Der Tod des Partners oder der Partnerin ist immer ein grosser Einschnitt im Leben eines Menschen. Der verstorbene Mensch hinterlässt eine Lücke – persönlich, aber auch wirtschaftlich. Deshalb garantiert die Bundesverfassung, dass die finanzielle Lücke, die der Tod des Partners oder der Partnerin hinterlässt, abgesichert werden muss. Der Bundesrat will nun neu regeln, wer Anspruch auf eine Witwen- oder eine Witwerrente hat. Wir haben uns mit den Vorschlägen befasst und machen hier eine Auslegeordnung.
Die Witwen- und Witwerrenten sind ein wichtiger Bestandteil der sozialen Sicherheit in der Schweiz. Sie füllen die finanzielle Lücke, die durch den Tod des Ehepartners oder der Ehepartnerin entsteht und setzen den Auftrag der Bundesverfassung um. Allerdings können verwitwete Männer in der AHV weniger Ansprüche geltend machen als verwitwete Frauen. Witwerrenten aus der AHV erlöschen automatisch, wenn das jüngste Kind 18 Jahre alt wird. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat festgestellt, dass diese unterschiedlichen Voraussetzungen für den Bezug von Witwen- und Witwerrenten diskriminierend sind.
Die Geschlechterfrage
Aus Sicht von Travail.Suisse ist es richtig, dass die Geschlechterdiskriminierung aufgehoben wird und Frauen und Männer die gleichen Ansprüche auf eine Witwen- oder Witwerrente haben. Auch Männer sollten beim Tod ihrer Partnerin eine umfassende soziale Absicherung haben. Die Sozialversicherungen sollten so ausgestaltet sein, dass Männer keine Nachteile erleiden, wenn sie sich für ein unkonventionelles Familienmodell entscheiden und mehr unbezahlte Betreuungsarbeit übernehmen als ihre Partnerin. Männer sollten deshalb gleich gut abgesichert sein wie Frauen.
Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass Frauen trotz der gesellschaftlichen Veränderungen der letzten Jahrzehnte immer noch deutlich häufiger verwitwen als Männer. Zudem übernehmen sie immer noch deutlich häufiger Aufgaben in der Betreuung der Kinder und in der Pflege von Angehörigen und reduzieren dafür ihr Erwerbspensum. Dadurch laufen sie Gefahr, bedeutende wirtschaftliche Nachteile zu erleiden, wenn das Erwerbseinkommen ihres Partners wegfällt. Eine solide soziale Absicherung für Witwen ist deshalb ein wichtiger Pfeiler zur Vermeidung von Armut bei Frauen aufgrund ihrer Erwerbsbiografie. Eine Kürzung der Witwenrenten würde die soziale Absicherung von Frauen deutlich verschlechtern.
Die Zivilstandsfrage
Witwer- und Witwenrenten aus der AHV sind heute Personen vorbehalten, die mit ihrem Partner oder ihrer Partnerin verheiratet waren. Immer mehr Paare heiraten heute nicht mehr und auch immer mehr Eltern sind unverheiratet. Ihnen fehlt die soziale Absicherung nach dem Tod des Partners oder der Partnerin.
Der vom Bundesrat in die Vernehmlassung geschickte Reformvorlage sieht vor, die heutigen Witwen- und Witwerrenten durch Renten für hinterlassene Elternteile und Übergangsrenten bei Verwitwung zu ersetzen. Neu sollen Elternteile unabhängig von ihrem Zivilstand, aus der AHV eine Übergangsrente erhalten, bis ihr jüngstes Kind das 25. Altersjahr erreicht hat. Weiter ist für Verheiratete und für Geschiedene, deren Kinder älter sind, nach dem Tod des Partners oder der Partnerin während zwei Jahren eine Übergangsrente vorgesehen.
Aus Sicht von Travail.Suisse ist es wichtig und richtig, dass die soziale Sicherheit für unverheiratete Paare ausgebaut wird. Ein Todesfall hinterlässt immer eine finanzielle Lücke: Die Kosten für den Haushalt müssen plötzlich alleine getragen werden. Dabei spielt es keine Rolle, ob man mit oder ohne Trauschein zusammengelebt hat. Die Einführung einer Rente für hinterbliebene Elternteile ist deshalb wichtig. Allerdings stellt sich die Frage, ob sie ausreichend ist.
Eltern mit älteren Kindern hätten mit dem neuen Modell eine gewisse «Schonfrist» von zwei Jahren, um sich nach dem Tod des oder der (Ex-)Partners oder -partnerin neu zu orientieren. Aus Sicht von Travail.Suisse ist diese Lösung ungenügend. Es gibt keinen stichhaltigen Grund, diese Übergangsrenten auf Eltern und zudem auf verheiratete oder geschiedene Eltern zu beschränken. Die finanzielle Lücke, die mit dieser Rente abgesichert werden soll, entsteht unabhängig vom Zivilstand und unabhängig von der Frage der Elternschaft. Zudem sind die zwei Jahre sehr knapp bemessen, aus Sicht von Travail.Suisse müssten die Übergangsrenten während mindestens drei Jahren ausgerichtet werden, damit alle, deren Partnerin oder Partner stirbt, genügend Zeit haben, um sich in dieser schwierigen Situation neu zu orientieren.
Die Armutsfrage
Wer heute eine Witwen- oder Witwerrente bezieht und mit dieser Rente nicht über die Runden kommt, hat Anspruch auf Ergänzungsleistungen. Mit der Vorlage des Bundesrats werden mehr verwitwete Personen als heute keinen Anspruch auf eine Witwenrente zu haben. Das bedeutet, dass sie auch keine Ergänzungsleistungen erhalten und bei wirtschaftlicher Not auf die Sozialhilfe angewiesen sind.
Um diese Fälle teilweise abzufedern, sieht der Bundesrat vor, Witwern und Witwen ab 58 Jahren das Anrecht auf Ergänzungsleistungen (EL) zu gewähren, sofern ihre finanzielle Lage entsprechend prekär ist. Der Bundesrat geht davon aus, dass durch diese Neuregelung Verwitwete im erwerbsfähigen Alter mittelfristig rund 10 Millionen Franken weniger an EL-Leistungen beziehen werden. Die Betroffenen werden wegen der Abschaffung der Witwenrenten auf Sozialhilfe angewiesen sein. Für Travail.Suisse ist klar, dass Sparen auf Kosten von armutsbetroffenen Witwen nicht das Ziel einer Reform sein kann und die Leistungen für die Betroffenen mindestens gleich gut bleiben müssen wie heute. Dies würde bedeuten, dass Verwitwete wie bisher ab dem 45. Altersjahr Ergänzungsleistungen beantragen könnten.
Eine besondere Gefahr sieht Travail.Suisse im Vorhaben des Bundesrats, die laufenden Witwenenten für unter 55-Jährige zu streichen. Dieses Vorgehen verstösst gegen Treu und Glauben. Es stellt die Betroffenen vor grosse wirtschaftliche Probleme, weil ein Grossteil ihres bisherigen Einkommens wegfällt. Wer länger nicht im Arbeitsmarkt tätig war, wird grosse Mühe haben, eine Stelle zu finden. Der Wiedereinstieg ins Erwerbsleben gestaltet sich oft schwierig, weil den Betroffenen das Netzwerk, das Bewerbungswissen und aktuelle Qualifikationen fehlen.
Insgesamt muss die Vorlage des Bundesrats noch deutlich verbessert werden, damit die Reform nicht zu einer reinen Sparvorlage verkommt, welche die soziale Absicherung der Verwitweten verschlechtert.