliches Einkommen von 50'000 CHF erzielt, bezahlt bei einer Erhöhung um 0,4% zusätzlich CHF 16.56 pro Monat. Wer hingegen ein Jahreseinkommen von 300'000 CHF erzielt, bezahlt zusätzlich 100 CHF pro Monat.
Das ist hingegen bei der zweiten bereits bestehenden Finanzierungsmöglichkeit, einer Erhöhung der Mehrwertsteuer um 1% bis 1,1%, nicht der Fall. Die Mehrwertsteuer belastet untere Einkommen stärker, weil sie den Konsum belastet. Zudem braucht es für eine Änderung des Mehrwertsteuersatzes eine obligatorische Volksabstimmung. Für eine schnelle Finanzierung hat dieses Instrument also gewichtige Nachteile.
Mittelfristige Zusatzfinanzierungen
Für eine längerfristige Zusatzfinanzierung der AHV werden aktuell zwei weitere Vorschläge vertieft diskutiert. Es handelt sich dabei um Massnahmen, die grössere Gesetzesänderungen nach sich ziehen würden und deshalb einen längeren Zeithorizont erfordern.
Die Mitte hat den Vorschlag ins Spiel gebracht, eine Finanztransaktionssteuer zugunsten der AHV einzuführen. Die Finanztransaktionssteuer ist eine Steuer auf dem Austausch von finanziellen Vermögenswerten. Sie ermöglicht einen gewissen sozialen Ausgleich, da Personen mit höheren Vermögen mehr beitragen würden. Die Geldpolitik der Nationalbank hat in den letzten Jahren viel Geld in das Finanzsystem gepumpt und auch entsprechende Gewinne ermöglicht. Es wäre politisch folgerichtig, diese Gewinne zu besteuern. Eine Finanztransaktionssteuer von 0,01% auf dem jährlichen Umsatz im Swiss Interbank Clearing Zahlungsverkehr hätte 2023 zu zusätzlichen Einnahmen von 5,7 Milliarden geführt. Bei der Finanztransaktionssteuer muss allerdings mit jährlichen Schwankungen gerechnet werden.
Die GLP hat den Vorschlag ins Spiel gebracht, eine nationale Erbschaftssteuer zugunsten der AHV zu erheben. In der Schweiz ist inzwischen jeder zweite Vermögensfranken nicht erwirtschaftet, sondern geerbt. Gleichzeitig ist die Erbschaftssteuer seit 1990 stark zurückgegangen. Wenn man Erbschaften nicht nur mit 1,4% sondern wie 1990 mit 2,7% besteuern würde, ergäbe dies zusätzliche Einnahmen von 3,1 Milliarden. Da die Vermögen in der Schweiz steigen, kann man davon ausgehen, dass auch diese Einnahmen in der Tendenz steigen würden. Bei der Diskussion einer Erbschaftssteuer würde es sich zudem lohnen verschiedene Modelle, z.B. mit einem Freibetrag, zu evaluieren.