Weiterbildung als Schlüsselbereich für die Inklusion
Entwicklungen wie die Digitalisierung und die demografische Entwicklung fördern derzeit einen Strukturwandel zutage, der die Halbwertszeit des Wissens sowie einer beruflichen Qualifikation verkürzt. Arbeitnehmende sind heute und morgen mehr denn je gefordert, sich weiterzubilden und dem sich wandelnden Arbeitsmarkt anzupassen. Daher herrscht auch Einigkeit darüber, dass die Weiterbildung eine Schlüsselfunktion für die nachhaltige Entwicklung der Gesellschaft und Wirtschaft einnimmt.
Travail.Suisse erklärte bereits in der «Weiterbildungsoffensive» vor einem Jahr, dass Weiterbildung alle Arbeitnehmenden stärken und ihnen unabhängig von ihrem Bildungsstand ihren Platz in Gesellschaft und Wirtschaft sichern sollte. Mit einem durchlässigen Weiterbildungssystem bestände die Chance, strukturelle Ungleichheiten entgegenzuwirken.
Niedrigqualifizierte und Menschen mit Behinderungen: geringere Weiterbildungsteilnahme
Die Realität sieht derzeit jedoch noch anders aus. Der Bildungsbericht 2023 zeigt klar und deutlich, dass Weiterbildung derzeit formale Bildungsunterschiede nicht auszugleichen vermag. Auch der Blick auf die Weiterbildungsbeteiligung von Menschen mit Behinderungen zeigt eine signifikante Differenz im Vergleich zur Teilnahme von Menschen ohne Beeinträchtigungen.
Bild: Bildungsbericht Schweiz 2023, S. 357, 21.06.2023
Weiterbildung wirkt stärkend auf die Arbeitsmakrtposition
Diese Ungleichheiten sind aufgrund der rechtlichen Verpflichtungen der Schweiz (Behindertengleichstellungsgesetz, UN-Behindertenrechtskonvention) aus dem Weg zu räumen. Auch zeigen Studien, dass berufsbezogene Weiterbildungen für Menschen mit Behinderungen ein wichtiger Faktor zur Stärkung ihrer Arbeitsmarktposition darstellen. So wies bereits die SAMS-Studie darauf hin, dass die Teilnahme von Menschen mit Sehbehinderung an berufsspezifischer Weiterbildung sich positiv auf ihren beruflichen Erfolg auswirkt (SAMS: Studie zum Arbeitsleben von Menschen mit Sehbehinderung, 2015, 21.06.2023). Bei der Studie zur Arbeitsmarktsituation von gehörlosen und hörbehinderten Personen zeigte sich auch, dass diese auch bei vergleichbarem Bildungsniveau seltener befördert werden. Neben der Rekrutierung unter ihrem Potenzial sieht das Forschungsteam ein möglicher Grund in den Barrieren bei der beruflichen Weiterbildung (Studie zur Arbeitsmarktsituation von gehörlosen und hörbehinderten Personen, 2020, 21.06.2023).
Leitfaden, Beratungen und Schulungen für Weiterbildungsanbietende
Travail.Suisse Formation hat sich daher in Absprache und Zusammenarbeit mit den Behindertenorganisationen zum Ziel gesetzt, zu einer inklusiveren und hindernisfreien Weiterbildung in der Schweiz beizutragen. Sowohl TSF als auch der Schweizerische Gehörlosenbund, Pro Audito Schweiz und die Beratungsstellen für Schwerhörige und Gehörlose BFSUG sind überzeugt, dass Weiterbildungen eine Schlüsselfunktion für eine inklusivere Gesellschaft und Chancengleichheit einnehmen könnte. Nachdem bereits 2021 eine Kriterienliste für zugänglichere Weiterbildungen für Menschen mit Sehbehinderungen erstellt wurde, erscheint heuer der Leitfaden inklusiv: Weiterbildung für Menschen mit Hörbehinderung zugänglich gestalten. Auf Basis von zahlreichen explorativen Interviews und Workshops mit Menschen mit Schwerhörigkeit, Gehörlosigkeit und anderen Hörbehinderungen wurden Empfehlungen für Weiterbildungsanbietende erarbeitet. Wenn man diese liest, so erscheinen sie fast banal. So wird beispielsweise empfohlen, das Zeigen von Präsentationen vom Sprechen zu trennen und beim Sprechen immer in Richtung Teilnehmende zu blicken, eine eigentliche Grundregel in der Erwachsenenbildung.
Die richtige Haltung als Grundlage für erfolgreiche Inklusion
Ganz besonders wichtig erscheinen neben diesen eben doch nicht so banalen Empfehlungen für den Weiterbildungsalltag auch folgende Grundsätze: Menschen mit Hörbehinderung und Weiterbildungsanbietende tragen eine geteilte Verantwortung für die Umsetzung der Chancengleichheit. Menschen mit Gehörlosigkeit und Schwerhörigkeit sind in der Pflicht, über ihren Schatten zu springen und ihre Bedürfnisse zu äussern. Die Weiterbildungsanbietenden ihrerseits sollen diesen Bedürfnissen Rechnung tragen. Dazu gehört auch, Interessentinnen und Interessenten bei einem Antrag auf Kostenübernahme für Schrift- oder Gebärdendolmetschen bei der IV zu unterstützen und alle notwendigen Unterlagen rechtzeitig auszuhändigen. Es bedeutet auch, Ansprechpersonen zu definieren, die die individuellen Bedürfnisse von Teilnehmenden mit Hörbehinderung aufnehmen und sicherstellen, dass alle involvierten Akteur:innen einer Weiterbildung (Kursleitende, Administrationspersonal, Prüfungsexpert:innen usw.) über die entsprechenden Massnahmen informiert werden.